Streit um Flüchtlingspolitik EU erwägt Geld als Druckmittel

Stand: 27.10.2015 15:12 Uhr

Die EU hat in der Flüchtlingskrise ein Solidaritätsproblem. Nationale Eigenstaaterei tritt offen zutage. Warum also nicht Geld als Druckmittel einsetzen, um die ausscherenden Regierungen auf Linie zu bringen? Die Idee findet in Brüssel einflussreiche Freunde.

Die Regierung in Wien brachte Ende August eine radikale Idee ins Gespräch: EU-Mitgliedsländer, die sich in der Flüchtlingskrise querstellen und nationale Interessen vor europäische Solidarität stellen, sollten Gelder aus dem EU-Haushalt gestrichen werden, schlug Innenministerin Johanna Mikl-Leitner vor.

Knapp zwei Monate später ist die EU von Solidarität in der Flüchtlingspolitik immer noch weit entfernt. Vorwürfe und Schuldzuweisungen bestimmen die Debatte, zuletzt mischte auch die bayerische Landesregierung ganz vorn mit und wetterte gegen Österreich.

Kosten für Flüchtlinge einrechnen

Wohl auch deshalb griff EU-Chef Jean-Claude Juncker die Idee auf, Geld als Druckmittel einzusetzen. So stellte er jenen Mitgliedsländern eine flexible Auslegung der Regeln im Stabilitäts- und Wachstumspakt in Aussicht, die besonders stark von der Krise betroffen sind. Zugleich unterstrich er, dass einige Staaten nicht genug täten und somit nicht mit Milde aus Brüssel rechnen könnten.

Der Kommissionschef kündigte an, dass seine Behörde die erweiterte Fassung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes anwenden werde, um die Kosten der Flüchtlingskrise zu berücksichtigen. Die Überprüfung werde Land für Land vorgenommen. Österreich bat bereits darum, dass in Brüssel die entstandenen Kosten im Staatshaushalt mitberechnet werden. Juncker unterstrich, dass jedes Land beweisen müsse, tatsächlich hohe Ausgaben infolge der Flüchtlingskrise zu haben.

Verweigerern Fördergelder sperren

Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem schlug vor, Staaten Mittel aus EU-Fördertöpfen zu sperren, wenn sie die Aufnahme von Asylbewerbern verweigern. Auch der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe, Herbert Reul, machte sich für finanziellen Druck auf bestimmte EU-Staaten stark: "Wir müssen darüber nachdenken, wie man mit Ländern umgeht, die sich total unsolidarisch verhalten."

Im EU-Parlament machte Juncker seinem Unmut über das Verhalten vieler Mitgliedsländer in der Flüchtlingskrise Luft. "Die Mitgliedstaaten bewegen sich zu einer Zeit langsam, in der sie eigentlich rennen sollten", sagte er in Straßburg. Nach mehr als einem Monat hätten die EU-Regierungen nur 326 von 775 durch die EU-Grenzagentur Frontex angeforderte Experten bereit gestellt. Zudem fehlten weiter 2,3 Milliarden Euro an Finanzusagen. Auch die versprochene Umverteilung von 160.000 Flüchtlingen kommt kaum voran. "Die EU-Staaten müssen das tun, was sie versprochen haben", mahnte Juncker. "Wir dürfen nicht vergessen, dass wir einen Beschluss für die Umsiedlung von 160.000 Menschen haben."

Juncker nervt die Kritik aus Bayern

Die Streitigkeiten und gegenseitigen Schuldzuweisungen beim Sondertreffen zur Westbalkanroute am Sonntag sind für Juncker ein Zeichen, "dass die EU in keinem guten Zustand ist". Zunehmend genervt zeigte er sich von der Kritik aus Bayern, dass seine Behörde zu wenig zur Eindämmung der Flüchtlingskrise unternehme. Es brauche keine "feierlichen Appelle aus Bayern und von sonstwo", unterstrich Juncker.

Via Zeitungsinterview hatte Bayerns Regierungschef Horst Seehofer auf die seiner Meinung nach mangelnde Kooperation der österreichischen Regierung geschimpft. Zugleich drohte er erneut mit "bayerischer Notwehr", sollte Kanzlerin Angela Merkel nicht bis kommenden Sonntag den Zuzug an Flüchtlingen begrenzen.

Ultimative Forderungen aus Bayern ist man in Berlin bereits gewohnt. "Wir können den Schalter nicht mit einem Mal umdrehen, sondern müssen Schritt für Schritt vorgehen", erklärte Merkel. Sie verwies auf die jüngste Verschärfung der Asylgesetze in Deutschland und die europäischen Beschlüsse zur Flüchtlingskrise. Auch Seehofers Aufforderung ließ sie abprallen, umgehend mit dem österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann über eine Begrenzung der Weiterreise von Flüchtlingen aus Österreich nach Bayern zu sprechen. Sie pflege "konstante Kontakte" nach Österreich, sagte sie. "Heute schon wieder, morgen und übermorgen auch". Dies sei "die Normalität unseres Handelns".

Auch in Österreich kam Seehofer nicht gut an. Die Regierung in Wien betonte, Österreich sei keineswegs nur Transitland für Flüchtlinge, sondern nehme selbst gemessen an der Einwohnerzahl mit am meisten Flüchtlinge innerhalb der EU auf. Für 2015 rechnet Österreich insgesamt mit 85.000 Asylanträgen im eigenen Land.