
Beschluss zur Geschlechtsangabe Männlich, weiblich, inter/divers
Stand: 08.11.2017 11:30 Uhr
Das Bundesverfassungsgericht hat die geltende Regelung zur Geschlechtsfestlegung durch die Standesämter gekippt. Die Richter stärkten damit die Rechte intersexueller Menschen. Bis Ende 2018 soll ein drittes Geschlecht eingeführt werden - oder die Angabe ganz wegfallen.
Von Klaus Hempel, ARD-Rechtsredaktion
Geklagt hatte Vanja, 27 Jahre alt. Die, die Vanja begegnet sind, beschreiben Vanja so: eine schmale Person, mit schwarzem Bart eines Mannes und schlanker Stirn einer jungen Frau. Als Vanja zur Welt kam, stellte das Standesamt fest: ein Mädchen.
Doch dann gab es Zweifel. Irgendwann stellte eine Ärztin nach einem Gentest fest, das Geschlecht lasse sich nicht eindeutig als männlich oder weiblich festlegen. Damit war klar, dass Vanja intersexuell ist. Ein intersexueller Mensch wird mit den Merkmalen sowohl des Mannes als auch der Frau geboren.
Vanja klagte sich durch alle Instanzen, um durchzusetzen, dass die Standesämter neben männlich und weiblich auch ein drittes Geschlecht ins Personenstandsregister eintragen müssen - für alle, die sich weder als männlich noch weiblich empfinden, sondern als intersexuell wahrnehmen.
BverfG fordert drittes Geschlecht im Geburtenregister
tagesschau 17:00 Uhr, 08.11.2017, Kerstin Anabah, SWR
Neuregelung bis 31.12.2018
Seit 2013 können die Standesämter neben männlich oder weiblich auch gar kein Geschlecht eintragen. Mehr nicht. Dies wird sich mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts künftig ändern. Bis spätestens Ende 2018 muss der Gesetzgeber dafür sorgen, dass für intersexuelle Menschen eine dritte Möglichkeit geschaffen wird, das Geschlecht eintragen zu lassen. Das könnte dann "inter/divers" oder "divers" lauten, so wie es Vanja gerne hätte.
Der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts stellte in seinem Beschluss fest, dass Vanja diskriminiert wird und die aktuelle Gesetzeslage das Persönlichkeitsrecht von intersexuellen Menschen verletzt.
Das Persönlichkeitsrecht, so die Richter, schütze auch die geschlechtliche Identität. Das Geschlecht sei für die eigene Identität von herausragender Bedeutung und nehme eine Schlüsselposition im Selbstverständnis jedes Menschen ein. Geschützt werden müsse auch die Identität derjenigen, die sich weder dem männlichen noch weiblichen Geschlecht zuordnen lassen.
Intersexuelle Lynn D. im Gespräch
tagesschau24 17:00 Uhr, 08.11.2017
"Fehlende Angabe" unzureichend
Wenn im Personenstandsregister beim Geschlecht "fehlende Angabe" eingetragen wird, ist das nach Ansicht der Richter völlig unzureichend. Denn intersexuelle Menschen würden sich eben nicht als geschlechtlos begreifen. Vielmehr haben sie nach ihrem Empfinden nach ein drittes Geschlecht, das neben dem männlichen und weiblichen besteht. Deshalb müsse es für intersexuelle Menschen auch die Möglichkeit geben, dass für sie ein drittes Geschlecht im Register eingetragen wird.
Der Gesetzgeber habe allerdings auch die Möglichkeit, auf geschlechtsbezogene Einträge in den Registern vollständig zu verzichten. Bis zu einer Neuregelung dürfen die aktuellen Vorschriften für intersexuelle Menschen jedenfalls nicht mehr angewendet werden.
(Az. 1 BvR 2019/16)
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