Ein junger Mann blickt aus dem Fenster eines Regionalexpress, der an einem Wald vorbei fährt.

Depressionen bei Männern Aggressiv und wütend - statt niedergeschlagen

Stand: 13.03.2024 06:02 Uhr

Antriebslos und traurig zu sein - diese Merkmale gelten allgemein als typische Zeichen einer Depression. Bei Männern aber ist es häufig anders: Sie haben gerade anfangs ganz andere Symptome als Frauen.

Von Astrid Wulf und Justina Bretzel, SWR

Fünf von 100 Männern werden laut Statistiken depressiv. Bei Frauen liegt die Zahl doppelt so hoch. Trotzdem ist die Suizidrate bei Männern dreimal höher. Fachleute vermuten, dass die Krankheit bei ihnen oft übersehen wird, weil sie gerade am Anfang der Depression andere Symptome haben.

Männer seien schnell gereizt und aggressiv, erklärt Anne Maria Möller-Leimkühler, Professorin für sozialwissenschaftliche Psychiatrie an der Ludwig-Maximilians-Universität München in SWR2 Wissen. Die Spannungen führten oft zu vermehrtem Alkohol- oder Drogenkonsum. Betroffene stürzten sich in die Arbeit oder trieben exzessiv Sport. Viele zögen sich komplett zurück, so Möller-Leimkühler.

Das passt nicht zum "typischen" Erscheinungsbild von Depressionen, zu dem eher Antriebs- und Freudlosigkeit, Weinen und Grübeln gehören. Zwar kommt das auch bei Männern vor, wird aber deutlich seltener berichtet.

Psychische Probleme passen nicht zu Männlichkeitsideal

Laut dem Psychotherapeuten Johannes Vennen tun sich viele Männer schwer, ihre Gefühle zu benennen. Dadurch würden viele ihre Symptomatik nicht wahrnehmen. Hinzu komme, dass alte Männlichkeitsideale mit Stärke und Macht verbunden werden - dazu passe keine Depression.

Dass Männlichkeitsbilder, Depression und Vorbehalte gegenüber einer Therapie zusammenhängen, zeigt eine Studie der American Psychological Association mit 19.000 männlichen Teilnehmern: Je größer die Ausrichtung nach maskulinen Rollenbildern, desto stärker stieg das Depressionsrisiko und desto seltener suchten sie therapeutische Unterstützung.

Gendersensitives Diagnoseinstrument für bessere Früherkennung

Viele Männer suchten sich erst Hilfe, wenn sie körperliche Symptome wie Schlafprobleme, Herzrasen und sexuelle Funktionsstörungen zu sehr belasten. Allerdings kämen Hausärzte und -ärztinnen dann zu selten auf die Idee, eine mögliche Depression abzuklären. Auch sie verbänden die Krankheit mit Niedergeschlagenheit und Antriebsarmut, sagt Medizinerin Möller-Leimkühler.

Darum hat sie ein gendersensitives Depressionsscreening mitentwickelt. Das fragt gezielt auch typisch männliche Symptome ab. Mit Erfolg: Es konnte bis zu 18 Prozent mehr Männer mit Depressionsrisiko identifizieren als ein Standardinstrument.

Vasopressin erhöht Aggressionsbereitschaft

Warum drücken sich Depressionen bei Männern anders aus als bei Frauen? Ein Grund ist ihre spezifische biochemische Reaktion auf Stress. Dabei wird neben Adrenalin auch Vasopressin ausgeschüttet - ein Hormon, das mit Aggression und Verteidigungsverhalten zusammenhängt.

Außerdem liegen der Krankheit tendenziell andere Auslöser zugrunde: Frauen würden eher depressiv, wenn sie chronische Konflikte in sozialen Beziehungen erleben. Männer dagegen bei Trennung, Arbeitslosigkeit, Pensionierung, Alleinleben oder bei fehlender Anerkennung am Arbeitsplatz, zählt Medizinerin Möller-Leimkühler die Risikofaktoren auf.

Männerzentrierte Therapie: Geschützter Rahmen für sensible Themen

Mittlerweile bieten immer mehr Kliniken spezielle Angebote für Männer mit Depressionen. Dazu gehöre, dass Männer in der Therapie unter sich bleiben, erzählt Oberärztin Janina Tillmanns von der Wahrendorff-Klinik bei Hannover. In den Gesprächsgruppen gehe es oft um sexuelle Funktionsstörungen im Rahmen von Depressionen, etwa Libidoverlust oder Erektionsstörungen. Und da sagten die meisten: Das würden wir nie ansprechen, wenn Frauen mit dabei sind.

Außerdem setzt die Wahrendorff-Klinik auf Sport, weil dabei stimmungsaufhellende Hormone wie Dopamin, Serotonin und Endorphine verstärkt ausgeschüttet werden. Angeboten werden Kraft- und Ausdauersport, Bogenschießen, Tischtennis, Klettern sowie Yoga und gezieltes Achtsamkeitstraining. Alles Sportarten, die Konzentration, Selbstvertrauen und die eigene Körperwahrnehmung fördern. Etwas, das gerade depressiven Männern häufig fehlt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtet SWR2 Wissen am 13. März 2024 um 8:30 Uhr.