Mann hält Smartphone in den Händen

Spähsoftware Predator Griechenlands "Watergate"-Skandal

Stand: 11.10.2022 11:36 Uhr

Ein griechischer Oppositionspolitiker und ein Journalist wurden mit einer Spionagesoftware abgehört. Die Regierung streitet jede Beteiligung ab - doch es gibt Verbindungen zwischen ihr und der Firma, die die Spähsoftware vertreibt.

Der kleine Saal ist bis auf den letzten Platz besetzt. Etwa 200 Menschen hängen an den Lippen des Mannes, der extra aus Kanada angereist ist: Bill Marczak vom Citizen Lab der Universität Toronto beschäftigt sich seit Jahren mit Pegasus, einer Überwachungssoftware der israelischen Firma NSO Group. Seine Forschungsergebnisse dazu haben weltweit für Schlagzeilen gesorgt.

Kanadische Experten finden weitere Spähsoftware

Im Juli 2021 untersuchten Marczak und seine Kollegen das Handy eines Menschenrechtsaktivisten aus Saudi-Arabien und entdeckten dort neben Pegasus noch eine zweite neue Spionagesoftware. "Die Spyware trug mehrmals den Namen Predator im Software-Code, was uns sehr interessiert hat." Sie begannen mit der Untersuchung und fanden einen infizierten Link auf dem Handy. Klickt man darauf, installiert sich Predator automatisch und das Mobiltelefon selbst wird zur modernen Wanze.

Marczak und sein Team wollten wissen, wer hinter Predator steckt: "Letztendlich haben wir 28 IP-Adressen gefunden, die den gleichen digitalen Fingerabdruck hatten wie die Website zu dem infizierten Link. Eine davon war eine Website, die auf Cytrox.com endete, und Cytrox […] gehört zu den Firmen, die Spionageprogramme an Regierungen verkaufen."

Und sie fanden noch mehr heraus: Gemeinsam mit Spezialisten von Meta - der neue Name des Facebook-Konzerns - veröffentlichte Marczak im Dezember einen Bericht: Darin sind 400 Links aufgelistet, die meist dazu genutzt wurden, um die Spionagesoftware Predator zu installieren. Viele von ihnen sahen auf den ersten Blick aus wie Links zu griechischen Nachrichtenseiten.

Auch griechischer Journalist wurde abgehört

Diesen Bericht las auch der griechische Finanzjournalist Thanasis Koukakis - und wurde stutzig: Er hatte einen der aufgelisteten Links Monate zuvor per SMS zugeschickt bekommen. Sofort kontaktierte er Bill Marczak und das Citizen Lab. Die Forscher führten eine forensische Analyse seines Handys durch.

Der Journalist Thanasis Koukakis vor dem Obersten Gericht in Athen. Wegen der Überwachung durch den griechischen Geheimdienst hat er Klage eingereicht.

Der Journalist Thanasis Koukakis vor dem Obersten Gericht in Athen. Gegen die Überwachung durch den griechischen Geheimdienst hat er Klage eingereicht.

"Am 10. März 2022 wurde ich von der Universität Toronto informiert, dass sie die Infektion gefunden hatten und auch, wie mein Handy mit der Predator-Software infiziert worden war" - nämlich über den Link in der SMS, so Koukakis.

Hochrangige Beamte treten zurück

Anfang August räumte die griechische Regierung ein: Der Geheimdienst EYP hat Koukakis sowie einen führenden Oppositionspolitiker überwacht. Allerdings seien die Telefone der beiden lediglich mit konventionellen Mitteln abgehört worden. Den Einsatz der Spähsoftware Predator bestritt die Regierung.

Noch am selben Tag trat der damalige Geheimdienstchef und einer der engsten Mitarbeiter des Ministerpräsidenten zurück: Grigoris Dimitriadis.

Grigoris Dimitriadis im Jahr 2019 im griechischen Parlament

Musste zurücktreten: Grigoris Dimitriadis, Neffe des Ministerpräsidenten und bis zum Abhörskandal dessen Stabschef (Archivbild von 2019).

Verbindungen bis ins enge Umfeld des Regierungschefs

Dimitriadis war nicht nur Stabschef von Premier Mitsotakis, sondern ist außerdem sein Neffe. Und Recherchen griechischer Investigativjournalisten legen nahe: Es gibt Verbindungen zwischen ihm und der Firma, die hinter der Spähsoftware Predator steht.

Thodoris Chondrogiannos ist einer der Journalisten, die diese Verbindung aufgedeckt haben. Er ist Teil von Reporters United, einem Zusammenschluss investigativer Journalistinnen und Journalisten in Griechenland.

Wir konnten ein Netz aus Geschäftsleuten und Geschäftsbeziehungen ausmachen, das die Regierung und Intellexa miteinander in Verbindung bringt. Gleichzeitig wurden ein Politiker und ein Journalist, sowohl vom Geheimdienst EYP als auch von Predator abgehört. Es besteht also der Verdacht, dass die Regierung ebenfalls hinter dem Einsatz von Predator steckt.

Was wusste die griechische Regierung?

Die Spionagesoftware Predator wurde entwickelt von Cytrox, einem Start-Up aus Nordmazedonien. Cytrox wiederum gehört mittlerweile zu Intellexa, einem Firmenkonsortium, gegründet von einem ehemaligen hochrangigen Mitglied des israelischen Geheimdienstes. Auf der Website von Intellexa heißt es allerdings: "Wir sind ein in der EU ansässiges und reguliertes Unternehmen mit sechs Standorten in ganz Europa." Es gibt unter anderem Verbindungen nach Irland, Malta, Zypern - und nach Athen.

Gibt es also tatsächlich auch Verbindungen zwischen der griechischen Regierung und Intellexa? Und wenn Predator nicht vom griechischen Geheimdienst eingesetzt wurde, wie es die Regierung behauptet - von wem dann?

EU-Parlament untersucht Spähsoftware

Eine Frage, die sich auch Sophie in ‘t Veld stellt. Die Niederländerin ist Abgeordnete im Europäischen Parlament und Berichterstatterin des sogenannten PEGA-Ausschusses. Er soll den Einsatz von Spionagesoftware innerhalb der Europäischen Union untersuchen.

Ich bin sehr überrascht, dass die Büros von Intellexa nicht durchsucht wurden. Ich hätte erwartet, dass die Behörden die Server, die Computer, die gesamte Verwaltung und alles andere beschlagnahmen und die Mitarbeiter befragen. Aber nichts davon ist passiert. Ich fürchte also, dass viele Beweise bereits vernichtet worden sind.

Anfang November wird der PEGA-Ausschuss nach Griechenland und Zypern reisen - in der Hoffnung, dass wenigstens die Abgeordneten des Europäischen Parlaments ein paar Antworten von der griechischen Regierung erhalten.

Verena Schälter, Verena Schälter, BR, 11.10.2022 11:36 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten Deutschlandfunk am 10. Oktober 2022 um 18:30 Uhr und BR24 am 11. Oktober 2022 um 12:50 Uhr.