Das Logo des russischen Propagandasenders RT

Russischer Propagandasender Wie RT in Südamerika Erfolg hat

Stand: 29.04.2022 19:00 Uhr

Viele Staaten und Plattformen ziehen dem russischen Propagandaprogramm den Stecker. In Südamerika positioniert sich "Actualidad RT" als linksalternatives Medium - und findet ein breites Publikum, das ihm glaubt.

Eine junge Frau sitzt auf einer grauen Couch und liest dem kolumbianischen Präsidenten Ivan Duque die Leviten: Gespickt mit ironischem Unterton denunziert sie die Polizeigewalt vergangenes Jahr während der Sozialproteste gegen dessen rechtskonservative Regierung - mit solchen Szenen trifft Inna Afinogenova nicht nur in Kolumbien, sondern in ganz Lateinamerika einen Nerv.

Afinogenova, im Nordkaukasus geboren, spricht akzentfreies Spanisch und ist so etwas wie Russlands hippe Influencerin in Lateinamerika. Ihr YouTube-Kanal gehört zu Actualidad RT, Russlands TV-Sender für die spanischsprachige Welt - an die 30 Millionen Follower hat er auf Twitter und YouTube, mehr als alle anderen Kanäle von RT, dem Propaganda-Sprachrohr des Kremls.

In Lateinamerika hat RT, zumindest in großen Teilen der Bevölkerung, ein ganz anderes Renommée, sagt Jorge, der früher selbst bei RT arbeitete. "Als ich nach Moskau kam, hatte ich Arbeitsbedingungen, die es in meinem Land einfach nicht gibt. Ein gutes Gehalt, eine Wohnung, aber auch die Möglichkeiten, international zu berichten, zu reisen, vor allem in unserer Region Lateinamerika" erzählt Jorge, dessen Name geändert ist, da er heute unerkannt bleiben will. "Nachrichten über unsere Region ignorieren die nationalen Medien meistens oder berichten nur aus einer Perspektive, die viele Stimmen außen vorlässt. RT war anders und deswegen für uns als Journalisten sehr attraktiv."

Screenshot Inna Afinogenova

RTs Stil: "Eher Norm als Ausnahme"

Russland wird in der Region historisch als Gegenspieler der USA angesehen, dazu kam: Putin umwarb die Region - mit Staatsbesuchen, der Lieferung von Impfstoffen. Sein Sprachrohr RT en Español wird heute von rund 70 nationalen Sendern übertragen und genießt eine Glaubwürdigkeit ähnlich der anderer Auslandssender wie BBC World oder Deutsche Welle.

Das habe auch mit der Krise des Journalismus in Lateinamerika zu tun, sagt der argentinische Medienwissenschaftler Martin Becerra: "Wir Lateinamerikaner sind an Medien gewöhnt, deren Berichterstattung eher Propaganda gleicht. Denn objektive Berichterstattung gibt es hier kaum. Unser Mediensystem ist geprägt von Konzentration, Kommerz und Polarisierung."

Medien seien entweder regierungstreu oder in den Händen weniger Familien, die ihren Einfluss nutzen, um politische oder wirtschaftliche Interessen durchzusetzen - "RT, das sich als Alternative von Links positioniert, erschien da weniger als Ausnahme, sondern eher als Norm."

Ukraine bestimmt das Programm

Doch inzwischen bestimmt der Krieg in der Ukraine auch bei RT en Espaňol fast vollständig das Programm. Es geht um die angebliche Nazi-Bedrohung in der Ukraine, die Kriegsverbrechen von Butscha wurden zum Täuschungsmanöver deklariert. Twitter und YouTube haben RT inzwischen gesperrt.

Der Blick in Lateinamerika habe sich verändert, glaubt Martin Baña, der an der Universität von Buenos Aires zu den Beziehungen zwischen Russland und Lateinamerika forscht. "Eine Sache war, sich als Linksprogressiver mit einem anti-amerikanischen, anti-westlichen Diskurs zu identifizieren. Etwas anderes ist es, hinter Putin zu stehen, der eine Invasion in der Ukraine durchführt. Das war ein Schnitt, ein Großteil der Linken kritisiert Russlands Angriff klar."

Afinogenova ist nun "off air"

Dem Erfolg von Actualidad RT allerdings hat das nicht geschadet, im Gegenteil: Die Videos werden seit Kriegsstart fünf Mal mehr aufgerufen - nun eben von alternativen Plattformen. Und immer wieder übernehmen auch regionale Medien Propaganda und Falschinformationen des russischen Staatssenders.

Allein Influencerin Inna Afinogenova ist in den vergangenen Wochen von der Bildfläche verschwunden: In einer ihrer letzten Sendungen sagte sie, ihre Sendung hat ein Kollege übernommen. "Es ist traurig, dass sich alles so entwickelt hat. Traurig und schrecklich. Krieg ist sch..., und dafür gibt es keine Euphemismen", sagt sie. "Aber es gibt nichts in unserer Berichterstattung, weswegen wir uns schämen. Unser Ziel war es nie, die Realität für jedermanns Bequemlichkeit zu gestalten. Es war, mit einem kritischen und alternativen Blickwinkel zu verstehen, was in der Welt passiert." Statt ihrer sitzt jetzt ein Kollege auf der grauen Couch.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 29. April 2022 um 15:37 Uhr.