Ein alter Mann und eine alte Frau gehen spazieren.

Gefahr der Altersarmut Die Aktienrente - eine vertane Chance?

Stand: 25.03.2024 11:27 Uhr

Die Zahl der Aktionäre steigt seit Jahren nur leicht. Noch immer ist die Angst vor Aktien groß - gerade bei Frauen. Die jüngsten Rentenpläne der Regierung halten Experten für einen "Tropfen auf dem heißen Stein".

Viele Deutsche haben Angst vor Aktien. Dabei sei Altersarmut gerade für Frauen das viel größere Risiko, meinen Expertinnen. Investitionen in Aktien könnten die Altersarmut abmildern. Die Bundesregierung hätte mit der Aktienrente mutig vorangehen gehen können, um Ängste abzubauen - ist sie aber nicht. Eine vertane Chance?

Frauen haben im Schnitt rund 900 Euro Rente

"Frauen haben noch mehr Angst vor Aktien als Männer", sagt Annika Peters, von der unabhängigen FrauenFinanzBeratung in Stuttgart. Viele verglichen Aktien mit Spielcasinos. Unter anderem in ihren Rentenseminaren versucht Peters, die sogenannte Aktienangst abzubauen. Die Seminare finden wegen der hohen Nachfrage online statt. Regelmäßig melden sich laut der Expertin bis zu 100 Frauen an.

Aufrüttelnde Zahlen zeigt Peters gleich zu Anfang ihres Seminars. Betrachtete man nur die eigenen Ansprüche auf Altersvorsorge von Frauen, haben diese 42,6 Prozent weniger Rente als Männer. 2022 bekamen Frauen nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung im Schnitt eine monatliche Altersrente von 890 Euro im Monat ausgezahlt.

Doch auch für Männer sehe es für die Rente nicht rosig aus, sagt Peters. Jeder und jede müsse daher zusätzlich mit Aktien vorsorgen. Aus diesem Grund sind sie ein zentraler Baustein in den Seminaren der FrauenFinanzBeratung. Gerade in Deutschland sei das besonders wichtig, da die Deutschen sehr kritisch gegenüber Aktien seien.

Aktionäre in Deutschland in der Minderheit

In einer Studie im Auftrag der Deutschen Börse ist von "der Aktienphobie der Deutschen" die Rede. Die Ursachen: die Kombination von Risikoaversion und überschätztem Risiko, das vor allem durch zu wenig Information entstehe. Das ist das Ergebnis der Studie.

Den Großteil ihres Geldvermögens horten private Haushalte nach wie vor in Form von Bargeld oder parken es auf Giro- und Tagesgeldkonten - trotz geringer Verzinsung in den vergangenen Jahren und zeitweise hoher Inflation. Die sogenannte Aktienteilnahmequote lag dagegen im Jahr 2018 in Deutschland bei nur 16 Prozent. In den USA waren es 54 Prozent.

Seitdem sind in Deutschland nur wenige Aktionäre hinzugekommen, aktuell sind es 17,6 Prozent der Bevölkerung. "Beim Thema Aktienkultur ist Deutschland ein Entwicklungsland. Trotz umfangreicher Aufklärungsarbeit verändert sich die Zahl der Aktionäre seit Jahren kaum", heißt es von der Deutschen Börse.

Entscheidung wird häufig aufgeschoben

Statt ihre Altersvorsorge mit Aktien aufzubessern, täten viele lieber nichts, erklärt auch Professor Alexandra Niessen-Ruenzi. Sie ist Professorin an der Universität Mannheim und befasst sich mit der empirischen Kapitalmarktforschung, insbesondere mit dem Thema geschlechtsspezifische Unterschiede.

Den "Kopf in den Sand zu stecken" sei angesichts der aktuellen Inflationsrate keine gute Idee. Sich aktiv damit zu beschäftigen, werde aber häufig aufgeschoben, weil insbesondere bei Frauen Unwissenheit und fehlendes Vertrauen in die eigenen Finanzentscheidungen zu Berührungsängsten führten, so Niessen-Ruenzi. Nur 38 Prozent aller Aktionäre in Deutschland seien Frauen.

