EU-Treffen zur Balkan-Flüchtlingskrise Vorwürfe und Schuldzuweisungen

Stand: 25.10.2015 23:22 Uhr

Jeder ist sich selbst der Nächste - nach diesem Motto reagieren manche Staaten auf den Flüchtlingsandrang. Ein Krisentreffen in Brüssel sollte die Spitzenpolitiker ins Gespräch bringen. Doch zum Auftakt hagelte es Vorwürfe und Schuldzuweisungen.

Harsche Schuldzuweisungen und Kritik an EU und Nachbarn haben den Beginn des Brüsseler Flüchtlingsgipfels geprägt. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem vergleichsweise milden Statement in die Beratungen ging, dass außerordentliche Zeiten außergewöhnliche Maßnahmen erforderten, zeigten sich Regierungschefs vom Balkan regelrecht ungehalten und zornig.

"Jeder ist versucht zu sagen, jemand anders ist Schuld", sagte ein Diplomat am Rande der Gespräche von zehn EU-Ländern sowie Mazedonien, Serbien und Albanien. "Das müssen wir stoppen."

Druck auf Athen

Besonders auf Griechenland wächst der Druck. Einige Regierungschefs warfen Ministerpräsident Alexis Tsipras vor, zu wenig für den Schutz der EU-Außengrenzen zu tun. Kroatiens Regierungschef Zoran Milanovic kritisierte Griechenland als Tor für Flüchtlinge in die Europäische Union: "Warum kontrolliert Griechenland nicht sein Seegebiet zur Türkei? Ich weiß es nicht."

Tsipras beklagte dagegen die Abwesenheit des "entscheidenden Partners" Türkei bei dem Treffen, ohne den es schwer werde, eine Lösung zu finden. Athen werde bis Ende des Jahres wie zugesagt fünf Registrierungszentren, sogenannte Hotspots, einrichten.

Streit gibt es zudem darüber, ob diese Einrichtungen nur zur Registrierung und Verteilung von Flüchtlingen und Migranten genutzt werden - oder auch zur Zurückweisung von denjenigen, die kein Bleiberecht in der EU bekommen. Letztere Meinung vertreten etwa die Bundesregierung und die EU-Kommission.

Entwurf: 400 Grenzschützer sollen auf den Balkan

In dem Entwurf für die Abschlusserklärung heißt es weiter, dass der Grenzschutz zwischen Griechenland und der Türkei verstärkt werden soll. Außerdem soll die EU-Grenzschutzagentur Frontex auch die Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien sowie Albanien besser absichern.

Dazu sollten 400 Grenzschützer anderer EU-Staaten zusätzlich auf dem Balkan eingesetzt werden, heißt es in dem der Nachrichtenagentur Reuters vorliegenden Entwurf. Afghanen, Iraker und andere Asiaten ohne Bleiberecht sollen schneller abgeschoben werden. Zudem soll das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR stärker einbezogen werden.

Warnungen aus Serbien und Slowenien

Serbiens Ministerpräsident Aleksandar Vucic äußerte am Abend wenig Hoffnung auf rasche Fortschritte. "Aber ich bin sicher, dass wir uns wenigstens gegenseitig verstanden haben", sagte er. Er sicherte zu, dass Serbien auch dann seine Grenzen nicht für Flüchtlinge schließen werde, wenn nach Ungarn auch die EU-Staaten Kroatien und Slowenien einen Zaun bauen sollten.

Sloweniens Regierungschef Miro Cerar warnte vor dem Ende der EU, wenn Europa die Krise nicht in den Griff bekomme: "Europa steht auf dem Spiel, wenn wir nicht alles tun, was in unserer Macht steht, um gemeinsam eine Lösung zu finden."

"Ungarn liegt nicht mehr auf der Route"

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hingegen sieht sein Land, das sich mit Grenzzäunen zu Serbien und Kroatien abgeriegelt hat, nur noch als "Beobachter" der Flüchtlingskrise. "Ungarn liegt nicht mehr auf der Route", sagte Orban in Brüssel. Transitstaaten wie Bulgarien oder Rumänien drohen ebenfalls mit der Schließung der Grenzen.

Juncker hatte das Spitzentreffen von zehn EU-Ländern sowie Serbien, Mazedonien und Albanien vergangene Woche kurzfristig einberufen, nachdem sich die Lage auf dem Balkan immer weiter verschlechtert hatte. Seine Behörde hat einen 16-Punkte-Plan mit Sofortmaßnahmen vorgeschlagen, um das Problem anzugehen. Er soll mehr Zusammenarbeit unter den betroffenen Ländern ermöglichen und unter anderem verhindern, dass Flüchtlinge weiter von einem Land zum anderen "durchgewinkt" werden.

Weiterhin dramatische Lage auf dem Balkan

Täglich strömen Tausende über die Westbalkanroute in Richtung Österreich und Deutschland. Die meist aus dem Bürgerkriegsland Syrien stammenden Menschen kommen über die Türkei in die EU. Merkel sagte, bei dem Treffen gehe es "um Linderung, um vernünftiges Obdach, um Wartemöglichkeiten und Ruhemöglichkeiten für die Flüchtlinge" sowie die Aufgabenteilung entlang der Balkanroute.

Slowenien meldete eine neuen Rekordzahl neuer Flüchtlinge. Bis Mitternacht werde mit 15.000 Menschen in dem kleinen EU-Land gerechnet, berichtete die Regierung am Abend in Ljubljana. Die Menschen haben jedoch nicht Slowenien als Ziel, sondern wollen weiter nach Österreich und vor allem nach Deutschland. Nie zuvor seien vom Nachbarland Kroatien so viele Flüchtlinge an einem einzigen Tag an die slowenische Grenze gebracht worden.

Die große Zahl von Flüchtlingen an der Grenze von Österreich zu Bayern bereitet unterdessen der Bundespolizei im Freistaat zunehmend Probleme. Behördensprecher Frank Koller sagte, das Nachbarland schicke deutlich mehr Menschen als vereinbart nach Deutschland. In Simbach im niederbayerischen Landkreis Rottal-Inn standen am Abend knapp 1000 Menschen, für die ein Nachtlager organisiert werden musste. Auch im Landkreis Passau mussten die Behörden ebenfalls etwa 1000 Menschen versorgen.