
EU-Gipfel Ukraine und Moldau sind Beitrittskandidaten
Monatelang drängte die Ukraine immer wieder darauf, EU-Beitrittskandidat zu werden - nun ist es soweit. Die Staats- und Regierungschefs machten bei ihrem Gipfel in Brüssel auch Moldau zum Kandidaten. Georgien muss weiter warten.
Die Europäische Union hat die von Russland angegriffene Ukraine offiziell in den Kreis der Beitrittskandidaten aufgenommen. Zudem beschlossen Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Kollegen bei ihrem EU-Gipfel, auch Moldau den Status eines Bewerberlandes zu gewähren, wie Ratspräsident Charles Michel mitteilte.
Der Belgier sprach von einem "historischen Moment". EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte: "Heute ist ein guter Tag für Europa."
Auch Georgien soll einen Kandidatenstatus erhalten, wenn es bestimmte Voraussetzungen erfüllt. "Es gibt kein besseres Signal der Hoffnung für die Bevölkerungen in der Ukraine, Moldau und Georgien in diesen schwierigen Zeiten", sagte von der Leyen mit Blick auf den russischen Angriff auf die Ukraine.
Selenskyj live zugeschaltet
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wurde nach der Entscheidung live zum Gipfel zugeschaltet. Er bedankte sich bei Michel, von der Leyen sowie den Staats- und Regierungschefs für die Unterstützung. Auch auf Twitter begrüßte er die Entscheidung der EU. Es handele sich um einen einzigartigen und historischen Moment in den bilateralen Beziehungen. "Die Zukunft der Ukraine ist in der EU", twitterte Selenskyj.
Auch die Präsidentin von Moldau, Maia Sandu, sprach von einem historischen Tag. "Wir haben einen schwierigen Weg vor uns, der viel Arbeit und Mühe erfordern wird", erklärt sie auf Facebook. Eine EU-Mitgliedschaft würde ihrem Land mehr Wohlstand, mehr Chancen und mehr Ordnung bringen. Moldau liegt zwischen der Ukraine sowie dem EU- und NATO-Land Rumänien.
Schritt soll Ukrainern Mut machen
Mit der einstimmigen Entscheidung der 27 Mitgliedstaaten erkennt die EU die Anstrengungen der beiden Länder um eine EU-Beitrittsperspektive an und will ihnen Mut machen, den Weg entschlossen fortzuführen. Vor allem Selenskyj hatte angesichts des russischen Kriegs gegen sein Land zuletzt immer wieder eine solche Botschaft der EU eingefordert - auch um den mehr als 40 Millionen Bürgern seines Landes zu zeigen, dass sich der Kampf für Freiheit und Demokratie lohne.
Bundeskanzler Scholz gratulierte der Ukraine und Moldau ebenfalls zur Aufnahme in den Kreis der EU-Beitrittskandidaten. "27 Mal Ja!", schrieb Scholz auf Twitter. "Der Europäische Rat begrüßt zwei neue Beitrittskandidaten zur EU. Auf gute Zusammenarbeit in der europäischen Familie!"
Zum Auftakt des EU-Gipfels in Brüssel hatte Scholz zuvor noch einmal eindringlich dafür geworben, die Ukraine zum Beitrittskandidaten zu machen. Der SPD-Politiker sprach von einem "historischen" Treffen der Staats- und Regierungschefs, mahnte aber auch Reformen der Europäischen Union an, um die Aufnahme neuer Mitglieder zu ermöglichen. Die EU müsse sich "erweiterungsfähig" machen, sagte er. Dazu gehöre auch, das Prinzip der Einstimmigkeit für einige Entscheidungen aufzuheben.
Debatte um Bosnien-Herzegowina verzögert Entscheidung
Die EU-Entscheidung hatte sich zunächst stundenlang verzögert. Grund dafür waren laut mehreren EU-Diplomaten aber nicht Zweifel daran, dass das von Russland angegriffene osteuropäische Land den Status erhalten sollte. Vielmehr hätten einige Teilnehmer in der Debatte der EU-Staats- und Regierungschefs die Frage gestellt, ob dann nicht auch etwa das Westbalkan-Land Bosnien und Herzegowina einen Kandidatenstatus erhalten sollte. Dies hatte etwa Ungarn vor dem Gipfel gefordert. Der Grund ist eine etwas andere Systematik, die für beide Länder gelten würde.
