Verschneite Straße mit Menschen in Teheran. | AP

Energiekrise im Iran Das Frieren schürt die Wut

Stand: 19.01.2023 15:59 Uhr

Die Gasknappheit im Iran legt zunehmend auch das öffentliche Leben lahm: Geschäfte müssen deshalb schließen - in einem Land das eigentlich viel Gas hat. Das könnte den Protesten gegen das Regime neuen Aufschwung geben.

Von Karin Senz, ARD-Studio Istanbul

Der Iran ist das Land mit den zweitgrößten Gasvorkommen der Welt - nach Russland. Aber seit Tagen frieren Menschen in kalten Wohnungen, sind Schulen, Universitäten, Banken, Ämter und Geschäfte teilweise oder ganz geschlossen, weil nicht genug Gas zum Heizen da ist. Das könnte den Protesten gegen das Regime neuen Aufschwung geben.

Karin Senz ARD-Studio Istanbul

Es ist Winter, auch in Torbat-e Jam im Nordosten des Iran. Nachts fallen die Temperaturen unter null Grad Celsius. Kein Problem in einer warmen Wohnung, aber die Wohnungen vieler Bewohnerinnen und Bewohner sind nicht warm, weil teils das Gas abgedreht wurde.

Sein Baby friere, beschwert sich ein Mann beim zuständigen Gouverneur. Ein Internetvideo zeigt ihn zusammen mit anderen Männern, die aufgebracht, aber friedlich sind. Vor dem Gebäude der Hilfsorganisation Roter Halbmond geht es mehr zur Sache. Auf einem Video sind Mitarbeiter zu sehen, die sich gegen das große Eingangstor stemmen. Von draußen drückt eine Menschenmenge dagegen, die Decken und Heizer verlangen.

Arbeiten mit Notbesetzung

Sara, eine Bankangestellte, lebt in der Hauptstadt Teheran und schildert die Situation dort:

In Teheran hat man erst gesagt, die Banken bleiben ganz geschlossen, Unis auch. Schulen machen Fernunterricht, Prüfungen fallen aus. Dann haben sie ihre Meinung geändert und gesagt, manche Filialen müssen eine Notbesetzung von 9 bis 13 Uhr haben. Aber die Hauptfilialen sollen geschlossen bleiben. Nur die IT-Abteilung soll zur Arbeit, aber die dürfen die Heizung nicht anmachen.

Ihre Stimme ist verfremdet, ihr Name geändert. Sie fürchtet, dass sie schon für solche Aussagen bestraft werden könnte.

In Saras Bankfiliale versuchen sie, irgendwie klarzukommen. Doch seit Samstag sei das Gas für das komplette Gebäude abgestellt - der Versorger habe verboten, zu heizen. "Und weil es so kalt und ungemütlich war, haben sie das Gebäude jetzt ganz geschlossen", sagt Sara weiter: "Interessant ist, dass das Gebäude einer Energie-Holding gehört, die im Bereich Öl, Gas und Strom arbeitet."    

Verbrennen, was verfügbar ist

Zu all dem kommt extrem schlechte Luft. Weil zu wenig Gas verfügbar ist, nutzen Kraftwerke und Industrieunternehmen den Brennstoff Masut, ein schwefelhaltiges Schweröl. Andere verfeuern zum Heizen in ihrer Not, was verfügbar ist, ungeachtet der Schadstoffe. Sara erzählt von den vergangenen Tagen:

Der Smog war so schlimm. Normalerweise kann ich aus dem Fenster meines Büros den Berg Damavand sehen. Jetzt habe ich noch nicht mal die andere Straßenseite sehen können. Alle hatten Kopfschmerzen und Atemnot, weil sie Masut verbrannt haben.

Es gibt Statistiken die sagen, Teheran hatte in den vergangenen zehn Monaten nur zwei Tage als sauber geltende Luft.

Sorge vor neuen Protesten

Die Probleme liegen auf der Hand. Und die Kritik wird lauter, dass die iranische Führung ihnen nicht gewachsen ist. Die Antwort des Ölministers Javad Owji lautet: "Schaltet Heizkörper in Zimmern, die ihr nicht nutzt, ab. Das kann schon viel ausmachen. Zieht euch warm an. Nutzt dicke Vorhänge." Er appelliert an die Bevölkerung: "Ich bitte unsere Landsleute, unterstützt uns dabei, diese Kältewelle zu überwinden."

Owji weiß aber auch, es fehlen Milliarden-Investitionen in die Infrastruktur, in Gas- und Ölfelder. Die Angst, dass die Energiekosten steigen, wächst - auch beim Regime. 2019 haben höhere Benzinpreise heftige Proteste ausgelöst. Bis zu 1500 Menschen sollen damals ums Leben gekommen sein.

Diese Gaskrise, so Beobachter, hat das Potential die Proteste, die abgeflaut sind, neu zu entfachen. In der 100.000-Einwohner-Stadt Torbat-e Jam und mindestens einer weiteren, so berichtet es die Denkfabrik "Institute for the Study of War", hat sich die Wut über das Missmanagement schon Bahn gebrochen: Ein Video im Internet zeigt Menschen, die in der Dunkelheit durch die Straßen ziehen. Sie rufen: "Nieder mit Khamenei."

Über dieses Thema berichtete NDR Info am 19. Januar 2023 um 12:35 Uhr.