Bidsina Iwanischwili
analyse

Georgien Ein Land in der Geiselhaft eines Oligarchen

Stand: 18.05.2024 18:39 Uhr

Die Regierungspartei in Georgien strebt mit aller Macht eine weitere Amtszeit an und setzt die Zukunft des Landes aufs Spiel. Dahinter steht ein Oligarch, der überall Feinde sieht.

Von Silvia Stöber, zzt. Tiflis

Lange rankten sich nur Gerüchte um ihn. Nie wurde er in der Öffentlichkeit gesehen. Sagenhaft reich sei er in den 1990er-Jahren als Geschäftsmann in Russland geworden. Großzügig habe er für den Bau der Sameba-Kirche in Georgiens Hauptstadt Tiflis gespendet, ebenso für die Ausrüstung der georgischen Armee. In seiner Heimatregion Imereti finanziere er den Menschen Dächer.

Die Gerüchte verdichteten sich im Jahr 2011. Dann trat Bidsina Iwanischwili ins Rampenlicht. Er gründete die Partei "Georgischer Traum". Sein Ziel: den amtierenden Präsidenten Michail Saakaschwili, der sich immer autoritärer gebärdete, mit dessen Partei UNM bei der Parlamentswahl 2012 von der Macht zu vertreiben.

"Saakaschwilis Leute kamen, betrieben Geschäfte und raubten das Land aus. Ich dagegen habe zwei Milliarden für das Land ausgegeben und werde dies fortsetzen. Ich bin ein großer Demokrat. Ich bin strikt, prinzipientreu, geradlinig und klar", sagte er damals im Gespräch mit tagesschau.de. Tatsächlich leuchteten auf vielen Häusern in Imereti neue Dächer in hellblau und grün.

Aus seinen Vorstellungen von Politik sprach ein technokratisches Verständnis von Demokratie - mit ihm als Ingenieur der Machtverteilung.

Loyalität statt Professionalität

Für den Wahlkampf heuerte Iwanischwili, nach dem Vorbild seines Gegners, ausländische PR-Firmen und Politikberater an. Einer von ihnen war der ehemalige US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum, der auch zur letzten großen Wahlkampfveranstaltung mit Zehntausenden Teilnehmern anreiste und sich später über unbezahlte Rechnungen beklagte.

Der Wahlsieg war überwältigend. Iwanischwili wurde Premierminister und bildete mit mehreren Parteien eine Koalition. Die wichtigsten Posten aber besetzte er mit seinen Leuten. Der damalige Innenminister und spätere Premierminister Irakli Garibaschwili war Manager in Iwanischwilis Cartu Group. Der Generaldirektor der gleichnamigen Bank, Irakli Kwirikaschwili, bekleidete ebenfalls mehrere Posten im Kabinett. Iwanischwilis Anwalt Archil Kbilaschwili wurde Generalstaatsanwalt.

Exzentrische Hobbys

Iwanischwili selbst zeigte sich schnell müde von der Politik und zog sich 2013 zurück. Doch beließ er es nicht bei Geschäftstätigkeiten und dem Frönen seiner exzentrischen Hobbys, darunter einem Privatzoo und einem Privatpark, in den er alte und seltene Bäume aus dem ganzen Land verpflanzen ließ.

Damalige Minister anderer Parteien berichteten im Interview mit tagesschau.de, dass das Kabinett weiter keine Entscheidung ohne Iwanischwilis Zustimmung traf. Auch Diplomaten pilgerten immer wieder zu seinem Glaspalast oberhalb der Hauptstadt, um sich mit ihm auszutauschen.

Staat als Besitz

Zwar korrigierte seine Partei einige die ultra-liberalen Auswüchse aus der Zeit Saakaschwilis. Doch für die meisten Menschen in Georgien blieb der Wohlstand ein Versprechen. Sie wählten seine Partei trotzdem zwei weitere Male in die Regierung, auch aus Mangel an Alternativen. Saakaschwili und mehrere seiner Mitstreiter wurden zu Haftstrafen verurteilt.

