Interview

Doping-Skandal in Russland "Leichtathleten nicht in Rio starten lassen"

Stand: 13.05.2016 14:59 Uhr

Das Ausmaß des Dopings in Russland sei sporthistorisch fast beispiellos. Der ARD-Doping-Experte Seppelt fordert im Interview mit tagesschau24, russische Leichtathleten bei den Olympischen Sommerspielen in Rio nicht starten zu lassen.

tagesschau24: Staatlich verordnetes Doping, das erinnert sehr an das alte System der DDR. Wie glaubwürdig ist die Geschichte und welche Tragweite hat sie?

Hajo Seppelt: Ich halte sie für sehr glaubwürdig. Ich kenne Grigori Rodschenkow, bis 2014 Leiter des Moskauer Kontrolllabors, sehr gut. Ich steht mit ihm regelmäßig in Kontakt. Und es war klar, dass er irgendwann mit seinen Erfahrungen, mit seinem Insider-Wissen an die Öffentlichkeit gehen würde. Aber es war eben noch nicht klar, wann er das tun würde. Er hat Russland verlassen, er lebt im Exil in den USA, er ist geflüchtet aus Russland, nachdem er aus Russland herausgeschmissen worden war, nachdem das Labor in Moskau die Akkreditierung entzogen bekommen hatte.

Es deckt sich alles mit den Recherchen, die wir ja schon im Dezember 2014 gemacht haben für die ARD-Doku "Wie Russland seine Sieger macht". Da war ja schon klar belegt worden, dass auch das Labor involviert war in die Dopingvertuschung. Aber es überrascht mich jetzt zu sehen, in welchem Ausmaß das stattgefunden hat. Alles ist noch viel schlimmer, als man bisher annehmen musste.

tagesschau24: Welche Tragweite hat die Enthüllung?

Seppelt: Die Tragweite ist enorm. Das ist sporthistorisch fast beispiellos. Tatsächlich ist der einzige Vergleich, der mir einfällt, der zum Zwangsdoping in der DDR in den 1970er- und 1980-er Jahren. Man muss sich schon wundern, dass im Jahr 2014 bei den Olympischen Spielen diese Dinge offenbar immer noch möglich sind. Wenn das alles so stimmt und sich erhärtet, und dafür spricht vieles, dann hat man offensichtlich in Russland die alten Strukturen bis in die Neuzeit nicht abgelegt.

tagesschau24: Erst heute hat sich Frankreichs Leichtathletik-Chef geäußert und den Ausschluss Russlands von den Olympischen Spielen in Rio gefordert. Wie kann man Ihrer Meinung nach Russland überhaupt sanktionieren?

Seppelt: Also ich glaube, diese Tragweite ist so einmalig, so groß, dass es nur eine Konsequenz geben kann, man darf nicht nur die russischen Leichtathleten in Rio nicht an den Start gehen lassen. Der russische Sport muss - bis auf Weiteres, wenn sich diese Vorwürfe erhärten - von allen olympischen Wettbewerben ausgeschlossen werden. Eigentlich müsste man Russland auch sonst von allen sportlichen Großereignissen bis auf Weiteres ausschließen.

Denn hier ist so massiv die Glaubwürdigkeit des Sports erschüttert worden, hier ist so massiv in die Integrität des sportlichen Wettbewerbs offenbar eingegriffen worden, dass eigentlich keine andere Alternative bleibt. Ich würde sogar noch weiter gehen, wenn ich ganz klar sage, das ein Land, dass die Grundlagen des fairen Miteinanders des Sports auf so elementare Art und Weise - offensichtlich vom Staat auch noch gestützt - verletzt, so ein Land kann eigentlich auch nicht die Fußball-Weltmeisterschaft im Jahr 2018 ausrichten.

Das Interview führte Ben Wozny, tagesschau24