Interview

Patrick Leclercq zum Gipfel in Scharm al Scheich "Die Hamas muss mit an den Tisch"

Stand: 25.06.2007 15:35 Uhr

ARD-Korrespondent Leclercq warnt davor, bei Friedensbemühungen im Nahen Osten die Hamas auszuschließen. "Auch die Fatah war früher für den Westen eine reine Terrororganisation, mit der man nicht reden wollte", meint Leclercq im Gespräch mit tagesschau.de.

tageschau.de: Glauben Sie, dass das Gipfeltreffen in Scharm al Scheich den Konflikt in den Palästinensergebieten entschärfen kann?

Leclercq: Ich sehe geringe Chancen für einen Erfolg. An dem Konflikt sind zwei Palästinenerfraktionen beteiligt: Hamas und Fatah. Wenn man eine Lösung finden will, muss auch die Hamas mit am Tisch sitzen. Einseitig die Fatah zu stärken - auch militärisch, wie jetzt aus Scharm al Scheich verlautet - wird dazu führen, dass sich die Spaltung der Palästinenser fortsetzt und die blutigen Auseinandersetzungen weitergehen.

tagesschau.de: Die Taktik Israels zielt genau auf das Gegenteil: Man will Palästinenserpräsident Abbas und der Fatah den Rücken stärken, um die Hamas zu isolieren.

Leclercq: Dieses Konzept war schon in der Vergangenheit wenig erfolgreich. Auch die Fatah gehörte ja mal zum "Reich des Bösen": Sie war für den Westen eine reine Terrororganisation, mit der man nicht reden wollte. Als nach den Osloabkommen in den 90er Jahren klar wurde, dass die Fatah in den besetzten Gebiete stärker wurde, hat Israel angefangen, die Hamas aufzurüsten. Man hat damals die Hamas politisch und militärisch gestärkt, weil man Angst vor der Fatah hatte. Daraus könnte Israel eigentlich lernen.

tagesschau.de: Glauben Sie, dass es zu einer längerfristigen Spaltung der Palästinensergebiete kommt?

Leclercq: Das würde ich nicht ausschließen. Es geht nicht nur um ein Problem zwischen Israel und den Palästinensern, das zeigt sich an den heftigen Auseinandersetzungen im Libanon. Die islamischen Organisationen versuchen derzeit in der ganzen Region, Boden zu gewinnen. Ich glaube, dass dahinter ein Plan steht und dass es darum geht, irgendwann in der Region Gottesstaaten zu errichten.

tagesschau.de: Was bedeutet die Machtübernahme der Hamas im Gaza-Streifen für das benachbarte Ägypten?

Leclercq: Es gibt es in Ägypten eine sehr starke Moslembruderschaft, die nur durch das autoritäre, diktatorische Regime noch im Zaum gehalten werden kann. Wie das weitergeht, ist unklar. Der Westen macht einen Fehler, wenn er sich nur an die gemäßigten Länder wie Ägypten oder Jordanien hält, die diese Bewegungen sehr autoritär unterdrücken. Ich kann mir gut vorstellen, dass das irgendwann nach hinten losgeht. Aber dann gibt es keine Gesprächspartner mehr.

tagesschau.de: Was schlagen Sie vor?

Leclercq: Die Hamas muss in alle Gespräche einbezogen werden, auch in die Friedensgespräche mit Israel. Sicher ist das schwierig und es sind gefährliche Leute, aber es wird nicht anders gehen. Davon abgesehen geht es nicht nur um Hamas oder Fatah. In einem Palästinenserlager im Libanon habe ich vor kurzem erfahren, dass er allein dort 16 verschiedene palästinensische Fraktionen gibt: religiöse, politische, militärische.

"Weder Hamas noch Fatah sind Herr der Lage"

tagesschau.de: Eine dieser Gruppen, die "Armee des Islam", hält seit März im Gaza-Streifen einen BBC-Journalisten gefangen. Auch Appelle der Hamas, den Mann freizulassen, haben nichts bewirkt. Hat die Hamas die Lage überhaupt im Griff?

Leclercq: Nein. Weder Fatah noch Hamas sind Herr der Lage. Die Strukturen, die wir im Westjordanland und im Gaza-Streifen vorfinden, lassen sich nicht mehr eindeutig einer Partei zuzuordnen. Deshalb wird es nicht viel bringen, einseitig auf die Fatah zu setzen. Stattdessen sollte man versuchen, möglichst viele der oft sehr verfeindeten Palästinensergruppen in die Gespräche einzubeziehen. Alles andere ist zu kurz gesprungen.

tagesschau.de: Wer spielt außer Hamas und Fatah eine wichtige Rolle?

Leclercq: In den Palästinensergebieten und im Libanon werden die religiös orientieren Gruppen, die Fundamentalisten, immer wichtiger. Zwar gibt es auch zwischen ihen Unterschiede, aber der gemeinsame Überbau ist die islamische Welle, die seit einigen Jahren über die arabische Welt rollt.

tagesschau.de: Die Palästinensergebiete, vor allem der Gaza-Streifen, sind wirtschaftlich zusammengebrochen, seit Israel, Europa und die USA Gelder eingefroren haben und Israel den Grenzverkehr behindert. Welche Rolle spielt Armut für das Eskalieren des Konflikts?

Leclercq: Armut spielt eine ganz entscheidende Rolle. Hisbollah und Hamas, die im letzten Jahr für Furore gesorgt haben, sind einst als Hilfsorganisationen entstanden. Sie haben eingegriffen, wo die Regierungen versagten: Sie haben Armenküchen und Krankenhäuser eingerichtet, den Leuten Bildung und Reisen ermöglicht. So gewannen sie das Vertrauen der Bevölkerung, denn die Mehrheit der Palästinenser ist arm oder sehr arm - gerade in den Flüchlingslagern. Und weil sie das Vertrauen haben, gelingt es ihnen heute dort besonders gut, Nachwuchs zu rekrutieren.

Das Interview führte Christine Kahle, tagesschau.de

Das Interview führte Patrick Leclercq, SWR