
Abrisse humanitärer Projekte EU fordert Schadensersatz von Israel
Mit Millionen Euro unterstützt die EU-Kommission humanitäre Projekte in den palästinensischen Gebieten. Dutzende Gebäude wurden von israelischen Sicherheitskräften abgerissen. Jetzt fordert die EU Schadensersatz.
"Alle Kinder haben ein Recht auf Bildung, warum können wir nicht so sein wie sie?", fragen die Schulkinder. Denn sie wissen, dass jeden Tag die Bulldozer anrücken können.
Dass Bildung ein Menschenrecht ist, hört man oft an diesem sonnig-kalten Januartag in den schroffen, braunen Hügeln im südlichen Westjordanland. Auch von den EU-Vertretern, die ins Dorf Khashm al Karem gekommen sind, um auf den drohenden Abriss der Schule hier aufmerksam zu machen. Und von den Lehrern, die in dem eingeschossigen, im vergangenen Jahr errichteten Gebäude 47 Schülerinnen und Schüler unterrichten.
Die von der EU finanzierte Schule soll abgerissen werden. Das hat das oberste israelische Gericht im Januar entschieden.
Israelische Behörden rechtfertigen Abriss
Wenige Kilometer weiter in Khirbet a-Safai al-Foqa waren die Bulldozer schon da. Am 23. November wurde die Grundschule abgerissen, nun lernen die 22 Kinder in einem Zelt. Auch diese Schule befindet sich in einer Gegend des Westjordanlandes, die das israelische Militär in den 1980er-Jahren zu militärischem Übungsgelände erklärt hat.
Israelische Behörden versuchen seitdem, die Gegend zu räumen. Laut einem Statement der israelischen Zivilverwaltung für die besetzten Gebiete handelt es sich bei der Schule in Khirbet a-Safai al-Foqa um ein illegal errichtetes Gebäude im Bereich der Feuerzone. Sie sei ohne israelische Baugenehmigung gebaut worden.
EU wirft Israel Völkerrechtsbruch vor
Die EU sieht das anders. "Seit 1967 sind das besetzte Gebiete, und nach der vierten Genfer Konvention, die auch für Israel gilt, muss die Besatzungsmacht das Wohlergehen der Bevölkerung unter ihrer Verantwortung sicherstellen", erklärt der EU-Vertreter in den Palästinensischen Gebieten, Sven Kühn von Burgsdorff.
Da Israel das nicht tue, müssten die internationalen Partner eintreten. Die EU bezeichnet die Abrisse und Bevölkerungstransfers als völkerrechtswidrig.
EU fördert humanitäre Projekte im Westjordanland
Die EU-Kommission unterstützte im vergangenen Jahr mit 26,5 Millionen Euro humanitäre Projekte in den besetzten Palästinensischen Gebieten. Dazu zählen etwa Gesundheitseinrichtungen, Wohnhäuser, Solar- und Sanitäranlagen. Besonders in den sogenannten C-Gebieten, die sechzig Prozent des Westjordanlandes umfassen, sei der Bedarf groß.
Die EU und einige Mitgliedsstaaten unterstützen dort ein Konsortium von humanitären Organisationen. "Sie schützen Bevölkerungsgruppen, die von erzwungener Umsiedlung aufgrund von Abrissen, Vertreibung und Siedlergewalt bedroht sind", erklärt ein Kommissionssprecher.
Die C-Gebiete stehen unter vollständiger israelischer Kontrolle. Wer hier bauen will, braucht eine Genehmigung der israelischen Behörden.
Kaum Baugenehmigungen für Palästinenser
Doch die zu bekommen, sei kaum möglich, sagt der Israeli Alon Cohen-Lifshitz. Er arbeitet für die israelische NGO Bimkom und sammelt Daten zu Abrissen und Abrissanordnungen. Anfragen bei der israelischen Regierung hätten ergeben, dass israelische Behörden nur ein bis zwei Prozent der palästinensischen Bauanträge genehmigten.
Zahlen, die die EU bestätigt. Die israelische Zivilverwaltung für die besetzten Gebiete will sich zu den Abrissanordnungen gegenüber der ARD nicht äußern.
Kaum Bauland and genehmigte Anträge für Palästinenser
Für den studierten Architekten Cohen-Lifshits sind "Bauplanung und Genehmigung wie Waffen, die Israel nutzt, um das Land zu erobern". In den 1970er-Jahren seien noch fast alle palästinensischen Bauanträge in den C-Gebieten genehmigt worden.
Doch dann habe das Interesse Israels am Westjordanland zugenommen und die Zahl der Bewilligungen habe rapide abgenommen. "Während Palästinenser nur auf 0,5 Prozent der von Israel kontrollierten C-Gebiete bauen dürfen, können israelische Siedler auf 26 Prozent des Gebiets Baugenehmigungen bekommen", erklärt Cohen-Lifshitz.

Baugenehmigungen für Siedlungen im Westjordanland werden immer öfter erteilt - palästinensische Bauanträge gehen nur selten durch.
Siedler fordern mehr Bauland im Westjordanland
Aktuell leben in den von Israel kontrollierten C-Gebieten Schätzungen zufolge rund 300.000 Palästinenser und 500.000 israelische Siedler. Eine davon ist Naomi Kahn. Sie arbeitet für die Siedlerorganisation Regavim.
Aus ihrer Sicht sind die C-Gebiete für die jüdische Bevölkerung bestimmt, sie seien israelisches Territorium. "Wir müssen nicht annektieren, was uns schon gehört."
Kahn erwartet, dass israelische Behörden illegal errichtete palästinensische Schulen, Häuser oder andere Einrichtungen konsequent abreißen. Gleichzeitig soll der Siedlungsbau vorangetrieben werden. Damit teilt sie die Forderungen von Netanjahus nationalreligiösen Koalitionspartnern. Der neue israelische Finanzminister Bezalel Smotrich ist Mitgründer von Kahns Organisation Regavim.

Wenn ein Haus nach Ansicht der israelischen Behörden im Westjordanland illegal errichtet wurde, rollen - wie hier in Hebron - die Bulldozer an und reißen es ab.
EU will Schadenersatz
Die EU rechtfertigt den Bau bisheriger Einrichtungen ohne Genehmigung und bezieht sich auf internationales humanitäres Recht. 2021 haben israelische Behörden 140 EU-finanzierte Bauten im Wert von mehr als 330.000 Euro abgerissen oder beschlagnahmt. 2022 waren es 101 von der EU finanzierte Bauten, insgesamt wurden 918 Bauten aufgrund mangelnder Baugenehmigungen beschlagnahmt oder abgerissen.
Die EU fordert von Israel "Rückgabe oder Schadenersatz für abgerissene, abgebaute und beschlagnahmte Werte." Darauf wollen die Lehrer und Schüler in den Hügeln südlich von Hebron nicht warten. Nachdem ihre Zeltschule beschlagnahmt wurde, haben sie ein neues Zelt errichtet.
"Und manchmal gibt der Lehrer auch Unterricht in seinem Auto", erklärt die neunjährige Deana. Sie wollen bleiben.