Bereitschaftspolizei versucht, Demonstranten während einer Demonstration in Tel Aviv gegen die Justizreform mit einem Wasserwerfer zu vertreiben.

Justizreform in Israel Jubel, Frust und Resignation

Stand: 25.07.2023 04:50 Uhr

Nachdem die Knesset ein Kernelement der Justizreform der Regierung Israels verabschiedet hat, gab es erneut Massenproteste im Land. Premier Netanyahu verteidigte das Ergebnis der Abstimmung, die ohne Opposition stattfand.

Eine Mischung aus Resignation machte sich breit nach der Zustimmung des Parlaments zu einem wichtigen Teil der umstrittenen Justizreform. Am Abend kamen an vielen Orten des Landes wieder Zehntausende zum Protest zusammen - auch in Tel Aviv kam es dabei zu Auseinandersetzungen mit der Polizei.  

Die Organisatoren der Proteste haben angekündigt, dass sie weiter auf die Straße gehen wollen. Vor allem die großen Samstagsproteste, die seit Monaten viele Hunderttausende auf die Straße gebracht haben, sollen fortgesetzt werden. Schimal Bressler, eine der prominentesten Figuren der Protestbewegung, sagte im Radiosender Reshet Bet:  

Es ist klar, dass es sich um eine Regierung handelt, die den Kontakt zur Mehrheit der Bevölkerung verloren hat. Der Staat Israel wird von einer sehr extremistischen Truppe angeführt, die alles Gute hier zerstört.
Schimal Bressler, Anführer der Protestbewegung

"Viele befürchten eben Schlimmeres", Sophie von der Tann, ARD Tel Aviv, zu weiteren Protesten wegen Justizreform in Israel

tagesschau, 25.07.2023 12:00 Uhr

Opposition blieb der Abstimmung fern

Die Knesset hatte am Nachmittag mit 64 zu Null stimmen für die Reform gestimmt. Alle Abgeordneten der Opposition waren der Abstimmung ferngeblieben - zuvor hatten sie noch das Wort gerufen, das in den letzten Monaten so oft zu hören war: Bushar - Schande.  

Auch bei der Opposition regierte eine Mischung aus Resignation und Wut. Benny Gantz, von dem es heißt, er habe sich in den letzten Tagen um einen Kompromiss bemüht, sprach von einem schwierigen Tag. "Der Staat Israel hat verloren", so Gantz. "Eine Mehrheit in der Knesset, die einen Kompromiss wollte, ist von Extremisten besiegt worden, die beschlossen haben, unsere Identität zu ändern. Sie wollen uns in Abgründe des Hasses treiben, uns trennen und gegeneinander aufhetzen."

Lapid will vor dem Obersten Gerichtshof klagen

Yair Lapid, Vorgänger von Benjamin Netanyahu im Amt des Ministerpräsidenten, sprach da schon von der Klage vor dem Obersten Gerichtshof gegen das Gesetz. Das könnte zu einem Verfassungskonflikt führen, denn der Gerichtshof müsste sich mit einem Gesetz befassen, dass seine Schwächung zum Ziel hat.  

Diese extreme Regierung umarmt und fotografiert sich jetzt im Plenarsaal, um den Moment zu feiern, in dem sie verursacht haben, dass wir keine Brüder mehr sind. Sie feiern den Moment, in dem sie es geschafft haben, alles was uns verbindet in den Mülleimer der Geschichte zu werfen. Wir haben heute Schwäche von Netanyahu gesehen wie noch nie. Es gibt keinen Premierminister in Israel. Netanyahu ist zur Marionette an Fäden der Extremisten und Messianisten geworden.
Yair Lapid, Vorgänger Netanyahus

Netanyahus Verbündete drohten offenbar mit Koalitionsbruch

Das könnte eine Erklärung dafür sein, dass Benjamin Netanyahu dem Druck der letzten Tage und allen Versuchen, ihn zum Einlenken zu bringen, widerstanden hat. Israelische Medien berichten von konkreten Drohungen seiner Koalitionspartner, im Falle eines Scheiterns der Reform aus der Koalition auszusteigen.

Itamar Ben Gvir, der rechtsextreme Minister für nationale Sicherheit, hatte am Abend gesagt: Dieser Beschluss sei erst der Anfang gewesen. Und auch Netanyahu erinnerte in einer Ansprache am Abend daran, dass die Justizreform noch nicht abgeschlossen ist.

Netanyahu kündigt weitere Gespräche an

"Trotz allem werden wir weiterhin den Dialog, eine Einigung suchen," so Netanyahu. "Wir geben die Chance, eine breite Einigung zu erreichen, nicht auf. Ich sage euch, dass das möglich ist." Schon in den kommenden Tagen werde sich die Koalition an die Opposition wenden mit dem Ziel, einen Dialog herzustellen. "Wir sind willens, alles zu besprechen, und zwar sofort", so Netanyahu. "Die Gespräche können wir in der Sommerpause führen, und eine Einigung erreichen, die alles beinhaltet."

Ähnlich hatte er auch vor der jetzigen Parlamentsentscheidung gesprochen - nur um das Gesetz dann ohne größere Änderungen durchs Parlament zu bringen. Die Zehntausenden, die in der Nacht im Protest auf den Straßen waren, glauben Israels Premier ohnehin nichts mehr.

Jan-Christoph Kitzler, tagesschau, 25.07.2023 00:03 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 24. Juli 2023 um 22:05 Uhr.