Eine Packung Antibiotika (M) und diverse andere Medikamente liegen auf einem Tisch in einer Apotheke.

Pharmaforschung Ein öffentlich finanziertes Antibiotikum

Stand: 04.11.2023 08:51 Uhr

Erstmals hat eine gemeinnützige Organisation eine große Studie zu einem neuen Antibiotikum geleitet und finanziert. Nach vorläufigen Ergebnissen kann das Mittel im Kampf gegen resistente Tripper-Erreger helfen.

Der Kampf gegen resistente Bakterien ist eine der größten Herausforderungen der Medizin. Millionen Menschen sterben nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO jedes Jahr, weil die zur Verfügung stehenden Antibiotika nicht mehr anschlagen. Doch neue Mittel werden kaum noch entwickelt, weil es sich für große Pharmakonzerne nicht lohnt.

Die WHO hat deshalb 2016 zusammen mit der "Drugs for Neglected Diseases initiative" (DNDi) eine öffentlich finanzierte Stiftung gegründet: die "Global Antibiotic Research & Development Partnership" (GARDP). Sie soll dabei helfen, neue Antibiotika gegen bestimmte, besonders gefährliche Bakterien zu entwickeln. Das Ziel der Organisation ist, bis 2025 fünf neue Therapien gegen antibiotikaresistente Erreger zu entwickeln.

Nun hat die Stiftung erstmals Ergebnisse einer großen klinischen Studie vorgelegt - zu einem Medikament gegen die Geschlechtskrankheit Gonorrhoe (Tripper). Demnach wirkt das Mittel gegen die Bakterien und sei "allgemein gut verträglich". Es habe keine schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse oder Todesfälle gegeben.

Hoffnung für Patienten

Die positiven Studienergebnisse seien "ein bedeutender Meilenstein" in der Entwicklung des neuen Antibiotikums, teilte GARDP mit. Sie würden betroffenen Patienten Hoffnung geben. Sollte das Mittel von den zuständigen Behörden zugelassen werden, wäre es das erste neue Antibiotikum gegen Gonorrhoe seit Jahrzehnten.

Die Krankheit ist eine der häufigsten sexuell übertragbaren Erkrankungen - mit mehr als 80 Millionen Fällen pro Jahr. In vielen Ländern, vor allem in Südostasien, breiten sich Resistenzen aus. Die vorhandenen Medikamente wirken deshalb häufig nicht mehr. 2013 hatte die Gesundheitsbehörde der USA resistente Gonorrhoe-Erreger als "akute Bedrohung" eingestuft.

Studie nicht von Pharmakonzern finanziert

Eine besondere Bedeutung hat diese Studie zudem, weil sie nicht von einem privaten Unternehmen, sondern von der öffentlich finanzierten Stiftung durchgeführt worden ist. Größter Geldgeber ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung in Berlin. Auch andere Länder sind beteiligt. "Wir haben hier eine Art globale Pandemievorsorge betrieben", sagt Peter Beyer, stellvertretender Geschäftsführer von GARDP.

Zahl der resistenten Gonorrhoe-Erreger steigt

Die WHO stellte vor einigen Jahren fest, dass die Zahl der resistenten Gonorrhoe-Erreger ansteige, aber kaum Medikamente dagegen entwickelt würden. Eines davon war Zoliflodacin. Das Mittel war ursprünglich von Forschern beim Pharmakonzern AstraZeneca entwickelt worden, der seine Antibiotika-Abteilung jedoch 2015 auslagerte und später komplett verkaufte. Die weitere Entwicklung des Mittels hätte deshalb scheitern können. Denn die für eine Zulassung von neuen Medikamenten nötigen Studien sind aufwändig und werden meist nur von großen Pharmaunternehmen durchgeführt, die dafür das Wissen und das Geld haben.

