
Präsidentenmord in Haiti "Söldner drangen in mein Haus ein"
Nach der Ermordung des haitianischen Präsidenten Moïse hat sich dessen Witwe erstmals öffentlich geäußert. Sie war bei dem Anschlag verletzt und zur Behandlung nach Miami ausgeflogen worden.
"Ich lebe, aber ich habe meinen Mann verloren." Zum ersten Mal seit der Ermordung des haitianischen Präsidenten Jovenel Moïse meldet sich seine Frau zu Wort. "Innerhalb eines Wimpernschlags drangen die Söldner in mein Haus ein und durchlöcherten meinen Mann mit Kugeln (...), ohne ihm auch nur die Chance zu geben, ein Wort zu sagen", sagt Martine Moïse in der Audiobotschaft auf Twitter.
Es dürfe nicht zugelassen werden, "dass sein Blut umsonst vergossen wurde". Ihr Mann habe sich für den Ausbau der Infrastruktur und für Wahlen im Herbst eingesetzt, sagt Martine Moïse. Es sei ein Kampf, den er für Haiti geführt habe, dieser müsse fortgesetzt werden.
Rund zwei Minuten dauert die Nachricht, am Ende bricht Martine Moïse abrupt ab. Die Echtheit wurde von dem haitianischen Kommunikationsminister Pradel Henriquez bestätigt. Nach dem Anschlag wurde die Witwe mit schweren Verletzungen in ein Krankenhaus in Miami gebracht.
Viele Fragen sind noch immer offen
In der Hauptstadt Port-au-Prince ist wieder so etwas wie Alltag eingekehrt. Die Banken und auch die Geschäfte haben wieder geöffnet. Wer die Drahtzieher sind - das Motiv für den Mord an Präsident Moïse ist weiter unklar. Viele stellen sich die Frage, warum die Sicherheitskräfte bei dem Angriff unversehrt geblieben sind. Haben sie die Angreifer einfach passieren lassen? Sind sie am Ende auch involviert? Darüber wird wild spekuliert. Viele Menschen seien verunsichert, hätten Angst vor weiterem Chaos und der Gewalt im Land, berichtet eine lokale Journalistin aus Port-au-Prince.
Nach Angaben der haitianischen Polizei führten 28 ausländische Söldner den Mord aus: 26 Kolumbianer und zwei US-Amerikaner haitianischer Herkunft. Weitere sind auf der Flucht. Laut der kolumbianischen Regierung sind mindestens sechs der mutmaßlichen Attentäter ehemalige Angehörige des Militärs.
Die Polizei inszenierte ihren schnellen Erfolg bei einer Pressekonferenz: 17 mutmaßliche Attentäter wurden mit Handschellen den Journalisten vorgeführt. Ein riesiges Waffenarsenal wurde auf einem weißen Klapptisch ausgebreitet.
Machtkampf um Nachfolge entbrannt
Derweil zeichnet sich ein Machtkampf um die Nachfolge für den ermordeten Präsidenten ab. Der Vorsitzende des Senats, Joseph Lambert, wurde zum Übergangspräsidenten gewählt. Bindend ist die Entscheidung allerdings nicht, da der Senat seit einem Jahr nicht mehr beschlussfähig ist. Weil eine für Oktober 2019 vorgesehene Parlamentswahl unter anderem wegen heftiger Proteste gegen Moïse ausgefallen war, gibt es nur noch zehn von 30 Senatoren, deren Amtszeiten nicht abgelaufen sind. Im Unterhaus, der Abgeordnetenkammer, sitzt niemand mehr.
Daneben beansprucht auch der eigentlich von Moïse abgesetzte Interims-Premierminister Claude Joseph die Macht für sich. Er hielt in den vergangen Tagen Ansprachen an die Nation, führte Gespräche mit ausländischen Regierungen und erklärte den Ausnahmezustand. Eigentlich hätte jedoch Ariel Henry diese Woche das Amt des Premierministers offiziell übernehmen sollen. Moïse hatte den Neurochirurgen noch zwei Tage vor seinem Tod zum Nachfolger von Joseph ernannt. Henrys Vereidigung war nach dem Attentat aber ausgefallen. Er sieht sich als rechtmäßiger Premierminister.
Beobachter hoffen auf Einheitsregierung
Der in Haiti geborene Professor für Internationale Beziehungen der Universität von Virginia, Robert Fatton, hofft auf die Bildung einer nationalen Einheitsregierung. Im Interview mit dem US-amerikanischen Fernsehsender PBS erklärte er:
Auf diese Art und Weise wäre eine Versöhnung der unterschiedlichen Akteure in Haiti möglich. Ob wir das tatsächlich erreichen, ist natürlich die große Frage. In der Vergangenheit gab es keine Anzeichen dafür, dass sich die Opposition auf Präsident Jovenel Moïse zubewegt. Nun gibt es ihn nicht mehr. Es hat eine gewisse Tragik - aber vielleicht öffnet dieser Moment die Möglichkeit für einen Kompromiss.
An dieser nationalen Einheitsregierung müssten sowohl die traditionellen politischen, aber auch zivilgesellschaftliche Akteure aus allen Bereichen beteiligt werden. Sollte dieses Vorhaben scheitern, werde Chaos ausbrechen, befürchtet der Politologe.