Grenzübergang zwischen Polen und der Ukraine

Viele Ukrainer erwartet Polen bereitet sich auf Flüchtlinge vor

Stand: 15.02.2022 12:41 Uhr

Polens Regierung rechnet für den Fall eines möglichen russischen Angriffs auf die Ukraine mit bis zu einer Million Flüchtlingen. Städte und Gemeinden wurden nun aufgefordert, sich darauf vorzubereiten.

Wie viele Menschen tatsächlich nach Polen fliehen könnten, darüber gehen die Schätzungen auch von Regierungspolitikern weit auseinander. Mal ist im Fall eines offenen Kriegs Russlands gegen die Ukraine von Hunderttausenden Menschen, mal von bis zu einer Million Menschen die Rede.

"Hauptwelle wird nach Polen und Rumänien gehen"

Am weitesten ging Andrzej Dera, Berater des Staatspräsidenten: "Die Hauptwelle der Flüchtlinge wird sicher nach Polen und Rumänien gehen, also in die unmittelbaren Nachbarländer der Ukraine. Wir bereiten uns darauf vor, wenn auch schwer zu sagen ist, welches Ausmaß das alles haben wird. Es können Hunderttausende bis zu ein paar Millionen sein." Alles hänge davon ab, was dort passieren werde, fügt Dera hinzu. Krieg sei eine Tragödie, und es "gibt bei uns Menschen, die sich an ihn noch erinnern."

Polnische Ortschaften sollen sich vorbereiten

Zeitgleich mit den Warnungen aus den USA, ein Angriff Russlands stehe womöglich unmittelbar bevor, informierte die Warschauer Regierung über entsprechende Vorbereitungen. Krzystof Kosinski, Kleinstadt-Bürgermeister und Sekretär des polnischen Städtebunds, erklärte, größere wie kleinere Ortschaften seien aufgefordert worden, kurzfristig geeignete Objekte auszuweisen, in denen die Unterbringung geflüchteter Ukrainer möglich ist. "Den Kommunen wurde versichert, dass das zu 100 Prozent vom Zentralstaat finanziert wird. Sie sollen Orte auswählen und erklären, wie viele Personen dort jeweils untergebracht werden können."

Bestehende Einrichtungen bereits gut gefüllt

Die bestehenden Aufnahmeeinrichtungen sind wegen der Menschen aus dem Irak, Syrien und anderen Ländern, die seit dem Sommer über die sogenannte Belarus-Route ins Land kamen, inzwischen gut gefüllt. Menschenrechtsgruppen berichten über eher unwürdige, gefängnisartige Zustände dort. Mehrfach kam es bereits zu Unruhen in den Einrichtungen. In diesem Rahmen aber ging es um mehrere Tausende und nicht wie jetzt um womöglich Hunderttausende Menschen.

Hinzu kommt, dass in Polen bereits viele hunderttausende ukrainische Wander- und Gastarbeiter mehr oder weniger ständig leben - viele davon mit Duldung oder befristeten Aufenthaltsgenehmigungen und meist aus rein wirtschaftlichen Gründen. Es handelt sich um anderthalb Millionen Menschen laut Außenministerium. Insbesondere Familien aus der West-Ukraine haben somit regelmäßig bereits Standbeine in Polen, was den Zuzug und auch die private Unterbringung erleichtern dürfte.

Dera: "Wohl nicht imstande, alle aufzunehmen"

Diese Menschen werden im Dauerboom-Land Polen wegen des Mangels an Arbeitern in vielen Bereichen auch dringend benötigt. Da im Land vielfach Vollbeschäftigung herrscht, gibt es kaum Konkurrenzsituationen. Nun aber kommen doch auch Sorgen auf: Präsidentenberater Dera meinte im polnischen Fernsehen:

Das wird ein Test des wahren Humanismus. Polen wird natürlich so viele Flüchtlinge aufnehmen wie es nur kann, aber wir sind wohl nicht imstande, alle aufzunehmen. Es wird ein gemeinsames Bemühen aller europäischen Länder sein, da die Menschen in diese Richtung fliehen. Wir sind vorbereitet, aber werden doch auch Unterstützung brauchen. In außerordentlichen Situationen braucht man Solidarität.

Polen gehörte im Rahmen der in Europa 2015 eigentlich vereinbarten Umverteilung von Flüchtlingen aus Syrien und anderen Ländern zu den Totalverweigerern. Polen und Ungarn nahmen damals keinen einzigen Menschen im Rahmen des Mechanismus auf, der zur Entlastung von EU-Außenländern wie Italien oder Griechenland eingeführt worden war - zu Unrecht, wie der Europäische Gerichtshof bereits 2020 urteilte.

In der Debatte um eine Reform der europäischen Flüchtlingspolitik sprach sich Polen bislang in erster Linie für Hilfen vor Ort, sichere Grenzen und Abschiebungen aus.

Jan Pallokat, ARD Warschau, 15.02.2022 11:18 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Kultur am 15. Februar 2022 um 06:08 Uhr.