Blick auf das moderne Palasthotel in Ost-Berlin (DDR).

Geschäfte im Osten Wie VW-Technik die DDR-Autoindustrie retten sollte

Stand: 30.01.2024 15:49 Uhr

1984 berieten Vorstände von VW mit Vertretern der DDR-Wirtschaft über eine Zusammenarbeit. Doch das Projekt geriet zum Investitionsloch. Als im Osten der erste Motor produziert wurde, war die DDR schon fast Geschichte.

Dass westliche Limousinen vorm Palasthotel in Ost-Berlin vorfuhren, war nichts Außergewöhnliches. Das Luxushotel war als Kontaktort zwischen Ost und West ausgelegt. Die DDR-Staatssicherheit überwachte und hörte ab.

Und so kamen dort am Abend des 30. Januar 1984 neun Männer zusammen, darunter zwei Vorstandsmitglieder der Volkswagen AG und drei Generaldirektoren von DDR-Großunternehmen. Die Verhandlungen begannen um 22 Uhr und endeten um halb zwei Uhr nachts des nächsten Tages. Es ging um nichts Geringeres als die Sanierung der DDR-Autoindustrie.

DDR-Autoproduktion kam nie hinterher

Denn der DDR gelang es nicht annähernd, genügend Autos für den eigenen Markt herzustellen. Der Wirtschaftshistoriker Reinhold Bauer gibt die Bestellzeiten mit "14 Jahren und mehr" an. Dabei waren die DDR-Automarken Trabant und Wartburg in Technik, Komfort und Design völlig veraltet. Angesichts knapper Ölimporte aus der Sowjetunion wurde der hohe Spritverbrauch der Zweitakter zu einem drängenden Problem.

Schon im Juni 1982 hatte VW-Chef Carl Hahn dem DDR-Außenhandelsminister Gerhard Beil eine gebrauchte VW-Motorenfabrik angeboten. Die DDR wäre damit in der Lage gewesen, moderne Motoren herzustellen, wie sie im westdeutschen Polo eingebaut wurden. Hahn sagte, die DDR könne durch Lieferung von Motoren an Volkswagen erhebliche D-Mark-Umsätze erzielen.

Devisen ausgeben oder selbst entwickeln?

Die streng vertraulichen Gespräche zogen sich hin. Einerseits war für die devisenschwache DDR ein Kauf über mehrere Hundert Millionen D-Mark abschreckend. Andererseits gab es in der DDR noch die Hoffnung, selbst einen modernen Motor entwickeln zu können. Doch nach vielen Beratungen und Versuchen erkannten die Gremien der DDR- Planwirtschaft, dass auch das teuer und risikoreich wäre.

In der Nachtsitzung vom 30. auf den 31. Januar 1984 wurden sich VW und die DDR im Grundsatz einig: Fabrik gegen Motorenlieferung. Für die zwischenzeitliche Finanzierung hatte VW-Finanzvorstand Rolf Selowsky ein Angebot der Deutschen Bank mitgebracht. Nach weiteren harten Verhandlungen um Details wurden am 12. November 1984 die Verträge in Ost-Berlin unterzeichnet. Die Bewirtungskosten trug VW: 9.958,75 D-Mark, "die in bar überbracht werden sollen", wie es in einem internen VW-Vermerk heißt.

Überforderte Planwirtschaft

Der Aufbau der Fabrikation in der DDR war hürdenreich. Gegen den Rat von VW wurde die generalüberholte Altfabrik geteilt: Die Zylinderkopf-Fertigung kam ins IFA-Autowerk Eisenach, der Rest zu "Barkas" in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz). Die DDR hatte in den Verhandlungen aus Devisenmangel den Geschäftsumfang immer weiter verringert. Nötig waren zahlreiche Zulieferteile aus DDR- Betrieben. Dort fehlte es an geeigneten Maschinen, Kenntnissen und Erfahrungen. Zum Teil wurden 90 Prozent Ausschuss produziert.

Die zentrale planwirtschaftliche Leitung der DDR-Wirtschaft, die sich auf die Staatspartei SED, Kommissionen und zahlreiche Ministerien verteilte, erwies sich als überfordert. Auch die Zersplitterung der DDR-Industrie blockierte Lösungen. "Insgesamt sind 142 Investitionsvorhaben in den Betrieben und Kombinaten der zehn beteiligten Ministerien durchzuführen", berichtete die Staatssicherheit 1986. Im Sommer 1988 stellte die volkswirtschaftliche Abteilung des Geheimdienstes fest: "Allein der Zylinderkopf besteht aus 67 Einzelteilen, die in 60 Betrieben gefertigt werden".

Fass ohne Boden für die DDR

Das Projekt geriet zum Investitionsloch. In einer undatierten "Information" der Staatssicherheit heißt es Ende 1986, statt sechs Milliarden DDR-Mark werde nun mit zehn Milliarden Investitionen gerechnet. Der Bedarf an D-Mark für die Motorenfabrik, weitere Maschinen und westliche Zulieferer stieg von 835 Millionen auf 2,1 Milliarden.

Ende 1988 kam der Wartburg mit neuem Motor auf den DDR-Markt. Ein Jahr später wurde der erste DDR-Motor an Volkswagen geliefert. Das SED-Zentralorgan "Neues Deutschland" berichtete auf Seite eins. Da war die Grenze der DDR zum Westen seit vier Wochen offen, die Tage der DDR gezählt.

Lohnendes Geschäft für VW

Für Volkswagen war es ein hervorragendes Geschäft. Bei eigenen Kosten von 280 Millionen D-Mark waren der DDR 364 Millionen berechnet worden. Selbst mit einer Rückstellung von zehn Millionen für noch kommende Risiken kam VW auf eine Gewinnmarge von mehr als 20 Prozent, heißt es in einem Vermerk für VW-Vorstand Horst Münzner vom September 1988. Vier Jahre später übernahm Volkswagen das Motorenwerk Chemnitz vom DDR-Abwicklungs-Unternehmen "Treuhand" für sein neues Werk in Sachsen.