Die Aktienrente, die die Bundesregierung einführen will, hätte eine Chance sein können, Berührungsängste zu mindern, meint die Professorin Niessen-Ruenzi. So wie die Aktienrente jetzt angedacht sei, "ist sie nur ein Tropfen auf dem heißen Stein". Geplant ist, dass künftig zwölf Milliarden Euro plus Dynamisierung jährlich in verschiedene Vermögenswerte fließen. Das Risiko trägt der Bund, das Geld wird durch Kredite finanziert. Die Rentenbeitragszahlungen der Deutschen werden nicht dafür verwendet.

Vorbild Schweden

Niessen-Ruenzi findet, man müsse viel mehr Geld in Aktien anlegen und die Bürgerinnen und Bürger daran beteiligen. Vorbildlich sei das schwedische System der Aktienrente. In diesen Systemen wird direkt ein Teil des Rentenbeitrags der Versicherten am Kapitalmarkt investiert. In Schweden sind das 2,5 Prozent.

Dabei können die Versicherten entscheiden, ob sie in einen staatlich verwalteten Aktienfonds oder stattdessen in andere vorausgewählte Aktienfonds investieren wollen. "Das bedeutet, es besteht hier schon einmal ein Anreiz, sich mit dem Thema zu befassen und eine Entscheidung zu treffen", so Niessen-Ruenzi.

Die Größe des Anteils der Aktienrente an der gesamten Rentenauszahlung hängt in Schweden davon ab, wie sich der Markt entwickelt. Das kann für die Versicherten gut sein, stelle aber auch eine Unsicherheit da, die sich nicht wegdiskutieren lasse, erläutert Niessen-Ruenzi.

Langfristig positive Rendite

Doch sie hält das Risiko für überschaubar. Ein Blick auf die vergangenen Jahrzehnte zeige, dass bei langen Anlagezeiträumen auf dem globalen Aktienmarkt im Schnitt eine positive Rendite von 7,5 Prozent erwirtschaftet wird. Auch der staatlich verwaltete schwedische Aktienfonds hatte zwar schon Verluste. Über die Jahre gesehen sind die Rendite im Schnitt aber positiv.

So vermittelt das auch Peters in ihren Seminaren. Die Zeit sei ein Freund. Sie rät ihren Teilnehmerinnen langfristig und regelmäßig anzulegen, in Krisenzeiten nicht unruhig zu werden. "Selbst wenn man kurz vor der Finanzkrise 2008 angelegt und dann Verlust gemacht hätte, wäre heute das Geld, wenn man es nicht rausgezogen hat, im Schnitt deutlich mehr wert", so Peters.

Mehr Finanzbildung in der Schule?

Um Ängste abzubauen sei es wichtig, die allgemeine Finanzbildung in der Bevölkerung zu verbessern, meint Niessen-Ruenzi. Sie fordert deshalb, dass Finanzwissen schon in der Schule vermittelt werde, um die breite Bevölkerung zu erreichen.

Auch Peters findet es wichtig, diese Wissenslücke zu schließen. Deshalb gibt sie ihre Online-Seminare. Gerade die finanzielle Bildung sei ein wichtiger Schlüssel für finanzielle Unabhängigkeit. "Wissen ist hier Macht, und diese Macht sollten Frauen über ihr Leben und ihr Geld haben." Bei Männern sei es das gleiche.  

Das staatliche Rentenniveau liegt derzeit bei 48 Prozent. Das bedeutet: Die Rente beträgt 48 Prozent des durchschnittlichen Bruttoeinkommens der Deutschen - aber auch nur für die, die 45 Jahre in die Rente eingezahlt haben. Auch künftig soll es auf diesem Niveau bleiben. Um gut leben zu können, müsse eigentlich jeder noch privat in Aktien investieren, um sich abzusichern, sagt Peters. Die aktuelle Aktienangst der Deutschen koste sie viel Geld. Dabei könne jede und jeder auch mit kleinen Beträgen eine Altersvorsorge mit Aktienfonds aufbauen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 19. März 2024 um 23:31 Uhr.