Paul Krugman
interview

Ökonom Krugman im Interview "Deutschland sollte Schulden machen"

Stand: 21.12.2019 13:23 Uhr

Nobelpreisträger Krugman geht im ARD-Interview mit Deutschland hart ins Gericht. Die Schwarze Null sei nicht gut, warnt der Ökonom - sie verhindere Investitionen in die Zukunft. Zudem plädiert er für eine Reichensteuer.

ARD: Deutschland ist besessen von der Schwarzen Null. Ist das der richtige Weg in die Zukunft?

Paul Krugman: Die Wirtschaft in Deutschland wird durch die enormen Handelsüberschüsse am Leben gehalten. Wenn das nicht gelänge, wäre die deutsche Wirtschaft in einem tiefen Tal. In Deutschland funktioniert das vielleicht, aber nicht alle Länder können einen so gigantischen Handelsüberschuss erwirtschaften. Der Erfolg Deutschlands zieht gewissermaßen die Nachfrage vom Rest der Welt ab.

Trotz guter Beschäftigungszahlen und eines annehmbaren Wachstums leidet auch Deutschland an einer alternden, knarzenden Infrastruktur. Große Investitionen sind notwendig. Sie haben Ihre Infrastruktur noch schlechter in Stand gehalten als wir - und das ist kaum vorstellbar. Zugleich will der Markt Geld investieren, sogar mit Negativzinsen. Die Schwarze Null ist nicht mal für Deutschland gut. Sie verursacht zwar keine Arbeitslosigkeit, aber verhindert Investitionen in die Zukunft.

Zur Person

Paul Krugman gilt als einer der einflussreichsten Wirtschaftswissenschaftler der Gegenwart. Er lehrt an der Princeton University und erwarb sich zunächst einen Ruf als Außenhandelsexperte. Für seine Forschung auf diesem Gebiet wurde er 2008 mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet. Krugman beschäftigt sich zudem seit langem mit der Verschuldung der Staaten und Währungsfragen.

ARD: Unsere Regierung kämpft gerade intern darum, ob die Schwarze Null ausgedient hat und ob man nicht in die Infrastruktur investieren sollte, wie es die Sozialdemokraten vorschlagen. Wäre das der richtige Weg?

Krugman: Das würde sicher helfen. Das ist doch offensichtlich. Im Zusammenhang mit den USA geht es um drei verschiedene Arten der Investitionen: die Investitionen in die Zukunft, also Infrastruktur, aber auch in Bildung, Ernährung von Kindern und ähnliches.

Und wie sollen wir das bezahlen? Die Antwort lautet: gar nicht. Es ist in Ordnung, Schulden aufzunehmen, wenn es der Gesellschaft in der Zukunft große Gewinne bringt. Das sollte Deutschland machen. Es gibt aber auch andere Programme, für die wir direkt bezahlen sollten, mit kleinen Steuererhöhungen. Die müssten dann von allen getragen werden. Und dann gibt es noch die ganz großen Investitionen, da wird es schwerer.

Aber es gibt gute Gründe zu glauben, dass fast die gesamte entwickelte Welt zu wenig investiert. Die öffentliche Hand investiert zu wenig. Dabei kann die gesamte entwickelte Welt zu geringen Zinsen Geld leihen. Wir sollten es einfach tun.

ARD: Das amerikanische Defizit sprengt mittlerweile fast den Rahmen. Wieso sind Sie so gelassen?

Krugman: Unser Defizit ist enorm gestiegen, aber es gibt keinen Hinweis darauf, dass es Probleme auf dem Anleihenmarkt verursacht. Die Schuldenarithmetik ist nicht schlecht, die Schulden rechnen sich einigermaßen.

Es stört mich aber, dass wir dieses Defizit aus den falschen Gründen haben. Wir haben großen Konzernen Steuererleichterungen gewährt, und die haben das Geld eingesteckt und nicht investiert.

