Der britische Premierminister Tony Blair, US-Senator George Mitchell und der irische Premierminister Bertie Ahern nach der Unterzeichnung des Karfreitagabkommens 1998

25 Jahre Karfreitagsabkommen Die Gräben in Nordirland bleiben tief

Stand: 07.04.2023 08:55 Uhr

Am Karfreitag vor 25 Jahren endeten die "Troubles" in Nordirland. Seitdem ist die Zeit der Gewalt zwar weitgehend vorbei, doch die Gesellschaft ist weiter gespalten - und der Brexit hat neue politische Probleme geschaffen.

Jonathan Powell kann sich noch gut erinnern an die Verhandlungen zum Karfreitagsabkommen. Er zog mit dem britischen Premierminister Tony Blair 1997 in die Downing Street No 10 ein - und dann ging es los.

Blair wollte den Schwung des Wahlsiegs nutzen und nach vielen gescheiterten Versuchen seiner Vorgänger endlich in Nordirland Frieden erzielen. Powell sollte die Gespräche mit den Konfliktparteien führen. Schon bald klingelte das Telefon, erzählte Jonathan Powell im ARD-Interview.

Am Apparat war Martin McGuiness, der ehemalige IRA-Kämpfer, der Karriere in der Partei Sinn Fein gemacht hatte, und lud Powell nach Derry ein. Powell fand sich also an einer verabredeten Straßenecke in der nordirischen Stadt ein und kam sich vor wie in einem Spionage-Thriller von John le Carré: "Dann kamen zwei Typen vorgefahren mit rasiertem Schädel und sagten, Martin McGuiness habe sie geschickt."

Martin McGuinness mit Gerry Adams im Hintergrund bei einer Veranstaltung in Belfast im Jahr 1994.

Martin McGuiness war IRA-Terrorist, dann Unterhändler für das Karfreitagsabkommen von 1998 - und später nordirischer Vizeregierungschef.

Vertrauen als Voraussetzung für Abkommen

Sie lieferten ihn an einem Neubau ab, der Sinn Fein-Politiker trat auf Krücken gestützt an die Tür: "Er machte einen schlechten Witz über 'kneecapping', das ist die Methode, mit der die IRA Verräter bestrafte, in denen ihnen ins Knie geschossen wurde."

Die beiden sprachen drei Stunden, ohne irgendeinen Fortschritt. Doch Powell wurde damals klar: Wenn die Verhandlungen erfolgreich enden sollten, dann sei das nur möglich, indem Vertrauen aufgebaut wird. Offizielle Treffen in der Downing Street seien dafür nicht die richtige Strategie gewesen.

Am Morgen des Karfreitags 1998 konnte schließlich Tony Blair verkünden, dass es ein Abkommen gibt. Die US-Regierung war in die Verhandlungen involviert, die EU hatte Hilfen für Nordirland in Aussicht gestellt. Das Abkommen beendete die Zeit der "Troubles", der Anschläge, bei denen mehr als 3500 Menschen getötet und tausende verletzt wurden.

Junge Menschen wollen Polarisierung überwinden

Doch auch 25 Jahre nach dem Karfreitagsabkommen ist deutlich: Die gesellschaftlichen Gräben sind immer noch tief und die politischen Herausforderungen groß. David McGreevy hat einen Verein für Gaelic Games im Osten von Belfast gegründet. Gaelic Football wird hier gespielt, eine Mischung aus Fußball und Rugby, das vor allem in der Republik Irland ganz groß ist.

25 Jahre nach dem Karfreitagsabkommen in Nordirland scheint Versöhnung nicht in Sicht

Sven Lohmann, ARD London, tagesschau24 09:00 Uhr

"Das ist eine Sportart, die man gar nicht mit diesem Teil der Stadt verbindet", sagt McGreevy. Denn hier leben vor allem Familien mit protestantischem Hintergrund, die die Zukunft Nordirlands im Vereinigten Königreich sehen. David will über diese Polarisierung - Unionisten, republikanische Kräfte - hinwegkommen. Er will Menschen zusammenbringen. Mit Erfolg: Der Zulauf ist enorm, und es kommen Sportler aus allen Teilen der Gesellschaft. Vor allem jüngere Menschen wollen die Polarisierung der Gesellschaft überwinden.

Doch so einfach ist es gar nicht: Der Verein sucht dringend einen Platz. Die benötigten Spielfelder sind enorm groß. Derzeit trainieren die Mitglieder über die ganze Stadt verteilt. Dazu kommt, dass es in Ost-Belfast viele Vorbehalte gegenüber einem "Gaelic Games"-Club gibt.

Einige andere Vereine haben sich nach "Helden" der republikanischen Gemeinschaft benannt oder setzen die irische Fahne über dem Vereinsgelände. Das befürchten Anwohner auch hier. Doch der Verein von McGreevy ist längst weiter, er plant das gar nicht. Die Farben des Vereins sind Schwarz und Gold, kein Grün für die irische Seite, kein Orange für die loyalen Kräfte. Trotzdem ist das Misstrauen groß.

Wandgemälde in Belfast, dass dem Kampf gegen die Vereinigung Irlands huldigt.

Militante Nordiren feiern noch heute den bewaffneten Kampf gegen die Vereinigung Irlands - auch auf diesem Wandgemälde in Belfast.

Alliance Party versucht, Lagerdenken zu überwinden

Das liegt auch daran, dass Schülerinnen und Schüler nach wie vor auf Schulen gehen, in denen sie nach ihrem familiären Hintergrund getrennt werden. Nur sieben Prozent der Kinder und Jugendlichen gehen auf Schulen, auf denen sich die Konfessionen vermischen.

Ändern will das zum Beispiel die Alliance Party of Northern Ireland. Die liberale Partei rechnet sich weder dem unionistischen noch dem loyalistischen Lager zu. Viele Wählerinnen und Wähler, die den Konflikt und die Polarisierung der Gesellschaft hinter sich lassen wollen, wählen Alliance.

Immerhin ist die Partei im Mai 2022 als drittstärkste Kraft aus den Regionalwahlen hervorgegangen. David Honeyford zum Beispiel wurde damals als Abgeordneter gewählt. Er kommt regelmäßig ins Parlament, obwohl dieses derzeit gar nicht zusammentritt.

DUP blockiert politischen Betrieb

Die Democratic Unionist Party (DUP) blockiert, weil sie die Vereinbarung zwischen der Londoner Regierung mit der EU zur Lösung des durch den Brexit verursachten neuen Streits um Nordirland boykottieren.

Deswegen gibt es keine Regierung und das Parlament tagt nicht. Honeyford ärgert das, es gebe viel zu tun, sagt der junge Mann. Gerade erst sei ein Arzt in seiner Sprechstunde gewesen. Er habe einen Patienten, der wahrscheinlich zehn Jahre auf eine künstliche Hüfte warten müsse. Der Gesundheitsdienst NHS ist am Boden. Die Politik müsste Reformen auf den Weg bringen.

Das Karfreitagsabkommen sieht vor, dass die Regeln, die vorschreiben, dass Unionisten und Republikaner immer zusammen regieren müssen, verändert werden könnten. Diese Machtteilung war einst als Sicherheit für die Minderheiten eingeführt worden. Doch mittlerweile hemmt sie die Politik.

Die Vorgaben können verändert werden, aber dazu müsste erst einmal das Parlament wieder zusammentreten. Es ist weiter ein langer, steiniger Weg.

Christoph Prössl, Christoph Prössl, ARD London, 05.04.2023 11:00 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 07. April 2023 um 09:23 Uhr.