Russische Soldaten halten Gewehre.

Russisch besetzte Gebiete Berichte über Zwangsrekrutierungen

Stand: 28.09.2022 16:32 Uhr

Angesichts der ausbleibenden Erfolge im Krieg gegen die Ukraine will Russland neue Soldaten an die Front schicken - auch aus den besetzten Gebieten. Dort werden Betroffene gegen ihren Willen eingezogen.

Von Andrea Beer, WDR, zzt. in der Ukraine

Russland zwingt Hunderttausende weitere Soldaten an die Waffen. Die Ukraine macht dagegen mobil und ruft Männer in Russland dazu auf, sich einer Einberufung zu entziehen. Ein Spot im ukrainischen Fernsehen zählt Möglichkeiten auf, eine Vorladung in eines der berüchtigten Militärkommissariate zu vermeiden. Krankheit, Verletzung, schlechte Gesundheit naher Angehöriger, aber auch Naturkatastrophen könnten als Entschuldigung gelten, heißt es da unter anderem.

Während sich Russen scharenweise ins Ausland absetzten, macht Moskau vor Zwangsrekrutierungen in der Ukraine nicht halt. Sie hätten dutzende Anfragen von Männern in den russisch besetzten ukrainischen Gebieten, sagt Oleksandra Matviichuk, Direktorin des "Zentrums für bürgerliche Freiheiten" - eine regierungsunabhängige Organisation in Kiew. "Wir kennen nicht alle Einzelfälle, aber wir bekommen viele Anfragen von Menschen in den besetzten Gebieten, die von der Straße entführt wurden und nun gezwungen werden, gegen ihr eigenes Land zu kämpfen."

Auf Annexion folgt die Mobilisierung

Männer im wehrfähigen Alter in den besetzten Gebieten seien gefährdet, ist auch Wadim Bojtschenko alarmiert. Er ist der frei gewählte Bürgermeister von Mariupol und musste die besetzte Hafenstadt schon vor Monaten verlassen. Die russischen Besatzer würden nun die völkerrechtswidrige Annexion der Gebiete und damit auch die illegale Mobilisierung von Ukrainern vorbereiten.

Er stehe mit den verbliebenen Einwohnerinnen und Einwohnern der Stadt in Kontakt, erzählt Bojtschenko: "Vor einer Woche sind noch 100 Menschen am Tag aus Mariupol weg und vorgestern waren es nur noch acht. Das heißt, die Stadt wurde schon geschlossen und sie lassen niemanden mehr raus. Es ist klar, dass sie auf die Pseudolegalisierung warten, um mit der Mobilisierung zu beginnen."

Mariupol liegt im zum großen Teil russisch besetzten Gebiet Donzek. Bojtschenko ruft die Betroffenen auf, dieses so schnell wie möglich zu verlassen.

"Verstecken Sie sich und retten Sie Ihr Leben"

Für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sind die Zwangsabstimmungen unter anderem ein "zynischer Versuch", die Männer in den besetzten Gebieten für die russische Armee zu mobilisieren. Auch er ermutigte die betroffenen ukrainischen Männer, sich einer Zwangseinberufung durch die russischen Besatzer zu entziehen. "Verstecken Sie sich vor russischer Mobilisierung und retten Sie Ihr Leben", appellierte Selenskyj.

"Vermeiden Sie Vorladungen. Versuchen Sie, in das freie Territorium der Ukraine zu gelangen. Aber wenn Sie doch in der russischen Armee landen, dann sabotieren Sie jede feindliche Aktivität, greifen Sie in russische Operationen ein und geben Sie uns alle wichtigen Informationen über die Besatzer: Ihre Stützpunkte, Hauptquartiere, Munitionsdepots. Und gehen Sie bei der ersten Gelegenheit zu unseren Positionen. Tun Sie alles, um Leben zu retten und zur Befreiung der Ukraine beizutragen."

Verstoß gegen die Genfer Konvention

Zwangsrekrutierung sei ein klarer Verstoß gegen die Genfer Konvention, konstatiert die Kiewer Menschenrechtsanwältin Oleksandra Matviitschuk. In den besetzten Gebieten rund um Donezk und Luhansk und auf der 2014 von Russland annektierten Halbinsel Krim sei das auch vor der russischen Invasion am 24. Februar und den Pseudoabstimmungen ein großes Problem gewesen. Schon im Februar hätten viele Männer aus den besetzten Gebieten um Hilfe gebeten, so Matviitschuk.

"Sie schrieben, dass sie sich in ihren Wohnungen verstecken und Angst haben auf die Straße oder einkaufen zu gehen, weil sie dort gefangen werden können. Dann haben die Ukrainer verstanden, dass sie nichts tun können und das ist sehr tragisch für mich, sowohl als Menschenrechtsaktivistin, als aus als Mensch. Denn mir ist klar, dass es im Moment keinen rechtlichen Mechanismus gibt, wie ich Ihnen helfen kann." 

Andrea Beer, WDR, 28.09.2022 15:38 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 28. September 2022 um 17:15 Uhr.