
Erdbeben in der Türkei Ferides Wohnzimmer als Zufluchtsort
Unzählige Menschen haben durch das Erdbeben in der Türkei ihr Zuhause verloren, doch die kleine Wohnung von Feride im Epizentrum des zweiten Bebens steht noch. Sie hat kurzerhand alle zu sich eingeladen.
Abends füllt sich das kleine Wohnzimmer von Feride nach und nach. Die einen stehen am kleinen Holzofen und wärmen sich. Die anderen setzen sich auf die drei Sofas. Mehr Möbel gibt es nicht. Das Wohnzimmer ist der einzig warme Raum in der Wohnung. Auf der Toilette gefriert das Wasser am Waschbecken.
Die 58-Jährige geht mit ihrer Nachbarin in die Küche, um Abendessen zu machen. Gott sei Dank haben sie Vorräte.
Das Licht flackert. Warum, weiß sie sie auch nicht, stört sie aber auch nicht weiter. Auf dem Herd stehen große Töpfe. Die kleine Person mit locker gebundenem Kopftuch, dünner Winterjacke und bunter Pluderhose muss sich strecken, um mit dem Kochlöffel umzurühren. Dann geht sie ins Zimmer gegenüber und zeigt die vielen provisorischen Matratzen, Bettdecken und Kissen, die da gestapelt sind.

In Ferides Haus tummeln sich zeitweise bis zu 35 Menschen.
Angst vor neuen Beben ist groß
Zeitweise schlafen im Wohnzimmer bis zu 35 Leute, erklärt sie:
Wir haben eine Nacht da draußen übernachtet. Dann war uns kalt und wir sind wieder rein. Aber das Haus wackelt auch nicht zu sehr. Und selbst wenn es wackelt - wir haben eh nicht mehr so viel Angst.
Fikriye aber hat Angst. Die 29-Jährige ist mit ihren vier kleinen Kindern gekommen. Tagsüber sind sie in ihrem eigenen Haus, das zwar noch steht, aber stark beschädigt ist. "Ich sitze einfach nur da, schau' die Nachrichten", sagt sie. "Wenn wir diese Wunder sehen, wie noch welche geborgen werden, dann weinen wir. Aber es gibt auch so viele Tote - um die weinen wir auch."
Es sei schwer, fährt Fikriye fort:
Ich sitze einfach nur da und kümmere mich um meine Kinder, weil es ständig neue Beben gibt. Ich schaue auf die Lampe und frage mich, welches von meinen Kindern ich, wenn es wieder losgeht, schnappen soll, um rauszurennen.
Sie redet ohne Pause. Ihre Hände fliegen dabei durch die Luft. Ein höfliches Lächeln huscht über ihr Gesicht. Dann starrt sie abwesend auf den Boden: "Das ist schön, wenn wir alle zusammen sind. Aber daheim ist das halt doch noch mal was anderes. Da ist man einfach daheim. Auch die Kinder leiden unter dem Ganzen. Bei jedem Beben rennen sie los.
Sie schlafen in Jacken, damit sie sofort losrennen können, sobald etwas passiert. "Ich ziehe ihnen zwei Paar Socken an, damit sie nicht frieren." Die ersten Nächte haben sie im Auto geschlafen, dann in einem Zelt, aber das sei einfach zu kalt gewesen.
Gemeinschaft gibt Kraft
Ferides kleines Wohnzimmer ist mehr als ein großes Schlaflager. Hier geben sie sich gegenseitig Kraft. Wenn sie zusammen essen, erzählt auch Serdar, dann tut das einfach unheimlich gut. Der 30-jährige Kartograph kommt gerade von der Arbeit. In einem Team begutachtet er Schäden an Häusern. Rund 40 Prozent in Elbistan seien nicht mehr bewohnbar oder eingestürzt, schätzt er.
Es ist psychisch schwierig. Denn du hast dauernd Angst. Du ziehst nachts keinen Schlafanzug an, sondern schläfst in der Kleidung, weil du immer im Kopf hast, wenn was passiert, musst du vorbereitet sein. Es ist eben gerade alles ein bisschen anders.
Er wirkt verzweifelt.
Wohnzimmer wird zur Schlafstätte
Der Staat müsse mehr tun, kritisiert er vorsichtig. Mehr sagt er dazu nicht. Das Haus hier sei sicher, hätten ihm Fachleute aus seiner Abteilung gesagt. Und Feride erklärt, das habe ein Deutsch-Türke gebaut, deshalb stehe es noch.
Das Wohnzimmer füllt sich weiter. Vor allem sind es viele Kinder. Ein kleines Mädchen im roten Jogginganzug kuschelt sich schüchtern auf den Schoß ihres Vaters. Der hält sie ganz fest.
Nach dem Essen holen sie die Matratzen und das Bettzeug rüber, erklärt Feride. Das breiten sie alles auf dem Boden aus. Dann legen sie sich hin, dicht an dicht und versuchen ein bisschen zu schlafen.