Business Jet des "VW Air Service" am Frankfurter Flughafen Fraport.
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Volkswagen Privatjet fliegen und Steuern sparen

Stand: 27.06.2023 18:00 Uhr

VW beteuert, seine CO2-Emissionen reduzieren zu wollen. Tatsächlich sind die Privatjet-Flüge des Konzerns im vergangenen Jahr deutlich gestiegen. Zudem profitiert VW von Ausnahmenregeln bei Energiesteuer und Emissionshandel.

Es war wohl ein dummer Zufall. Ausgerechnet an jenem Tag im vergangenen Sommer, als Finanzminister Christian Lindner (FDP) seine Hochzeit auf Sylt feierte, landete dort der damalige VW-Chef Herbert Diess mit einem Privatjet. Weshalb Diess auf Sylt war, ist unklar. Bei Lindners Hochzeit war er jedenfalls nicht, wie VW später mitteilte. Und es hätte wohl niemand etwas von Diess' Flug mitbekommen, wenn nicht so viele Journalisten und Schaulustige wegen der Hochzeit am Sylter Flughafen gewesen wären.

Es war einer von mehr als 2800 Privatjet-Flügen, die der VW-Konzern mit seiner Firmenflotte im vergangenen Jahr durchgeführt hat - also fast acht pro Tag und damit deutlich mehr als in den Jahren zuvor. Das zeigen Recherchen von NDR und "Süddeutscher Zeitung". Der Kerosinverbrauch aller VW-Jets zusammen ist von 2021 auf 2022 um etwa eine Million Liter gestiegen, auf mehr als acht Millionen. Der Großteil der Flüge sind Geschäftsflüge von VW-Mitarbeitenden. Aber der Konzern bietet seine Jets auch als Charter an - 2000 bis 15.000 Euro pro Flugstunde kostet das laut VW in der Regel.

VW muss keine Energiesteuer zahlen

Volkswagen ist also nicht nur ein Autokonzern, sondern auch ein Luftfahrtunternehmen mit acht topmodernen Jets, die Hälfte davon Langstreckenflugzeuge. Sechs der Maschinen sind seit 2017 in Braunschweig registriert, beim Volkswagen AirService, zwei in Salzburg beim Porsche Air Service. Zuvor hatte der Konzern seine Firmenflotte lange Zeit über eine Tochterfirma auf den Cayman Islands betrieben.

Volkswagen begründet das Charter-Angebot damit, dass die Flugzeuge besser ausgelastet und Leerflüge vermieden werden könnten. Doch es hat noch einen Vorteil: VW muss im Gegensatz zu anderen Firmen, die ihre Flugzeuge nur selbst nutzen, keine Energiesteuer zahlen. Denn gewerbliche Anbieter von Passagierflügen sind im Unterschied zu privaten Betreibern davon befreit.

Julia Jirmann vom Netzwerk Steuergerechtigkeit kritisiert diese Konstruktion. VW vermiete über die Tochterunternehmen seine Flugzeuge zum Großteil an sich selbst und spare so Steuern - und das bei einem Unternehmen, beim dem das Land Niedersachsen einer der größten Anteilseigner ist. Das sei "hochproblematisch", sagt Jirmann gegenüber dem NDR-Politikmagazin Panorama 3.

Dem Staat entgehen Millionen an Steuern

Dem Staat entgeht nach Recherchen von NDR und Süddeutscher Zeitung dadurch jedes Jahr wohl ein Betrag in Millionenhöhe. Hinzu kommt, dass VW für seine Jets auch keine Verschmutzungsrechte im Rahmen des europäischen Emissionshandels kaufen muss. VW spart so weitere Hunderttausende Euro im Jahr. Denn erst ab 10.000 Tonnen CO2 pro Jahr müssen gewerbliche Luftfahrtunternehmen für ihre Emissionen, die sie innerhalb Europas verursachen, zahlen. Bei Firmen, die ihre Jets komplett selbst nutzen, liegt der Wert dagegen bei 1000 Tonnen. Volkswagen AirService hat für 2022 etwas mehr als 8000 Tonnen gemeldet - fast 2000 Tonnen mehr als 2019, dem Jahr vor der Pandemie. Porsche Air Service hat keine Angaben veröffentlicht, auch nicht auf Nachfrage.

Das Land Niedersachen beantwortet Fragen zu den Steuereinsparungen nicht, es dürfe sich wegen des Aktienrechts zu den Geschäften nicht äußern. Nur so viel: Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sei in seiner Funktion als Aufsichtsrat selbst seit 2014 insgesamt sechsmal in einem VW-Jet mitgeflogen, fünfmal nach Salzburg, "zum Zweck des Austauschs mit Vertreterinnen und Vertretern der (Mit-) Eigentümerfamilien", die dort leben. Einmal ging es nach Polen zu einer Werkseröffnung. Gezahlt habe jeweils VW.

VW sieht keine Probleme

Der Konzern selbst sieht in der Firmenkonstruktion kein Problem und weist auf "zahlreiche" andere Großunternehmen hin, die auch ihren Flugdienst ausgegliedert hätten oder Charterfirmen nutzen würden.

Tatsächlich hat etwa DaimlerChrysler 2007 seine Flotte mit damals fünf Jets an einen Investor verkauft, der nun ein deutlich größeres Charterunternehmen betreibt. Die Zahl ähnlicher Anbieter hat in den vergangenen Jahren zugenommen.

