Eingang zum Checkpoint H2.
weltspiegel

Reservisten im Westjordanland Siedler-Gewalt in Hebron

Stand: 11.02.2024 07:18 Uhr

Seit Kriegsbeginn hat Israel Tausende Siedler zur Armee eingezogen. Angriffe auf Palästinenser im Westjordanland nehmen zu. In Hebron wurden Menschenrechtsaktivisten nach eigenen Aussagen sogar gefoltert. Was ist da los?

Von Hanna Resch, ARD Studio Tel Aviv zzT. München

Issa Amro fürchtet sich. Dabei bezeichnet er sich selbst als einen der mutigsten palästinensischen Menschenrechtsaktivisten. "Aber aktuell habe ich Angst. Angst um mein Leben. Angst, geschlagen zu werden. Angst davor, festgenommen zu werden."

Die Menschen, die Amro Angst machen, sind Siedler. Also israelische Staatsbürger, die aus verschiedenen Gründen auf palästinensischem Gebiet im Westjordanland siedeln und damit gegen das Völkerrecht verstoßen.

Ein kleiner Teil von ihnen ist bereit, für ihre Ideologie auch Gewalt anzuwenden. Amro ist Opfer davon geworden.

Gewalt gegen Palästinenser durch militante Siedler in Hebron

Hanna Resch, ARD Tel Aviv, Weltspiegel, 11.02.2024 18:30 Uhr

Hebron - die gespaltene Stadt

Issa Amro wohnt in Hebron, einer palästinensischen Stadt im Süden des Westjordanlandes. Das Besondere an Hebron: In einem Teil der Innenstadt leben israelische Siedler. Sie sehen es als ihr gottgegebenes Land und sind aus religiös-nationalistischen Gründen hier.

Hebron ist eine heilige Stadt für Juden und Muslime. 1997 ist sie in zwei Gebiete geteilt worden: H1 unter palästinensischer ziviler und sicherheitspolitischer Kontrolle. Und H2: unter israelischer militärischer Kontrolle.

Menschen am Checkpoint zwischen H1 und H2

Palästinenserinnen und Palästinenser, die sich innerhalb Hebrons bewegen wollen, müssen mehrere Checkpoints passieren.

Militärpräsenz und Gewalt

Überall im israelisch kontrollierten Teil der Stadt sind Überwachungssysteme angebracht, und die israelische Militärpräsenz ist hoch. Palästinenser müssen durch Kontrollposten, wenn sie in den palästinensischen Teil oder zurück wollen. Sie berichten regelmäßig von Schikanen.

Gewisse Straßen dürfen Palästinenser nicht benutzen, auch wenn ihre Häuser dort stehen. Autos dürfen sie hier nicht fahren. Das heißt, auch Amro muss seine Einkäufe teilweise kilometerweit schleppen.

Die Siedler hingegen können mit ihrem Auto direkt vor ihre Haustür fahren. Für sie gelten die Einschränkungen nicht. Die israelische Armee sagt, nur so könne sie die Sicherheit für die israelischen Siedler gewährleisten.

Eingang zum israelischen Checkpoint H2.

Nach den Terrorangriffen der Hamas auf Israel wurden die Restriktionen gegen die palästinensischen Bewohner weiter verschärft.

Der Krieg hat alles verschärft

Nach den terroristischen Angriffen der Hamas in Israel am 7. Oktober wurden die Restriktionen noch weiter verschärft. Zwei Wochen lang mussten die palästinensischen Familien im israelisch kontrollierten Teil damals ohne frische Lebensmittel, Apotheken und Zugang zu Dienstleistern wie Müllabfuhr oder Elektriker auskommen. Die Menschen waren eingesperrt.

Mittlerweile hat das Militär die Checkpoints wieder geöffnet. Palästinensische Anwohner können zumindest unregelmäßig wieder rein und raus - manchmal an drei Tagen in der Woche, manchmal nur für wenige Stunden am Tag.

Siedler in Uniform

Issa Amro ist in den letzten Jahren Zeuge von vielen Menschenrechtsverletzungen geworden. Aber die aktuelle Situation sei anders, sagt er. "Ich habe Zementblöcke vor meinem Fenster aufgestellt, um mich zu schützen, wenn ich schlafe. Sie haben viele Palästinenser in ihrem Zuhause erschossen."

Er steht in seinem dunklen, stickigen Schlafzimmer. Die Zementblöcke, die Kugeln abfangen sollen, lassen kaum Luft oder Sonnenlicht herein. Da hört Amro Geräusche vom Nachbargrundstück, er wirkt angespannt.

Seine Nachbarn sind israelische Siedler. Am 7. Oktober hielten sie ihn in Armeeuniformen davon ab, zu seinem Haus zu kommen, nahmen ihn dann fest, sagt er.

Ich wurde für zehn Stunden gekidnappt, gefoltert, sexuell erniedrigt, sie haben gedroht, mich zu töten.
Issa Amro

Issa Amro fürchtete um sein Leben, als ihn seine Nachbarn in Armeeuniform davon abhielten, zu seinem Haus zu kommen und ihn festnahmen. Er hat sie angezeigt.

Einige nutzen die militärische Autorität aus

Am Ende lassen die Siedler Amro gehen. Die Todesangst, sagt er, wird er aber nie vergessen. Er hat die Siedler verklagt und wartet seit Wochen auf Antwort der israelischen Armee.

Auf ARD-Anfrage schreibt die Presseabteilung, dass die Vorfälle geprüft würden. Was Issa Amro passiert ist, ist offenbar kein Einzelfall. Immer mehr Siedler gehen in den letzten Monaten uniformiert gegen Palästinenser vor.

Es ist mittlerweile schwer zu unterscheiden, wer von ihnen die Uniform ohne tatsächlichen Auftrag anzieht und wer wirklich Soldat ist. Immerhin sind in den letzten Monaten mehr als 5.000 Siedler in die Reihen der "Regionalverteidigungsbataillone" der israelischen Armee eingezogen worden.

Einige von ihnen nutzen ihre militärische Autorität aus, um ihre ideologischen Ansichten gegenüber ihren Nachbarn gewaltsam durchzusetzen.

Siedler als Reservisten

"Mit Ausbruch des Krieges wurden tausende ehemalige Reservisten aufgefordert, wieder in den Reservedienst einzutreten", erklärt das Militär. Die Armee habe ein verkürztes Prüfungsverfahren für jeden Einzelfall.

Entscheidungen über erneute Einstellungen treffe man unter Berücksichtigung aller relevanter Faktoren zu jedem individuellen Fall. 2023 war das Jahr mit den meisten gewalttätigen Angriffen von Siedlern auf Palästinenser im Westjordanland.

Menschenrechtsorganisationen berichteten von zehn getöteten Palästinensern, Dutzenden niedergebrannten Häusern. Das zuständige UN-Büro zählt über 1.200 Vorfälle im Verlauf des Jahres 2023.

Karte: Hebron, Westjordanland und Israel

Diese Reportage sehen Sie am Sonntag, 11.02.2024 um 18:30 im Weltspiegel im Ersten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der Weltspiegel im Ersten am m 11. Februar 2024 um 18:30 Uhr.