In diesem Fall übernahm jedoch GARDP. 2017 kündigte die Stiftung an, in die Entwicklung von Zoliflodacin einzusteigen. "Trotz des extrem hohen Wertes für die öffentliche Gesundheit wurde nicht genug in die Entwicklung neuer Medikamente gegen Gonorrhoe investiert", sagt der Geschäftsführer von GARDP, Manica Balasegaram. Das Zoliflodacin-Programm zeige nun, "dass es möglich ist, antibiotische Behandlungen gegen multiresistente Bakterien zu entwickeln, die die größte Bedrohung für die öffentliche Gesundheit darstellen und die andernfalls möglicherweise nicht entwickelt werden."

Kosten für die Entwicklung von Antibiotika

Und tatsächlich scheint es sogar deutlich weniger zu kosten als die Pharmaindustrie meist behauptet. GARDP teilte auf NDR-Anfrage mit, dass sie die Gesamtkosten für die Entwicklung von Zoliflodacin auf etwa 80 Millionen Euro schätzen - einschließlich der Durchführung der Studie mit fast 1.000 Teilnehmern in fünf Ländern und weiterer nötiger Schritte wie der Vorbereitung des Zulassungsantrags.

Die Pharmaindustrie spricht dagegen immer wieder von Hunderten Millionen Euro, teils sogar mehr als einer Milliarde, die für die Entwicklung eines neuen Antibiotikums nötig seien. Das sei zu teuer, sagen viele Konzerne, denn mit neuen Antibiotika kann auch nicht viel Geld verdient werden, da die Medikamente im Idealfall möglichst wenig eingesetzt werden sollten, um zu verhindern, dass die Bakterien auch gegen sie schnell Abwehrmechanismen entwickeln.

Er sei sehr dankbar dafür, dass GARDP die abschließende Studie ermöglicht habe, sagt Greg Basarab. Er hatte ursprünglich das Forschungsprojekt für das Antibiotikum bei AstraZeneca geleitet, 2015 aber den Konzern verlassen und arbeitet jetzt an der Universität in Kapstadt. Gerade in Ländern mit niedrigem Einkommen würden besonders viele Resistenzen auftreten, sagt Basarab.

Experten begrüßen die Entwicklung des Medikaments

GARDP will das neue Mittel jetzt bald auf den Markt bringen - gemeinsam mit Innoviva, dem US-Unternehmen, das das Antibiotika-Programm von AstraZeneca übernommen hat. Die Firma soll die Vermarktungsrechte für die USA und Europa erhalten, GARDP will in ärmeren Ländern das Antibiotikum möglichst günstig anbieten.

Unabhängige Experten begrüßen die Entwicklung des Medikaments. "Ganz hervorragend" sei dies, sagt Clara Lehmann, Mitglied im Beirat der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie. Denn wegen der zunehmenden Resistenzen sei dieses Mittel dringend notwendig. Auch Tim Eckmanns vom Robert Koch-Institut beurteilt es positiv, wenn neue Mittel wie Zoliflodacin Menschen in vielen Ländern zugutekommen. Er weist jedoch darauf hin, dass mit einem neuen Antibiotikum die Gefahr der Ausbreitung von resistenten Keimen nicht gebannt sei. Denn Zoliflodacin kann nur gegen Gonorrhoe-Erreger eingesetzt werden, nicht gegen andere Bakterien. Und es gebe viele Erreger mit vielen verschiedenen Resistenzen, sagt Eckmanns.

Verhindern, dass sich neue Resistenzen bilden

Außerdem sei die größte Herausforderung, das neue Antibiotikum möglichst zielgerichtet einzusetzen - also nur dann, wenn ältere Mittel nicht anschlagen. Denn nur so könne verhindert werden, dass sich schnell neue Resistenzen bilden. Nötig sei dafür jedoch eine viel bessere Diagnostik in vielen ärmeren Ländern und die dafür nötige Infrastruktur. "Dafür brauchen wir viel Geld", so Eckmanns. "Und solange wir das nicht gelöst haben, bringen uns auch neue Medikamente nicht so viel."