Der Dorfladen und das Postamt in South Warnborough in Großbritannien

Postskandal in Großbritannien Hoffen auf Entschädigung und Gerechtigkeit

Stand: 13.01.2024 13:00 Uhr

Hunderte Betreiber britischer Postfilialen wurden zwischen 1999 und 2015 zu Unrecht wegen Betrugs verurteilt. Nun haben die Betroffenen endlich nationale Aufmerksamkeit bekommen - durch eine TV-Dokumentation.

1999 stellten rund 700 leitende Angestellte britischer Postfilialen fest, dass ihr neu eingeführtes Computersystem Horizon von der japanischen IT Firma Fujitsu bei der Abrechnung Fehler produziert.

Doch die Post sprach von Einzelfällen und gab den einzelnen Filialleitern die Schuld. Diese mussten fehlendes Geld ersetzen. Hunderte wurden verklagt, mussten Unsummen bezahlen, gingen bankrott, verloren ihren guten Ruf, ihr Erspartes, ihre Familie, gingen ins Gefängnis. Einige nahmen sich das Leben. Es sei ein Kampf David gegen Goliath gewesen, sagen die Betroffenen. Die Post mit dem Staat im Rücken gegen "abgebrannte kleine Leute".

Später Sieg der Gerechtigkeit

Dieses Drama hat sich in Großbritannien in den vergangenen 25 Jahren abgespielt. 2019 errangen 555 Filialleiter vor Gericht dann doch einen Sieg über die Post. Die Computersoftware hatte die Fehlbeträge verursacht. Trotzdem wurden erst weniger als 100 der damaligen Gerichtsurteile aufgehoben. Seit 2022 läuft ein Untersuchungsausschuss. Doch es schien keine Eile zu geben - bis vergangene Woche der Fernsehsender ITV einen Vierteiler über den Justizskandal ausstrahlte.

Seitdem ist das Post-Office-Drama auf den Titelseiten, und Regisseur James Strong ist gerührt: "Wir hatten auf Aufmerksamkeit für die Opfer und ihre Geschichte gehofft, aber dass die Regierung jetzt innerhalb weniger Tage ein Amnestiegesetz angekündigt hat, das ist überwältigend."

Sunak reagiert auf Solidaritätswelle

Premierminister Rishi Sunak erklärte, in einem der größten Justizskandale der britischen Geschichte sollten die Opfer durch ein neues Gesetz bis Jahresende Gerechtigkeit und Entschädigung erhalten. Die Verurteilungen sollen kollektiv aufgehoben werden, per Abschlagssumme soll entschädigt werden.

Bei aller Sympathie mit den Betroffenen ist es nicht unumstritten, dass die Regierung die Gerichtsurteile mit einem Federstrich wegwischen will. Dass Sunak auf die Solidaritätswelle, die durchs Land schwappt, so schnell reagiert, dürfte auch daran liegen, dass in Großbritannien in diesem Jahr gewählt wird. Betroffenen soll jetzt zunächst eine Summe von 75.000 Pfund ausgezahlt werden.

Betroffene werden jetzt entschädigt

Sally Stringer kämpft mit den Tränen. Sie musste mit ihrer Rente die Post auszahlen. Jetzt, alt und gebrechlich, habe sie endlich wieder eine Art Sicherheit. Tim Brentnall hat wie viele Betroffene nicht mehr viel Vertrauen in staatliche Institutionen. Er hofft, dass der entstandene öffentliche Druck die Regierung nun auch wirklich zum Handeln zwingt. Bisher gab es weder bei der verantwortlichen IT-Firma Fujitsu noch bei der Post Konsequenzen.

Paula Vennells, Postchefin von 2012 bis 2019, gab in dieser Woche wegen des öffentlichen Drucks ihren königlichen Orden zurück, eine Auszeichnung wegen ihrer Verdienste um die Post. Einige meinen, sie solle vor allem ihre Bonuszahlungen in Millionenhöhe zurückgeben.

Der ehemalige Poststellenleiter Harjinder Butoy, der 18 Monate lang im Gefängnis saß, sagte der BBC, ihm sei vor allem wichtig, dass nun endlich die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen würden.

Gabi Biesinger, ARD London, tagesschau, 13.01.2024 10:57 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 09. Januar 2024 um 09:11 Uhr.