Jahresbericht zu Beitrittskandidaten EU kritisiert schleppende Reformen in der Türkei

Stand: 14.10.2009 15:33 Uhr

Die EU-Beitrittskandidaten müssen stärker aufs Tempo drücken und in vielen Bereichen wie der Rechtsstaatlichkeit und der Verbrechensbekämpfung noch "substanzielle Arbeit" leisten, so der Jahresbericht der EU-Kommission. Das gilt für Kroatien und Mazedonien - besonders aber für die Türkei. Hier sieht Erweiterungskommissar Rehn noch erhebliche Defizite bei der Meinungsfreiheit und anderen grundlegenden Bürgerrechten.

Von Peter Heilbrunner, SWR-Hörfunkstudio Brüssel

Das 90-seitige Reformzeugnis der EU liest sich nicht gerade wie ein Bestseller. Der Türkei-Fortschrittsbericht ist vielmehr abgefasst in nüchterner Beamtensprache - benennt Versäumnisse und Fortschritte in allen Einzelheiten und zieht am Ende eines jeden untersuchten Politikbereichs ein Zwischenfazit. Von A wie Außenpolitik bis Z wie Zollunion, dem gemeinsamen Wirtschaftsraum.

Lob für die Außenpolitik...

Fortschritte hat die Türkei in der Außenpolitik gemacht. EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn lobt die Türkei als "stabilisierenden Faktor" in der Region. "Die Türkei spielt eine Schlüsselrolle für die Sicherheit in der Region - im Nahen Osten ebenso wie im südlichen Kaukasus", sagt Rehn. "Für Europa ist das Land mit Blick auf die Sicherheit der Energieversorgung wichtig - und nicht zuletzt brauchen wir die Türkei, um den Dialog der Kulturen voranzutreiben."

Einzig in den Beziehungen zum EU-Mitglied Zypern habe es "keinerlei Fortschritte" gegeben. Der Grund: Die Türkei hält den Norden der Mittelmeerinsel seit den Siebziger Jahren besetzt. Die 27er-Gemeinschaft hat Ankara bis zum Jahresende ein Ultimatum zur Öffnung der türkischen Häfen für Waren aus dem Südteil der Insel gesetzt - bislang hat sich die Regierung davon unbeeindruckt gezeigt. Olli Rehn verlangt von Ankara, endlich ihren Verpflichtungen nachzukommen.

...Tadel für innenpolitische Reformen

Deutlich nachgelassen hat die Türkei bei den innenpolitischen Reformen: Hier habe es in den vergangenen zwölf Monaten nur geringe Fortschritte gegeben. "Wir erwarten von der Türkei, dass sie den Reformprozess wiederbelebt", sagt der EU-Erweiterungskommissar aus Finnland. "Vor allem bei der Meinungs- und Religionsfreiheit sowie bei Frauen- und Gewerkschaftsrechten."

Benachteiligungen an der Tagesordnung

Vor allem bei der Durchsetzung von Rechten liegt noch immer vieles im Argen. Frauen haben zwar auf dem Papier gleiche Rechte wie Männer - aber vier von zehn geben an, zu Hause geschlagen oder vergewaltigt zu werden. Verfolgt werden derartige Missbrauchsfälle jedoch kaum. Die Frauen kennen ihre Recht nicht einmal, heißt es in dem Bericht. Auch Christen, Gewerkschafter, Schriftsteller und Homosexuelle müssen noch immer mit Benachteiligungen rechnen. Schwul- oder Lesbischsein gilt per höchstrichterlichem Spruch als unerwünscht, um, so die Urteilsbegründung, "eine Ausbreitung dieser sexuellen Neigung zu verhindern".

Justizsystem wird nur schleppend modernisiert

Richter und Staatsanwälte handelten noch immer nicht überparteilich und unabhängig - die Modernisierung des Justizsystems kommt im Alltag nur schleppend voran. Und obwohl mittlerweile immerhin einige ranghohe Militärs vor Gericht gestellt worden sind, habe die Armee noch immer zu großen Einfluss auf die Staatsgeschäfte, beklagt die EU-Kommission. Nun müssen die Staats- und Regierungschefs die Lehren aus dem Bericht der Kommission ziehen. Auf ihrem Dezembergipfel werden sie über weitere Schritte beim Türkeibeitritt verhandeln. Darüber dürften Beitrittsbefürworter und -gegner wieder einmal heftig streiten.