Interview

Interview zu Korruptionsvorwürfen FIFA braucht neue Köpfe und neue Strukturen

Stand: 03.06.2015 15:14 Uhr

"Der Rücktritt von FIFA-Chef Blatter allein reicht nicht", sagt Sylvia Schenk von "Transparency International" im Gespräch mit tagesschau.de. Sie fordert neues Personal und verbesserte Strukturen bei der FIFA. Aber auch die UEFA müsse intern aufräumen.

tagesschau.de: Reicht der angekündigte Rücktritt von FIFA-Präsident Sepp Blatter aus?

Sylvia Schenk: Der Rücktritt allein reicht nicht aus. Es ist ein umfassender personeller Neuanfang notwendig. Unklar ist, was mit Generalsekretär Jérôme Valcke ist. Er ist schon lange umstritten und wird nun mit einer dubiosen Überweisung in Verbindung gebracht. Da täte ein Neuanfang auch an der hauptamtlichen Spitze gut. Außerdem gibt es weitere Personen im Exekutivkommittee und in dessen weiterem Umfeld, die in die Ermittlungen verstrickt sind. Man kann nur alle auffordern, gegen die ermittelt wird, den Weg freizumachen und einen personellen Neuanfang zu ermöglichen.

Zur Person

Sylvia Schenk setzt sich als Leiterin der Arbeitsgruppe Sport bei Transparency International Deutschland gegen Korruption ein. Als Leichtathletin nahm sie an den Olympischen Spielen 1972 in München teil. Nach einer Laufbahn als Richterin war sie von 1989 bis 2001 hauptamtliche Stadträtin in Frankfurt am Main mit den Ressorts Recht, Sport, Frauen und Wohnen. Über 30 Jahre lang hat sie sich ehrenamtlich im Sport engagiert und war von 2001 bis 2004 Präsidentin des Bundes Deutscher Radfahrer e.V.

Personeller Neuanfang und veränderte Struktur

tagesschau.de: Was muss sich bei der FIFA neben einem personellen Neuanfang ändern?

Schenk: Es geht um zwei große Bereiche: die Frage der Statuten und die Struktur der FIFA generell. Die FIFA hat weltweit Mitglieder und ist daher auch mit der Korruption in den einzelnen Ländern konfrontiert. Das wird mit hineingetragen in die Organisation und davor muss sie sich schützen. Zum Beispiel könnte die FIFA ihr Wahlsystem verbessern: Wie kommen die Vizepräsidenten ins Amt und wem gegenüber sind sie verantwortlich? Im Moment werden sowohl die Vizepräsidenten als auch die Beisitzer in den Kontinentalverbänden gewählt. Sie sind nur dem Kongress ihres jeweiligen Kontinentalverbandes gegenüber verantwortlich. Es wäre sinnvoll, dies zu ändern.

tagesschau.de: Warum?

Schenk: Im Moment überprüft zum Beispiel der südamerikanische Kontinent seine eigenen Kandidaten: Das halte ich nicht für hilfreich. Es braucht auch bei der FIFA zentral und unabhängig eine Verlässlichkeitsprüfung der Kandidaten. Die sollte ein externes Unternehmen durchführen, das dafür anerkannt ist. Genauso, wie es bei großen Aktienunternehmen üblich ist.

tagesschau.de: Also ein Schritt, um das System zu verändern?

Schenk: Um bestimmte Personen, die belastet sind, von vorneherein draußen zu lassen. Aber das alleine reicht auch noch nicht. Dann kommen die Strukturfragen mit hinzu: Das Compliance-System gehört auf den Prüfstand. Ebenso die Ethikkommission, die bisher nicht richtig funktioniert hat. Dort gab es im vergangenen Jahr viel Theater, als es um den Garcia-Bericht zu möglichen Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe der Weltmeisterschaften an Katar und Russlang ging. Dabei wurden Lücken deutlich.

tagesschau.de: Wer könnte Druck auf die FIFA ausüben, ihr System zu verändern?

Schenk: Im Moment gibt es so viel Druck auf die FIFA, das kann man kaum mehr steigern. Wenn Herr Blatter nicht noch in den Strudel von Ermittlungen gerät, hat er sich nun eine Grundlage geschaffen, um unabhängig von Wahlambitionen Reformvorschläge auf den Tisch zu legen. Da wird es wichtig sein, dass von allen Seiten konstruktive Beiträge geleistet werden. Dann geht es darum, auf dem Kongress Mehrheiten zu gewinnen.

"Schwache Rolle der UEFA"

tagesschau.de: Welche Rolle spielt dabei die UEFA?

Schenk: Die UEFA hat lange Zeit eine schwache Rolle gespielt. Sie hat einzelne Reformvorschläge nicht mitgetragen und zu Verzögerungen im Reformprozess beigetragen. Sie ist erst ganz zum Schluss, als in der Öffentlichkeit schon sehr deutlich wurde, dass der Druck gegen Blatter nicht nachlassen würde, in die Reihe der Kritiker eingeschwenkt. Sie hat im Grunde keine Strategie gehabt. Die UEFA sollte sich selbst sortieren und auch in den eigenen Reihen aufräumen. Wir haben durchaus auch Korruptionsprobleme im europäischen Fußball. Da muss man gar nicht auf andere Kontinente schauen. Da gibt es einiges zu tun bei der UEFA und innerhalb Europas.

"UEFA sollte mit gutem Beispiel voran gehen"

tagesschau.de: Was müsste konkret bei der UEFA der nächste Schritt sein? Sollte UEFA-Chef Platini auch den Weg freimachen?

Schenk: Die, die wissen, dass gegen sie ermittelt wird, sollten den Weg freimachen. Wenn Platini darunter fällt, dann gilt das auch für ihn. Ansonsten braucht auch die UEFA entsprechende Strukturen wie die FIFA. Sie muss schauen, wie sie es mit Verlässlichkeitsprüfungen für Kandidaten, die sie auf FIFA-Ebene schickt oder im eigenen Exekutivkommittee hat, hält. Bei den Verlässlichkeitsprüfungen, die ich beschrieben habe, könnte die UEFA mit gutem Beispiel vorangehen und anfangen.

tagesschau.de: Gibt es auch bei den Strukturen des DFB Handlungsbedarf?

Schenk: Der DFB ist für seinen eigenen Bereich satzungsmäßig gut aufgestellt. Er sollte aber auf UEFA- und FIFA-Ebene sein Gewicht in die Wagschale werfen und konstruktive Beiträge leisten.

tagesschau.de: Was ist die größte Herausforderung für den Nachfolger von Sepp Blatter?

Schenk: Das kommt drauf an, ob es einen geordneten Übergang gibt oder nicht. Wenn Herr Blatter es schafft, so wie er es angekündigt hat, sehr umfassende Reformvorschläge auf den Tisch zu legen, den Kongress darüber erfolgreich abstimmen zu lassen, gute Änderungen vorgenommen werden und in weiteren Funktionen ein personeller Neuanfang gelingt, dann hat es der Nachfolger relativ leicht. Wenn das nicht gelingt, weil Herr Blatter wegen Ermittlungen kurzfristig zurücktreten muss, dann wird erstmal Chaos herrschen. Dann müsste einer, der neu ins Amt kommt, erstmal die Änderungen einleiten. Das wäre kein geordneter Übergang und sehr schwierig.

Das Interview führte Barbara Schmickler, tagesschau.de.