Aber wenn Länder in ihrer eigene Währung Geld leihen, wie Deutschland und die USA, können sie große Schulden haben, ohne in finanzielle Probleme zu bekommen. Japan hat zum Beispiel hat Schulden, die 200 Prozent des Bruttosozialproduktes ausmachen. Und Negativzinsen. Das gehört nicht zu den 50 Dingen, die mir Sorgen machen.

ARD: In Deutschland ist das große Thema eine Steuererhöhung für die Reichen. In Ihrem Land wurden die Steuern für Reiche gerade gesenkt. Welcher Weg ist richtig?

Krugman: Ich würde die Steuern für die Reichen erhöhen, überall. Nicht wegen des Defizits, sondern entsprechend der Dinge, für die man bezahlen muss. Das ist eine wichtige Geldquelle. Aber auch, weil die wachsende Ungleichheit der Einkommen unsere Gesellschaften zerreißt - das geht weit über das Wirtschaftliche hinaus.

Es geht nicht nur darum, dass wir das Geld der Reichen gut gebrauchen können. Wir werden zu einer Gesellschaft, in der eine kleine reiche Gruppe nicht mehr im selben materiellen und finanziellen Universum lebt, wie der Rest von uns. Das ist wirklich schlecht für den sozialen Zusammenhalt. So haben das auch moderate Politiker in Amerika früher gesehen. Jetzt gilt das schon als radikal.

Ich behaupte, dass die Einschränkung des Reichtums der Superreichen - für sich genommen - eine gute Sache ist. Deutschland ist noch am Anfang dieser Entwicklung zur Ungleichheit. Ihr seid nicht annähernd so ungleich wie wir. Aber es wäre gut, uns auf diesem Weg möglichst nicht zu folgen.

ARD: Die Wirtschaft brummt in den USA und manche fürchten, dass Trump deshalb die nächste Wahl gewinnt. Gilt immer noch der Satz "it’s the economy, stupid"?

Krugman: Wahrscheinlich geht es diesmal nicht um die Wirtschaft. Ich spreche viel mit Politikwissenschaftlern - viele Ökonomen sind zu arrogant, um das zu tun, aber ich mache es. Die sagen, obwohl die Wirtschaft in der Vergangenheit eine große Rolle gespielt hat, nimmt diese Rolle ab. Wahrscheinlich aus unterschiedlichen Gründen: wegen der Polarisierung, der Betonung des Einwanderungsthemas und wegen der wachsenden Ungleichheit bei den Einkommen. Auch wenn die Wirtschaftsdaten gut aussehen, sieht die Mehrheit der Amerikaner keine Verbesserung ihrer Lebensumstände.

Die Wirtschaft wird also wahrscheinlich ein neutraler Faktor sein. Es wird um Gesundheitsversorgung, Einwanderung und möglicherweise Machtmissbrauch gehen.

ARD: Und wenn Donald Trump nochmal gewinnt?

Krugman: Sehr beängstigend. Zufällig habe ich den Niedergang der Demokratie in Osteuropa verfolgt, bevor das überall zum Thema wurde. Ich habe die Ungarngeschichte beobachtet. Und wenn Trump so geschickt wäre wie Viktor Orban, wäre die amerikanische Demokratie schon tot. Wenn er wieder gewählt wird, könnte  trotz Trumps Lotterwirtschaft die Möglichkeit bestehen, dass das die letzte echte amerikanische Wahl gewesen sein wird.

ARD: Im Ernst?

Krugman: Im Ernst. Es ist absolut möglich, dass 2024 die Entrechtung von Minderheitenwählern, die Verbiegung des Wahlrechts und die Unterdrückung von unfreundlichen Medien so weit gehen wird, dass es unmöglich wird, eine normale Wahl abzuhalten.

Das Gespräch führte Christiane Meier, ARD-Studio New York

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 09. August 2019 um 08:30 Uhr.