Julia Jirmann fordert grundsätzlich, die steuerlichen Begünstigungen für den Flugverkehr abzuschaffen. Aber VW sieht sie besonders kritisch. Denn als Unternehmen mit staatlicher Beteiligung habe es eine Vorbildfunktion.

Sieben Millionen Liter Kerosinverbrauch

Da passen die Privatflüge nicht so recht ins Bild. Denn der Klimaschaden ist groß. Etwa sieben Millionen Liter Kerosin hat der Volkswagen AirService nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr insgesamt verbraucht. Porsche Air Service kam auf 1,1 Millionen Liter, teilte ein Sprecher auf Anfrage mit.

Rechnerisch liegen damit die Gesamt-Emissionen beider Firmen zusammen bei mehr als 20.000 Tonnen CO2. Ein Teil davon falle durch Flüge außerhalb Europas an, sodass sie nicht im Rahmen des EU-Emissionshandels gemeldet würden, erklärte der VW-Sprecher. Zudem tragen beim Luftverkehr zusätzlich zum CO2 auch weitere Effekte zur Erderhitzung bei. Geschätzt verursachten die VW-Jets 2022 umgerechnet wohl so viele Treibhausgase wie im Schnitt fast 6000 Menschen in Deutschland im selben Jahr.

Aus Sicht von VW ist die Flotte aber nötig. Denn nicht alle seiner weltweit 118 Standorte seien in der Nähe eines großen internationalen Flughafens, auch die Zentrale in Wolfsburg nicht, teilte ein Konzernsprecher auf Anfrage von NDR und SZ mit. Etwa drei Viertel der insgesamt etwa 2800 Flüge im vergangenen Jahr hatten laut VW einen geschäftlichen Zweck.

Flüge aus Katar werfen Fragen auf

Doch einige der Flugbewegungen werfen Fragen auf, etwa warum am 28. November 2022, am Tag nach dem WM-Spiel Spanien-Deutschland in Katar, gleich zwei VW-Langstrecken-Jets vom dortigen Flughafen abhoben, einer Richtung Stuttgart, der andere nach Salzburg. Beide waren erst kurz zuvor aus Deutschland beziehungsweise Österreich dorthin geflogen. VW teilte mit, diese Flüge hätten "dienstliche Zwecke" gehabt.

Für andere Reisen trifft das offensichtlich nicht zu. Immer wieder landen VW- oder Porsche-Jets auf Mallorca oder in Nizza – vereinzelt sogar auf den Bahamas oder den Malediven. Solche Flüge zu offensichtlich touristischen Orten seien in der Regel keine Geschäftsflüge des Konzerns, teilte VW auf Anfrage mit. Es handelt sich demnach um Reisen, die entweder von anderen Firmen oder von Privatpersonen gebucht wurden. Beim Volkswagen AirService würden sie etwa 25 Prozent ausmachen. Wie viele davon wiederum von eigenen Mitarbeitern zu privaten Zwecken gebucht worden seien, wisse VW nicht, sagte ein Konzernsprecher. Eine solche Aufschlüsselung gebe es nicht.

Flüge nach Mallorca und Sylt

Besonders auffällig erscheint allerdings der Flugverkehr der beiden Maschinen vom Porsche Air Service. Sie sind - anders als die Jets vom Volkswagen AirService - bei den großen Flug-Tracking-Diensten gesperrt. Doch einige Portale sammeln Flugdaten privat betriebener Empfängerstationen. Diese Daten zeigen, dass einer der beiden Porsche-Jets im Mai dieses Jahres offenbar mindestens sechsmal nach Mallorca geflogen ist, meist von Salzburg aus, wo Mitglieder der Eigner-Familie Piëch und Porsche leben. Häufig starten die Jets laut den Daten von dort aus auch nach Sylt - im Schnitt mehr als einmal pro Monat - allein zweimal zwischen Weihnachten und Silvester.

Der zuständige Sprecher von Porsche in Österreich teilte auf Anfrage von NDR und SZ mit, die Flugzeuge könnten sowohl von Unternehmen als auch von Privatpersonen gechartert werden. "Zu den Personen, die den Porsche Air Service gebucht haben, sowie zu den angeflogenen Destinationen" könne man jedoch "keine weiteren Auskünfte geben".

Insgesamt so die Aussage des Konzerns bemühe man sich aber darum, die Emissionen zu senken. VW habe zuletzt den Bestand um zwei Flugzeuge reduziert. Und die Nutzer der Jets würden sich "selbstverständlich" über "alternative und CO2-optimale" Reisemöglichkeiten informieren. Zudem kompensiere das Unternehmen über einen Zertifikatehandel seine Emissionen.

Allerdings wird diese Form des Ausgleichs immer wieder von Wissenschaftlern und Umweltschützern kritisiert. Greenpeace etwa bezeichnete die Kompensationen von VW bereits 2020 als "großen Bluff". VW hatte den Vorwurf damals zurückgewiesen.

VW weist Jet-Emissionen nicht gesondert aus

Hinzu kommt, dass VW im Gegensatz zu manch anderem Unternehmen weiterhin in seinen Nachhaltigkeitsberichten die Emissionen seiner Privatjets nicht gesondert ausweist. Und für 2023 rechnet VW nach eigenen Angaben, dass die Zahl der Flüge "voraussichtlich auf einem ähnlichen Niveau" wie im Vorjahr liegen würden.

Benedikt Strunz, NDR, tagesschau, 28.06.2023 06:28 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Panorama 3 am 27. Juni 2023 um 21:15 Uhr.