Inzwischen übt Iwanischwili im formal noch bestehenden System der Gewaltenteilung mit seinen Leuten informell die Macht aus. Oppositionspolitiker sprechen von der Vereinnahmung des Staates durch Iwanischwili. BI, wie er auch genannt wird, sehe Georgien als seinen Besitz an.

Kontakte zu russischen Unternehmen

Würde er diesen Besitz weggeben - an den übermächtigen Nachbarn Russland? Jene, die in Iwanischwili einen Befehlsvollstrecker des Kreml sehen, verweisen auf den kurzzeitigen Generalstaatsanwalt Otar Partzchaladse, einem russisch-georgischen Geschäftsmann und, lokalen Medien zufolge, Vertrauten Iwanischwilis. Die US-Regierung setzte ihn unter Sanktionen, weil er mit dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB kooperiert haben soll, um die Stimmung in Georgien zu beeinflussen.

Ein Bericht von Transparency International Georgia aus dem Jahr 2022 beschreibt Verbindungen aus dem Umfeld Iwanischwilis zu russischen Unternehmen. Zwei Audioaufnahmen auf YouTube sollen belegen, dass Iwanischwili mit dem russischen Geschäftsmann Wladimir Jewtuschenkow über mögliche Geschäfte unter Umgehung der westlichen Sanktionen gesprochen haben soll.

Überall Feinde

Ein Ex-Premierminister der Regierungspartei, Giorgi Gacharia, glaubt nicht, dass Putin in Georgien die Macht übernehmen will. Den Aufwand wolle die russische Führung gar nicht betreiben, es genüge, Druck ausüben zu können, so Gacharia im Interview mit tagesschau.de.

Doch für Druck ist Iwanischwili der Beschreibung Gacharias zufolge empfänglich. Denn dieser sei zuvorderst um seine Sicherheit besorgt und sehe überall Feinde. Iwanischwili glaube, dass nur Macht seine Sicherheit schütze.

Das würde erklären, warum seine Partei vor der Parlamentswahl um jeden Preis das Gesetz über "ausländische Einflussnahme" und weitere Maßnahmen zur Einschränkung der Regierungsgegner durchsetzen will.

Dass es der Westen auf ihn abgesehen hat, davon scheint Iwanischwili überzeugt. Beweis dafür sei, dass zwei Milliarden Dollar seines Vermögens bereits faktisch eingefroren seien. Bekannt ist, dass ein Mitarbeiter der Schweizer Bank Credit Suisse mehr als 100 Millionen Dollar aus einer Anlage von einer Milliarde Dollar veruntreut hatte. Iwanischwili prozessierte gegen die Bank. Es dauerte Jahre, bis die Bank zahlte. Es lag aber auch daran, dass Gerichtsverfahren über mehrere Finanzinstitutionen liefen, über die die Anlage bei der Credit Suisse platziert worden war.

Obskure "globale Kriegspartei"

Am 28. April dann sprach Iwanischwili bei einer Kundgebung von einer "globalen Kriegspartei", die es auf Georgien abgesehen habe und seine politischen Gegner im Land finanziere. Er selbst werde dafür sorgen, dass sie ihre "gebührende Strafe" erhielten. Damit zeigte er, dass er selbst hinter dem Verschwörungsgeraune steht, das sonst seine Partei-Getreuen verbreiten. Personen aus seinem Umfeld sagen, dass Iwanischwili dies ernst meint.

Mit der Durchsetzung des Gesetzes über "ausländische Einflussnahme" setzt seine Partei nun aktiv den weiteren Weg Georgiens in die EU aufs Spiel, auch wenn mehr als 80 Prozent der Bevölkerung und damit ein Großteil seiner bisherigen Wähler für einen EU-Beitritt sind.

Iwanischwili präsentierte sich bei dieser Rede nicht mehr als gütiger Lenker des Landes, wie er es einst angekündigt hatte. Er wirkte vielmehr wie ein paranoider Oligarch, der sein Land in Geiselhaft nimmt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 15. Mai 2024 um 14:12 Uhr.