Debatte über EU-Reformvertrag Tschechien: Notbremse gegen peinliches "Nein"

Stand: 03.02.2009 05:14 Uhr

Tun sie es oder tun sie es nicht? Eigentlich sollte das tschechische Parlament heute über den EU-Reformvertrag von Lissabon abstimmen. Doch es wird wohl erneut nicht dazu kommen - wie bereits im vergangenen Jahr.

Von Christina Janssen, ARD-Hörfunkstudio Prag

Es ist eine Art Basta: "Musime" sagt Tschechiens Außenminister Karel Schwarzenberg: "Wir müssen den Lissabon-Vertrag ratifizieren." Doch das ist leichter gesagt als getan. Zwar steht im Abgeordnetenhaus, der ersten Kammer des tschechischen Parlaments, heute die Abstimmung über den EU-Reformvertrag auf der Tagesordnung.

Dazu kommen wird es wohl wieder nicht. Der einstige Dissident und spätere Außenminister Jiri Dienstbier, der sich für den Lissabon-Vertrag stark macht, ist mit seinem Latein am Ende: "Wir sind nicht fähig, den Lissabon-Vertrag zu verabschieden, weil wir uns immer wieder neue Vorwände ausdenken, um ihn zu blockieren. Wir sollten uns stattdessen in die EU eingliedern, um dort die tatsächlichen Probleme der Welt zu lösen."

Wird Tschechien jetzt der "Troublemaker" der EU?

Dennoch geht das Hin und Her in Tschechien weiter. Grund für das Chaos ist der Streit in der größten Regierungspartei, der ODS von Premier Mirek Topolanek. Robert Schuster, Politologe am Institut für internationale Beziehungen in Prag meint: "Die eine Hälfte der ODS, die Premier Topolanek nahe steht, will den Vertrag ratifizieren. Das ist auch viel mit Prestige verbunden: Wird  das Land jetzt der 'Troublemaker' der EU sein oder nicht."

Und die andere Hälfte sei kategorisch gegen den Vertrag, sehe ihn als demokratiefeindlich. "Sie sieht ihn, als einen, der nur die Position der großen Länder - sprich: Deutschland - stärkt. Und das ist etwas, das einem kleinen Staat, einem kleinen Volk wie den Tschechen zuwider läuft und das abzulehnen ist."

Zahllose Gespräche hinter den Kulissen

Und diese Fraktion hat im Moment offenbar noch die Mehrheit in der zerstrittenen Regierungspartei. Dabei versuchen die Lissabon-Befürworter seit Monaten in zahllosen Gesprächen hinter den Kulissen, eine Mehrheit zustande zu bekommen. Vergeblich. Die Peinlichkeit eines "Nein" im tschechischen Parlament wollen sie aber keinesfalls riskieren. Deshalb werden sie heute erneut die Notbremse ziehen und beantragen, die Abstimmung zu vertagen. Wie schon vor drei Monaten.

Alte Rechnungen werden beglichen

Zwar gibt sich Tschechiens Premier Topolanek optimistisch. Er betonte noch einmal, der Lissabon-Vertrag werde noch in diesem Monat ratifiziert. Daran glauben mag in Prag aber niemand mehr. So glaubt auch Politologe Schuster: "Die Abstimmung wird dann stattfinden, wenn Topolanek sicher sein kann, dass er eine Mehrheit in seiner eigenen Koalition dafür behält." Und das sei momentan nicht klar. "In seiner eigenen Partei gibt es ja diese Abweichler, die überlegen, ob sie jetzt Topolanek eins auswischen, auch um alte Rechnungen zu begleichen." Er denke, dass es eine Entscheidung erst nach Ende der Ratspräsidentschaft geben werde.

Gegner holen zu neuem Schlag aus

Vielleicht erst lange danach: Denn die Lissabon-Gegner, die Tschechiens Präsidenten Vaclav Klaus auf ihrer Seite wissen, holen schon zum nächsten Schlag aus: Einige Mitglieder der ODS wollen noch einmal vors Verfassungsgericht ziehen, um den Lissabon-Vertrag überprüfen zu lassen. Dabei hat das oberste Gericht schon im November in einem ersten Verfahren beschieden, der Vertrag sei mit tschechischem Recht vereinbar.

Senator Jan Zahradil, einer der Protagonisten der tschechischen Anti-Lissabon-Bewegung, lässt sich davon nicht beeindrucken: "Die erste Verfassungsklage hat nur einige Teile des Vertrages betroffen, das heißt es ist möglich, gegen andere Teile noch einmal eine Klage einzureichen. Ohnehin warten wir mit der Ratifizierung in Tschechien erst das Ergebnis des neuen Referendums in Irland  im Herbst ab." Es gebe also keinen Grund zur Eile.

Angst vor mächtigen Nachbarn

Was aus der Ferne betrachtet reichlich absurd wirkt, hat einen ernsten Hintergrund: Die Angst vor den übermächtigen Nachbarn in Ost und West sitzt den Tschechen tief in den Knochen. Die Sorge, in der EU von den großen Mitgliedsländern überrannt zu werden, teilen viele im Land mit den Skeptikern der ODS. Der Politologe meint: "Topolanek hat das vor einigen Monaten ziemlich klar ausgedrückt: Und zwar, wenn er die Wahl hätte, ob ihn der russische Bär – gemeint ist der russische Präsident – zu Tode umarmen soll, oder ob er von Angela Merkel geküsst werden soll, dann wählt er natürlich Angela Merkel."

Da komme immer wieder dieses Gefühl auf, dass Tschechien zwischen dem Westen und dem Osten liege. "Der Westen, das ist die EU und vielleicht die USA, und der Osten, das ist Russland."

Aus Sicht vieler Tschechen geht es also um die Frage nach dem kleineren Übel. Und so nimmt der Streit um den Lissabon-Vertrag kein Ende. Die lange Debatte darüber hatte aber zumindest einen Sinn: In der jüngsten Umfrage zum Thema sagten 65 Prozent der Tschechen, sie seien für den Reformvertrag.