Sicherheitsexperte zu Waffenlieferungen Ende eines politischen Mantras
Waffenlieferungen in den Irak sollten öffentlich intensiv debattiert werden - auch im Bundestag, meint Experte Janning im Gespräch mit tagesschau.de. Doch der Konflikt sei auch mit weiteren Waffen kaum zu lösen - und die Risiken unkalkulierbar.
tagesschau.de: Die Bundesregierung hat verkündet, sie sei grundsätzlich zu Waffenlieferungen in den Irak bereit. Kann man eine so weitreichende Entscheidung ohne Einbindung des Bundestags treffen?
Josef Janning: Ich bin grundsätzlich dafür, der Exekutive zuzugestehen, diese Entscheidung zu treffen, da die Regierung ja ohnehin von der Mehrheit im Bundestag abhängt. Außerdem hat Deutschland im internationalen Vergleich ohnehin bereits ein sehr hohes Maß an parlamentarischer Einbindung bei diesen Themen.
Aber man sollte das im Bundestag intensiv debattieren. Diese Debatte sollte der Politik wie der Öffentlichkeit deutlich machen, dass es in solchen Konflikten meist keine Alles-wird-gut-Option gibt, sondern dass es um das Abwägen zwischen mehr oder weniger riskanten Optionen geht. Und man sollte solche Einsätze auch nicht moralisch überhöhen: Nach einer guten Dekade Afghanistaneinsatz wissen wir, dass sich demokratische Strukturen nicht von außen erzwingen lassen, sondern nur von innen zu schaffen sind. Der Öffentlichkeit muss klar sein, dass es lediglich darum geht, die weitere Eskalation eines kaum lösbaren Konflikts zu verhindern. Ohne Erfolgsgarantie.
"Terror und Massenmord hat zu Umdenken geführt"
tagesschau.de: Ist diese Entscheidung nicht ein Tabubruch? Bisher galt die Devise, keine Waffen in umkämpfte Gebiete zu liefern.
Janning: Ja, das ist der Bruch mit einer bisherigen Grundregel. Aber wir haben es im Irak inzwischen mit einer massiven humanitären Katastrophe zu tun. Die Situation im Irak ist schon seit vielen Jahren desolat. Doch zu dem bisherigen Maß an Terror, der jede Woche Dutzende, wenn nicht Hunderte Tote gefordert hat, ist eine Dimension des Massenmords hinzugekommen. Und diese ethnisch und religiös begründeten Morde und Vertreibungen haben das Umdenken der Bundesregierung bewirkt.
Außerdem birgt die Zunahme an Instabilität und Staatsversagen im Irak kaum kalkulierbare Gefahren für die Region und auch für den europäischen Kontext. Das Kräfteverhältnis in Syrien und damit auch die Sicherheitslage des NATO-Partners Türkei werden erheblich beeinflusst. Auch diese Erkenntnis führt dazu, dass man das bisherige politische Mantra nicht einfach wiederholen will.
tagesschau.de: Spricht die Instabilität, die Sie ansprechen, nicht gerade gegen Waffenlieferungen?
Janning: Ja. Es ist ein Dilemma, über das man sich im Klaren sein muss. Wenn man Waffen in Spannungsgebiete liefert, kann man die Risiken im Vorfeld nie genau abschätzen. Im Irak kann man derzeit noch einigermaßen beurteilen, welche kurzfristigen Folgen Waffenlieferungen an die Kurden haben werden. Man kann aber nicht mit Sicherheit sagen, welche Auswirkungen das auf Dauer hat.
Wir haben zuletzt bei der Erbeutung moderner amerikanischer Waffensysteme durch IS-Kämpfer in Mossul gesehen, dass Waffen auch in falsche Hände geraten. Genauso muss man bei jetzigen Lieferungen in Kauf nehmen, dass sich die kurdischen Interessen in einigen Jahren wandeln und diese Waffen erneut zum Einsatz kommen - dann vielleicht gegen deutsche, europäische oder westliche Interessen.
