Flucht in die EU Rauer Ton zwischen Balkanstaaten

Stand: 19.09.2015 22:40 Uhr

An vielen Landesgrenzen auf dem Balkan ist die Lage angesichts Tausender Flüchtlinge extrem angespannt. Der Ton zwischen den Nachbarstaaten wird immer schärfer. Vor allem Ungarn und Kroatien erheben gegenseitige Vorwürfe. Beide Länder fühlen sich überlastet.

Im Streit über die Flüchtlinge, die über den Balkan in die Europäische Union einreisen wollen, hagelt es zwischen den Balkanstaaten Vorwürfe und gegenseitige Schuldzuweisungen. Vor allem zwischen Ungarn und seinem Nachbarland Kroatien wird der Ton zunehmend rauer.

Bereits Anfang der vergangenen Woche hatte Ungarn seine Grenze zu Serbien mit einem Zaun abgeriegelt. Daraufhin versuchten die Richtung Westen ziehenden Flüchtlinge, über Kroatien nach Ungarn zu gelangen. Doch auch diese Route wird ihnen nun verwehrt: In der Nacht errichtete Ungarn auch an der Grenze zu Kroatien einen Grenzzaun. Ein weiterer Zaun, 70 Kilometer lang, soll an der Grenze zu Rumänien gebaut werden. Doch der rumänische Außenminister lehnte diesen Plan Ungarns vehement ab.

Lage in Slowenien eskaliert

Für die Flüchtlinge bliebe damit nur noch der Weg von Kroatien über Slowenien nach Österreich. Aber auch Slowenien ergreift Blockademaßnahmen. Der Zugverkehr mit Kroatien wurde am Freitag gestoppt, Hunderte Flüchtlinge wurden wieder in das Nachbarland zurückgeschickt.

Am Freitagabend eskalierte dann die Lage am slowenisch-kroatischen Grenzübergang Harmica. Dort setzten slowenische Polizisten Pfefferspray ein, um vordrängende und heftig protestierende Schutzsuchende zurückzuweisen.

Kroatien will Flüchtlinge weiter abschieben

Tausende Flüchtlinge sitzen also zur Zeit in Kroatien fest - sämtliche Wege in Richtung Westen sind versperrt. Eine Situation, mit der sich die kroatische Regierung überfordert sieht. Schon am Freitag verkündete Ministerpräsident Zoran Milanovic, die Aufnahmekapazitäten für Flüchtlinge seien erschöpft, nachdem innerhalb von nur drei Tagen mehr als 17.000 Flüchtlinge in dem Land angekommen waren. "Kroatien wird nicht zum Zentrum der Flüchtlinge in Europa werden", betonte Milanovic.

Kroatien versucht, die Flüchtlinge trotz Grenzzaun weiter über die ungarische Grenze zu bringen. Allein am Freitag kamen nach Angaben von Ungarns Regierung 8000 Migranten aus Kroatien an, bis zum Samstagmittag seien rund um den Grenzposten Beremend weitere 1200 dazugekommen. Budapest kritisierte sein Nachbarland Kroatien scharf dafür, die Flüchtlinge ohne Registrierung weiter nach Ungarn zu schicken.

Der kroatische Regierungschef räumte zwar ein, dass Kroatien Ungarn regelrecht "genötigt" habe, weiterhin Flüchtlinge aufzunehmen - doch Kroatien werde auch weiterhin Schutzsuchende an die kroatisch-ungarische Grenze schaffen. Vor dem Einsatz des Militärs, um die eigenen Landesgrenzen gegen Flüchtlinge zu schützen, schreckt Kroatien zurück. "Die Grenze kann man nur mit brutaler Gewalt schließen beziehungsweise nur mit der Armee und indem man auf diese Leute schießt, und das hieße morden", hieß es von Milanovic.

Ungarn mobilisiert Reservisten für Armee

Ungarn kündigte dagegen an, noch mehr auf die Unterstützung der Armee setzen zu wollen, um der Flüchtlingskrise Herr zu werden. Darum werden laut Verteidigungsminister Istvan Simicsko mittlerweile 500 freiwillige Reservisten mobilisiert. Sie sollen die Lücken in den Kasernen füllen und dort Soldaten ersetzen, die zum Einsatz an die Grenzen geschickt wurden. Aber auch den direkten Einsatz der Reservisten an den Landesgrenzen schloss Simicsko nicht aus.

