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Interview

Motive für Rückzug aus Syrien "Russland ist als Verhandlungspartner zurück"

Stand: 15.03.2016 15:07 Uhr

Die wichtigsten Kriegsziele in Syrien hat Russland erreicht, meint der Nahostexperte Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik im tagesschau-Interview. Der Verbündete Assad sitze fester im Sattel denn je. Und als Verhandlungspartner bei internationalen Konflikten komme an Russland künftig niemand mehr vorbei.

tagesschau: Warum hat der russische Präsident Putin genau zu diesem Zeitpunkt den Abzug angeordnet und welches Kalkül steckt dahinter?

Markus Kaim: Er hat es ja selber in der Ankündigung angedeutet: Die russischen Kriegsziele, vor allem die politischen Ziele, sind erreicht. Russland ist als politischer Akteur in den Nahen und Mittleren Osten zurückgekehrt. Russland hat sich als Akteur präsentiert, mit dem man verhandeln muss, wenn es um eine Friedensregelung für Syrien geht. Und Präsident Assad als wichtigster Verbündeter Russlands im Nahen Osten sitzt fester im Sattel denn je. Damit sind die wichtigsten Kriegsziele erreicht. Auch die militärischen Anlagen bleiben erhalten. Damit vergibt sich Russland nichts und behält - auch im militärischen Sinn - weiter die Hebel in der Hand.

tagesschau: Wie ist das einzuschätzen?

Kaim: Das markiert eine Art Paradigmenwechsel der westlichen Russland-Politik oder präziser: der amerikanischen Russland-Politik. Vor wenigen Monaten noch hat sich Präsident Obama über den russischen Präsidenten oder die russische Außenpolitik eher lustig gemacht. Mittlerweile musste man anerkennen, dass Russland ein Akteur ist, der bei der Regelung von vielen internationalen Konflikten nicht auszuschließen ist. Das haben wir beim iranischen Nuklearprogramm gesehen und jetzt im Syrien-Konflikt. Und der amerikanischen Führung blieb kaum etwas anderes übrig, als Russland aufzuwerten.

tagesschau: Deutet dieser Abzug auch auf ein verändertes Verhältnis zwischen Putin und Syriens Machthaber Assad hin?

Kaim: Ob es sich auf Dauer verändert, kann man im Moment nicht sagen. Aber erkennbar in den letzten Wochen ist, dass es den einen oder anderen Dissens zwischen den Parteien gegeben hat. Russland hat auf die Waffenruhe gedrängt und hat die syrische Führung dazu gedrängt, dem jetzt in Genf gestarteten Friedensprozess zuzustimmen.

Vor diesem Hintergrund ist die syrische Ankündigung, Wahlen im April abzuhalten und dass über das Schicksal von Assad überhaupt nicht zu verhandeln sei, in Moskau doch mit hochgezogenen Augenbrauen aufgenommen worden. Ich glaube, es ist ein Doppelsignal von Moskau an Syrien: Man habe seine politischen Ziele mit dem militärischen Engagement erreicht. Und gleichzeitig will man Assad auch keine Carte blanche geben für eine weitere Eskalation.

tagesschau: Wie kommt dieser Abzug innenpolitisch in Russland an?

Die russische Führung hat immer betont, sie wolle kein weiteres Afghanistan. Es ist nie ihr Ziel gewesen, sich auf einen unbefristeten auch quantitativ unbegrenzten Konflikt einzusetzen. Und dieser Linie folgt sie doch sehr vorsichtig und konsequent. Und vor diesem Hintergrund ist es eine schlüssige Entscheidung, das militärische Engagement nicht ganz zu beenden - das muss man immer wieder betonen - sondern erheblich zu reduzieren.

Das Interview führte Kirsten Gerhard