"Keiner weiß, wie die Kurdenfrage sich entwickelt"
tagesschau.de: Welche Gefahren drohen?
Janning: Wenn aus der kurdischen Autonomie im Nordirak immer mehr eine Art Parastaatlichkeit wird, die sich auf die Kurdengebiete in Syrien, im Iran und im Osten der Türkei ausweitet, könnten sich daran neue Konflikte entzünden. Auch die etwas unklare Rolle der PKK im jetzigen Konflikt zeigt, dass es ein Potential für eine weitere Eskalation gibt. Die Bundesregierung hat keinen Einfluss darauf, wie sich die Kurdenfrage weiter entwickelt und auch nicht darauf, wie etwa die türkische Regierung damit künftig umgeht. Zwar sollte man die Verlässlichkeit der Kurden jetzt nicht öffentlich anzweifeln, aber unhinterfragt davon auszugehen, wäre dumm.
tagesschau.de: Welches politische Kalkül steckt hinter dem jetzigen Kurswechsel der Regierung?
Janning: Im Idealfall erhofft man, den IS-Kämpfern die Kontrolle über ihre Gebiete abzunehmen und zu verhindern, dass sie im Irak oder in Syrien einen eigenen Staat konstituieren - und zwar ohne eigene Soldaten zu entsenden.
Darüber hinaus spielen bündnispolitische Erwägungen eine Rolle. Die Bundesregierung will nicht mehr als der "Ohne-Michel" gesehen werden, der zwar die Analyse der Bedrohungslage teilt, aber keine eigenen Konsequenzen daraus zieht. Das hat Deutschland ja in der Vergangenheit oft gemacht, zuletzt in der Libyien-Krise und das möchte man jetzt nicht wiederholen. Es würde das politische Gewicht Deutschlands in Europa und innerhalb der NATO weiter verringern. Es passt auch nicht zu der politischen Aussage, für die Wahrung der eigenen Werte und Sicherheitsinteressen mehr Verantwortung übernehmen zu wollen.
"Der Irak ist bereits übermilitarisiert"
tagesschau.de: Aber es wurden bereits unzählige Waffen in diese Region, insbesondere in den Irak geliefert. Was sollen noch mehr Waffen jetzt verändern?
Janning: Der Irak ist in der Tat übermilitarisiert, und viele der in der Region vorhandenen Waffen sind westliche. Doch die Waffen befinden sich in den falschen Händen. Es gehört zum Dilemma von Waffenlieferungen, dass die Waffen sich nach Konfliktende nicht in Luft auflösen. Im Gegenteil, es ist eher wahrscheinlich, dass in Regionen mit einem solchen Konfliktpotential mehr Waffen auch zu mehr Kämpfen führen. Doch die jetzige Entscheidung fußt auf der Analyse, dass es jetzt Akteure braucht, die den Einfluss der islamistischen Extremisten brechen. Das geht nur über zusätzliche Waffenlieferungen, weil man den anderen die verfügbaren Waffen nicht aus der Hand nehmen kann.
tagesschau.de: Einerseits will Deutschland Waffen liefern, um die IS-Kämpfer zu stoppen, andererseits gibt es Rüstungsgeschäfte mit Katar, das die IS unterstützen soll. Ist das nicht widersprüchlich?
Janning: Auch das gehört zu den Dilemmata von Waffenexporten. Formal gesehen ist Katar und die Region um Katar herum kein Spannungsgebiet: Dort wird nicht gekämpft. Andererseits stärkt man einen Akteur, dessen Rolle in den Konflikten der Region nicht immer konstruktiv ist, sondern zum Teil auch Spannungen verstärkt. Das sehen wir ja auch an der katarischen Unterstützung der Muslimbruderschaft in Ägypten. Diesen Dilemmata kann man nur entgehen, wenn man sich grundsätzlich gegen Waffenexporte entscheidet, mit Ausnahme von Verbündeten.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de