Die EU-Kommission hat etwa für Bosnien und Herzegowina Anforderungen formuliert, deren Erfüllung dann zum Kandidatenstatus führen würde. Im Falle der Ukraine wird der Status aber vor der Erfüllung der Auflagen erteilt. Etliche EU-Regierungen, darunter die deutsche, hatten mehrfach davor gewarnt, dass die Solidarität mit der Ukraine nicht dazu führen dürfe, die sechs Westbalkan-Staaten Serbien, Montenegro, Albanien, Nordmazedonien, den Kosovo und eben Bosnien und Herzegowina vor den Kopf zu stoßen. Diese warten seit Jahren darauf, dass sie näher an eine Aufnahme in die EU heranrücken können.
Während mit Serbien bereits über Beitrittskapitel verhandelt wird, haben der Kosovo und Bosnien-Herzegowina nicht einmal einen Kandidatenstatus. Bei Nordmazedonien und Albanien blockiert derzeit Bulgarien die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen.
Die EU-27 einigten sich nun auf eine Formulierung, die Bosnien und Herzegowina eine Art Automatismus zum Kandidatenstatus in Aussicht stellt, wenn das Land die Anforderungen erfüllt. EU-Ratspräsident Michel kündigte an, die EU-Kommission wolle zügig einen neuen Bericht zu den Reformanstrengungen vorlegen, die Bosnien-Herzegowina bereits unternommen habe. Dann könnten die EU-Mitglieder über einen Status als Beitrittskandidat entscheiden.
Keine Bedenken aus Moskau zur EU-Entscheidung
Dass die Ukraine so rasch zum Beitrittskandidaten wurde - der Antrag wurde nur wenige Tage nach Beginn des Krieges am 24. Februar gestellt -, wäre in Friedenszeiten äußerst ungewöhnlich. Bis die Ukraine oder Moldau auch wirklich EU-Mitglieder sind, kann es aber noch Jahre dauern, in einigen Fällen sind es sogar Jahrzehnte. Beitrittskandidaten müssen eine Reihe von Anforderungen erfüllen, unter anderem was die Rechtsstaatlichkeit und andere demokratische Prinzipien angeht.
Die Ukraine will außerdem schon lange NATO-Mitglied werden, um sich aus der Einflusssphäre Russlands zu lösen. Präsident Wladimir Putin lehnt das aber kategorisch ab, die gesamte Osterweiterung des Militärbündnisses in den vergangenen Jahren sieht er als Bedrohung für Russland. Die Annäherung Kiews an die EU schien ihn aber nicht zu stören. Da es sich ja nicht um ein Militärbündnis handle, habe Russland keine Einwände, sagte er vergangene Woche.
Langwieriger Aufnahmeprozess ohne Garantie
Eine Garantie auf eine zügige Aufnahme in die EU ist der Kandidatenstatus für die Ukraine und Moldau nicht. Nach einer Empfehlung der EU-Kommission sollen EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau erst dann beginnen, wenn diese weitere Reformauflagen erfüllt haben. Dabei geht es etwa um Justizreformen und eine stärkere Korruptionsbekämpfung.
Dass der Beitrittsprozess auch in einer Sackgasse enden kann, zeigt der Fall Türkei. Das Land hat bereits seit 1999 den Kandidatenstatus. Die 2005 begonnenen EU-Beitrittsverhandlungen liegen allerdings seit Jahren wegen der aus Brüsseler Perspektive unbefriedigenden Entwicklungen in dem Land auf Eis.
Georgien vorerst kein Beitrittskandidat
Die Ukraine hatte vor knapp vier Monaten kurz nach Beginn des russischen Angriffs die Aufnahme in die EU beantragt. Kurz darauf reichten auch der kleine Nachbar Moldau sowie das im Südosten Europas gelegene Georgien Beitrittsanträge ein.
Das rund 3,7 Millionen Einwohner zählende Georgien soll den Beitrittskandidatenstatus allerdings erst bekommen, wenn es weitere Reformauflagen erfüllt. Es ist nach Einschätzung der EU-Kommission derzeit deutlich instabiler als das rund 2,6 Millionen Einwohner zählende Moldau und die Ukraine.
Georgien werde den Kandidatenstatus erhalten, "sobald die noch ausstehenden Prioritäten angegangen sind", schrieb Michel auf Twitter. "Georgiens Zukunft liegt innerhalb der EU", betonte er.