Slowenien erwägt Transitkorridor - Verschärfte Lage in Türkei

In Slowenien kamen bislang 1500 Flüchtlinge an. Die Sicherheitslage sei gut, "die Polizei hat alles im Griff", sagte Innenstaatssekretär Bostjan Sefic. Doch noch immer warten am slowenisch-kroatischen Grenzübergang Obrezje Hunderte weitere Flüchtlinge auf ihre Einreise.

Für den Fall, dass die Blockademaßnahmen den Flüchtlingsandrang nicht stoppen können, erwägt Sloweniens Ministerpräsident Miro Cerar, mit den Nachbarstaaten über den Vorschlag eines Transitkorridors zu beraten. Das würde bedeuten, dass Flüchtlinge die Länder passieren dürfen, statt an den Grenzen aufgehalten und zurückgedrängt zu werden.

Auch weiter südlich verschärft sich die Lage in der Türkei vor der Grenze zu Griechenland immer weiter. In der nordwesttürkischen Stadt Edirne werden etwa 2000 Flüchtlinge aus Syrien und anderen Ländern inzwischen seit einer Woche von der Polizei an der Weiterreise nach Griechenland gehindert. Am Samstag setzte die Polizei Schlagstöcke ein, als eine Gruppe von etwa 300 Menschen sich einen Weg in Richtung Grenze bahnen wollte. Die Flüchtlinge forderten dabei lautstark, weiterreisen zu dürfen.

Rettungsaktionen im Mittelmeer

Vor der Küste Libyens sind alleine am Samstag mehr als 4300 Flüchtlinge gerettet worden, die sich über das Meer auf den Weg nach Europa gemacht hatten. Die italienische Küstenwache erklärte, insgesamt habe es an diesem Tag rund 20 Rettungsaktionen mit zahlreichen beteiligten Schiffen gegeben. Neben der Küstenwache und der Marine aus Italien seien noch andere Länder und Organisationen an der Rettung beteiligt gewesen, darunter Deutschland. Italien koordiniert die Seenotrettung der EU vor der Küste des nordafrikanischen Landes. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks haben in diesem Jahr bereits 442.440 Menschen das Mittelmeer in Richtung Europa überkehrt. 2921 starben dabei. Die Internationale Organisation für Migration spricht von 473.887 Überquerern und 2812 Toten.

Tausende erreichen Österreich - weniger Neuankömmlinge in Bayern

Dass die südosteuropäischen Staaten versuchen, die Flüchtlinge schnellstmöglich Richtung Westen abzuschieben, wirkt sich in Österreich aus. Auch die deutschen Kontrollen an der Grenze zwischen beiden Ländern ist dort zu spüren. "Es gibt einen Rückstau in Österreich", sagte der Rettungschef des österreichischen Roten Kreuzes, Gerry Foitik. In der Nacht auf Sonntag würden rund 9000 Menschen im Land übernachten, sagte er der Presseagentur APA.

Für Samstag geht die österreichische Polizei von einer Bilanz von rund 10.000 Menschen an der Ostgrenze zu Ungarn aus. Erstmals wurde auch die südliche Grenze zu Slowenien von Flüchtlingen überschritten: Mehr als 150 Menschen wählten bis zum Abend diese Route, einige Hunderte mehr waren innerhalb Sloweniens in Richtung Grenze unterwegs. Der erneute Anstieg war auch im Westen Österreichs spürbar.

In Bayern dagegen ließ der Flüchtlingsandrang deutlich nach. In Passau wurden nach Angaben der Bundespolizei rund 600 Menschen aufgegriffen, in Freilassing kam ein Zug mit weiteren 400 an. Am Mittwoch hatten die Behörden noch rund 7000 Migranten registriert, danach war die Zahl stetig gesunken. Für Sonntag erwartet die Bundespolizei zwei Sonderzüge aus Österreich mit Migranten. Ab Montag seien dann täglich jeweils fünf Züge angekündigt, sagte ein Sprecher.

Finnland kontrolliert Grenze zu Schweden

Trotz der geringer werdenden Zahl an Flüchtlingen, die in Deutschland einreisen, sichert sich im Norden der EU Finnland gegen illegal einreisende Migranten ab. Das Innenministerium teilte mit, dass im an der Grenze zu Schweden gelegenen Ort Tornio Grenzkontrollen aufgenommen wurden. Flüchtlinge könnten nun nicht mehr ohne Registrierung von Tornio aus weiterreisen. Neben Deutschland zählt auch Schweden zu den EU-Ländern, in denen zahlreiche Flüchtlinge Asyl beantragen wollen.