Trümmer im Dorf Tafghaghate

Marokko einen Monat nach Erdbeben Zwischen Trümmern und Bankern

Stand: 12.10.2023 17:18 Uhr

Während IWF und Weltbank in Marokko tagen, leben die Menschen in den Bergdörfern des Landes einen Monat nach dem katastrophalen Erdbeben noch immer zwischen Trümmern.

Abdelrahim Ait Brahim arbeitet seit dem Erdbeben tagein, tagaus dort, wo vormals sein Haus stand. Außer Schutt ist nichts geblieben; noch immer räumt er Steine weg. Drei Stockwerke hatte das Haus: unten der Stall für die Tiere, oben wohnte die jetzt nur noch dreiköpfige Familie.

Seine siebenjährige Tochter hat Ait Brahim verloren. Vielleicht hilft ihm die Arbeit, nicht dauernd daran zu denken. Immerhin hat er es geschafft, wieder einen Platz für die Kuh aufzubauen - es ist das einzige seiner Tiere, das überlebt hat. Anders als vor dem Beben kann die Familie jetzt nicht mehr vom Vieh leben.

Abdelrahim Ait Brahim und seine Frau vor den Trümmern ihres Hauses

Außer Schutt ist Abdelrahim Ait Brahim und seiner Frau nichts von ihrem Haus geblieben. Bei dem Erdbeben vor einem Monat starb auch ihre Tochter.

Angst vor dem Winter

Sie bekämen Geld vom Königshaus, sagt Ait Brahim. Rund 250 Euro sind das, pro Monat und Familie, ein Jahr lang. Aber es sei nicht genug. "Wir schlafen in einem Zelt, tagsüber ist es noch extrem heiß, nachts schon kalt, wir sind arm jetzt." Und sie haben Angst vor dem nahen Winter.

So geht es den meisten Familien in Tafghaghate, einem kleinen Ort am Atlasgebirge, abseits der Hauptstraßen. Die Ad-hoc-Hilfe aus der marokkanischen Bevölkerung kam auch hier schnell an: Kleidung, Wasser, Lebensmittel, auch Zelte und jetzt das Geld vom Staat. Eine deutsche private Hilfsorganisation baute Toiletten, lieferte ein Zelt für eine Schule.

Kinder gibt es viele, aber meist keinen Lehrer. Wann und wie sie ihre Häuser wieder aufbauen können, weiß in Tafghaghate niemand. Sie setzen auf das Königshaus, vertrauen auf Gott. Weg von hier in die Stadt wollen allenfalls die Jungen.

Weltkongress in Marrakesch

Kontrastprogramm: Nur eine Stunde Autofahrt entfernt in Marrakesch tagen Banker, Notenbank-Chefinnen, Finanzexperten aus aller Welt, fast 15.000 Gäste. Bei der Jahrestagung von IWF und Weltbank wuseln sie in Business-Kleidung über die Gänge eines eigens aufgebauten Campus, fachsimpeln über Inflation, Zinsen oder Wachstumsperspektiven. Und über Marokkos Lage nach dem Erdbeben.

Kurz nach dem Beben sammelten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Weltbank eine halbe Million Dollar und spendeten das Geld den Opfern. Jesko Hentschel ist einer der vielen Weltbanker auf dem Campus, arbeitet seit vier Jahren in Marokko als "Country Director". Dass der Kongress jetzt so kurz nach dem Erdbeben tatsächlich stattfindet sei von großer Bedeutung für das Land und habe eine Signalwirkung. Für Schwellenländer wie Marokko ist eine so bedeutsame Veranstaltung ein Aushängeschild.

Weltbank-Hilfe für Marokko

Die Weltbank selbst kann in Marokko zeigen, wie sie künftig arbeiten will. Direkt nach dem Beben hat Hentschel sich mit Vertretern der Regierung zusammengesetzt und besprochen, wie man bestehende Projekte in den vom Erdbeben betroffenen Gebieten jetzt nutzen könne.

"Das Erdbeben war ja in einem der ärmsten Gebiete in Marokko", sagt er. "Da haben viele Leute vor zehn Jahren noch kein fließendes Wasser gehabt. Und da haben wir ganz konkret Brunnen finanziert, und zwar so, dass die Bewohner selber diese Brunnen jetzt kollektiv managen." Eine Million Menschen in ländlichen Gebieten profitieren von den Projekten, insbesondere jetzt, nach dem Beben und angesichts der anhaltenden Dürre.

Hilfe für den Wiederaufbau

Und wie geht es für Marokko weiter? Die Staatshilfe nach dem Beben lief schnell an. Bei der Weltbank-Wachstumsprognose liegt das Land mit 2,8 Prozent in diesem Jahr vor Deutschland. Der Einbruch durch das Beben werde moderat sein, so Hentschel.

Offizielle deutsche Hilfe ist jetzt auch in Marokko erwünscht, nachdem das Land kurz nach dem Beben die ersten Hilfsangebote ausgeschlagen hatte. Svenja Schulze, Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, besuchte am Rande der Weltbank-Konferenz die weltberühmte und nun beschädigte Altstadt in Marrakesch. Manches ist dort schon repariert, aber vielerorts wurden die Schäden zum Kongress dekorativ verhüllt, mit Planen im Look der Landesflagge.

Vermutungen, politische Gründe könnten für Marokkos anfängliche Ablehnung eine Rolle gespielt haben, kommentiert Schulze nicht. Ihr Eindruck: Marokko habe zu Beginn des Bebens selbst eingeschätzt, welche Unterstützung es brauche und habe mit eigenen Kräften helfen können.

Jetzt aber könne das Land deutsches Know-how gebrauchen und habe das auch dezidiert angefordert: "Deswegen helfen wir Marokko jetzt beim Wiederaufbau. Wir konnten jetzt schon mit der Regierung vereinbaren, dass wir sehr schnell zehn Millionen Euro umsteuern, um zu helfen, dass Häuser wieder so aufgebaut werden, dass sie erdbebensicherer sind als zuvor", sagte Schulze. Dazu liefert Deutschland mobile Sanitäranlagen und Öfen. Und man wolle auch kleinen Unternehmen sowie Kleinbäuerinnen und Kleinbauern helfen, dass sie weitermachen und zur Ernährung der Bevölkerung beitragen können.

Was kommt auf dem Lande an?

Wieviel die Menschen oben in den Bergen von alldem wissen, und wieviel von dem Geld am Ende etwa dem Dorf Tafghaghate zugute kommt, ist nicht vorhersehbar. Es liegt abseits der Hauptstraßen, hier wurden keine Delegationen von Weltbank oder Internationalem Währungsfonds herumgeführt. Die Vorzeige-Zeltlager sind anderswo.

Und angesichts der heftigen Zerstörung des einstigen 240-Seelen-Dorfes ist kaum vorstellbar, dass dort jemals wieder Häuser stehen werden. Wenn doch, dann hoffentlich tatsächlich mit anderem Material und besserer Bauweise als zuvor. Die im Atlas üblichen Lehmziegelhäuser sind in der Nacht des Bebens zusammengefallen wie Kartenhäuser.

Dunja Sadaqi, ARD Rabat, tagesschau, 13.10.2023 05:50 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 12. Oktober 2023 um 05:22 Uhr.