Ein Mann fotografiert zwei Kremltürme mit einer Handkamera.

Rückkehrer nach Russland "Mir wurde klar: Niemand wartet dort auf dich"

Stand: 21.10.2023 17:32 Uhr

Hunderttausende verließen Russland nach Beginn der Invasion in die Ukraine, unter ihnen viele Fachkräfte aus der Informatik. Inzwischen sind viele wieder da - und finden sich ins alte Leben ein.

In einem modernen Bürogebäude im Süden Moskaus direkt am Ufer der Moskwa hat eine große russische Bank ihren Sitz - mit angeschlossenem Café im Erdgeschoss. Alexej kommt rein, im richtigen Leben heißt er anders. Er ist ein gut bezahlter IT-Spezialist, 30 Jahre alt und erklärter Gegner des Krieges gegen die Ukraine - weshalb er früh darüber nachdachte, Russland zu verlassen:

"Am Tag des Kriegsbeginns, am 24. Februar 2022, ging ich abends raus zu einem Protest - es waren aber nur halb so viele Leute dort wie Polizisten", erinnert er sich. "Da wurde mir klar: Kundgebungen haben keinen Sinn mehr. Und ich dachte über die Ausreise nach. Aber ich hatte mir grade einen Traum erfüllt und eine Wohnung auf Kredit gekauft, in der ich erst seit drei Monaten lebte."

Alexej blieb - zunächst. Aber dann kam die Einberufungswelle im vergangenen September. "Es war offensichtlich, dass es mit dem schnellen Krieg nicht geklappt hat, er lange dauern würde und sehr wahrscheinlich sehr viele Menschen gebraucht würden", sagte er. "Ich war empört darüber, dass der Staat glaubte, mir sagen zu können: 'Wir schicken Dich in den Krieg' - und ich das nicht ablehnen kann. Ich dachte, nun, es ist Zeit zu gehen."

Der erste Monat verging wie im Urlaub

So entschloss sich Alexej, gemeinsam mit einem Kollegen im vergangenen September auszureisen. Morgens um neun Uhr zum Arbeitgeber, Kündigung schreiben, Laptop abgeben, mit dem Auto Richtung Georgien fahren. Er zeigt Handyfotos vom Chaos, das sie  an der Grenze erlebten - einen Mega-Stau Ausreisewilliger, in dem sie fünf Tage steckten. Schnell waren Wasser und Lebensmittel ausverkauft.

Alexej kam nach Batumi, fand mit seinem Freund eine Wohnung, einen Homeoffice-Job für eine russische Firma - der erste Monat verging wie im Urlaub, schwärmt er noch heute. Aber dann kamen erste Schwierigkeiten und die leisen Zweifel. Praktische Probleme, weil sich Georgien westlichen Sanktionen anschloss und der Geldtransfer vom Arbeitgeber in Russland komplizierter und teurer wurde, die Sprachbarriere, das Gefühl, dass auch die größte Gastfreundschaft endlich ist.

Schließlich die Überlegung, in eine Metropole nach Westeuropa zu ziehen: "Es stellte sich heraus, dass die Ukrainer dorthin gehen, weil sie wirklich in Gefahr sind - weshalb sich alle über sie freuen", sagt Alexej. "Aber bei den Russen gibt es eine andere Einstellung. Und mir wurde klar: Niemand wartet dort auf dich."

Ausreise blieb bislang ohne Folgen

Er habe das Gefühl gehabt, als sei in seinem Leben die Pausentaste gedrückt worden, während zu Hause Freunde, Bekannte, die Familie weiterlebten - und er sei allein gegangen, ohne Freundin. Und so kehrte Alexej Ende Februar nach einem halben Jahr zurück. Er fand als IT-Spezialist sofort eine gut bezahlte Arbeit. 

Russland zwischenzeitlich verlassen zu haben, bereut er nicht: "Ich habe Putin mein ganzes Leben lang nicht gemocht. Ich mag ihn immer noch nicht, ich habe ihn nie gewählt und ich werde das nicht tun. Natürlich akzeptiere ich nicht, was passiert. Ich war gegen die Mobilisierung, und ging deshalb weg."

Vor einer Mobilisierung müsse er sich nicht fürchten, obwohl er 30 Jahre alt und Reservist sei - denn, sagt Alexej, er habe von seiner Bank schriftlich eine Freistellung bekommen: Er sei im Job zu wichtig. Bislang blieb es für ihn folgenlos, dass er seinem Land wegen des Krieges den Rücken kehrte.

Aber gehört hat er natürlich auch vom Duma-Chef Wjatscheslaw Wolodin, der Rückkehrer, die nicht voll hinter der russischen Armee stehen, am liebsten nach Magadan schicken würde - dorthin also, wo unter Stalin Straflager standen, in denen über eine Million Menschen starben. 

Also: Wann würde Alexej tatsächlich erneut die Koffer packen? "Wenn das mit der Zwangsarbeit, mit Magadan, wirklich kommt, dann bin ich weg. Ich werde keine Bahnstrecken bauen", sagt er - und lacht.

Frank Aischmann, ARD Moskau, tagesschau, 20.10.2023 15:26 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 21. Oktober 2023 um 10:07 Uhr.