Bergdorf Brienz in der Ostschweiz nach einem massiven Erdrutsch.

Brienz in Graubünden Gewaltiger Felssturz verfehlt Schweizer Bergdorf knapp

Stand: 16.06.2023 13:59 Uhr

Seit Wochen bahnte sich in dem Schweizer Bergdorf Brienz ein Felssturz an. Live-Kameras zeigten herabdonnernde Felsbrocken. In der Nacht erreichte das Naturereignis seinen Höhepunkt. Die Gefahr ist aber noch nicht vorüber.

Mit lautem Getöse hat sich in der Nacht der seit Wochen erwartete Felssturz bei Brienz in der Schweiz ereignet. Riesige Felsmassen stürzten den Hang hinunter und blieben nur wenige Meter vor dem alten Schulhaus des Bergdorfes auf rund 1100 Metern Höhe liegen. Eine Straße oberhalb des Dorfes liege meterhoch unter Schutt, sagte Christian Gartmann, Sprecher der Gemeinde Albula, zu der Brienz gehört.

Der Felssturz passierte zwischen 23 Uhr und Mitternacht. Im ganzen Talkessel sei es sehr laut gewesen. Der Krisenstab der Gemeinde tagte zweimal in der Nacht und wertete am frühen Morgen erste Fotos aus.

"Brienz hatte großes Glück", sagte Gartmann dem Sender SRF. "Wir gehen im Moment nicht davon aus, dass es Schäden gab." Ob die Wohnhäuser und die Kirche aber wirklich völlig verschont blieben, sollte im Laufe des Tages bei einen Helikopterflug geprüft werden.

Splittersteine können "wie eine Kanonenkugel" schießen

"Bei solchen Ereignissen krachen manchmal Felsblöcke auf andere Blöcke. Dann gibt es Splittersteine von der Größe einer Faust bis zu einem Fußball", sagte Gartmann. Sie könnten "wie eine Kanonenkugel" Hunderte Meter durch die Luft schießen und Fensterscheiben oder andere Gebäudeteile beschädigen.

Brienz im Kanton Graubünden rund 25 Kilometer Luftlinie südwestlich von Davos ist seit Wochen gesperrt. Niemand hält sich dort auf. Nur installierte Kameras haben rund um die Uhr aufgezeichnet, was passiert.

Am Mittwoch waren bereits riesige Felsbrocken abgestürzt. Sie blieben nach erstem Augenschein auf den Wiesen vor dem Dorf liegen. Vorher-Nachher-Bilder zeigen nun die massiven Veränderungen im Landschaftsbild. Am Vortag waren in dem Gebiet noch nackte Felsen, einzelne Brocken, helles und dunkles Gestein sowie darunter Wiesen, Bäume und eine Holzhütte zu erkennen. Am Freitag lag dies alles unter einem gigantischen grauen Schuttberg.

Karte der Schweiz mit Zürich und Brienz

Tour-de-Suisse-Etappe abgesagt

Unterhalb des Dorfes waren vorsichtshalber Straßen und Bahnstrecken gesperrt worden. Der Bahnverkehr in den Ferienort St. Moritz wird umgeleitet, weil die Strecke zwischen Tiefencastel und Filisur gesperrt ist, wie ein Sprecher der Rhätische Bahn sagte.

Der sechste Etappenstart des Fahrradrennens Tour de Suisse war wegen des Felssturzes zunächst von La Pont nach Chur verlegt worden. Später wurde die Etappe wegen des tödlichen Sturzes des Schweizer Radprofis Gino Mäder offiziell abgesagt.

Klimawandel nicht der Auslöser

Anders als beim jüngsten Bergsturz in Tirol in Österreich ist in Brienz nicht der Klimawandel Auslöser. Er führt andernorts dazu, dass der Permafrost schmilzt - also das Eis, das Fels in großen Höhen wie Klebstoff zusammenhält.

In Tirol waren am vergangenen Sonntag rund 100.000 Kubikmeter abgestürzt. Hunderte Meter des Südgipfels des Fluchthorn-Massivs samt Gipfelkreuz brachen ab. Das Felsmaterial landete fernab von bewohnten Gebieten und gefährdete niemanden. Der Berg oberhalb von Brienz ist nach Angaben von Experten aber seit Jahrtausenden in Bewegung. Die Rutschung hatte sich über Jahre beschleunigt.

Dorfbewohner seit Mitte Mai in Sicherheit

Diese Woche rutschten die Felsmassen schon mit einer Geschwindigkeit von 40 Metern pro Tag. Als es im Frühjahr zu brenzlich wurde, hatte die Gemeinde beschlossen, die etwa 80 Einwohner in Sicherheit zu bringen. Sie harren seit Mitte Mai bei Verwandten oder in Ferienwohnungen in der Region aus.

In Brienz rechneten Geologen mit dem Abrutschen von zwei Millionen Kubikmetern Gestein - 20 Mal so viel wie in Tirol. Wie viel davon in der Nacht heruntergekommen ist, ist noch nicht abzuschätzen. Außerdem ist noch unklar, ob weiterhin Gestein Richtung Dorf rutscht. "Wir gehen derzeit davon aus, dass dies leider noch nicht ganz alles war", sagte Gemeindesprecher Gartmann. Entsprechend sei nicht abzusehen, wann die Menschen ins Dorf zurückkehren können.

Kathrin Hondl, ARD Genf, tagesschau, 16.06.2023 16:54 Uhr

In einer früheren Version des Textes hatten wir von Brienz im Berner Oberland gesprochen. Es handelt sich aber um den Ort Brienz in Graubünden. Wir haben dies korrigiert.

Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen