Bundeskanzler Scholz auf der Konferenz "Ostdeutschland 2030" in Leipzig
reportage

Konferenz "Ostdeutschland 2030" "Die, die noch da sind, sollen bleiben"

Stand: 17.11.2023 21:04 Uhr

Boom-Region, aber hohe Zustimmungswerte für die AfD: Ostdeutschlands Zukunft gilt manchen als ungewiss. Der Bund versucht, vor den Wahlen 2024 dagegenzuhalten - und stärkt vor allem Etablierte.

Die Szenarien könnten kaum unterschiedlicher sein: 2030 könnte in Ostdeutschland mit Mikrochips aus Magdeburg und Dresden der Wohlstand Deutschlands und Europas gesichert werden. Oder aber die AfD könnte in mehreren Bundesländern mitregieren. Oder vielleicht doch beides? So lässt sich das Spannungsfeld einer Konferenz namens "Ostdeutschland 2030" beschreiben, die die Bundesregierung am Freitag in Leipzig veranstaltete.

Treffen von Elite und Spitzenpolitikern

Eingeladen hat der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider. Der SPD-Politiker aus Erfurt ist seit zwei Jahren im Amt und will vor allem eins: "einen neuen Blick auf Ostdeutschland". Der Osten soll raus den Negativschlagzeilen von angeblichen und tatsächlichen Wende-Verlierern, AfD-Erfolgen und Abwanderung.

Konferenz in Leipzig zur Weiterentwicklung von Ostdeutschland bis 2030

Manuel Mehlhorn/Marie Landes, MDR, tagesschau, 17.11.2023 20:00 Uhr

Dafür dient auch die Veranstaltung in einem ehemaligen Kohlekraftwerk im Leipziger Westen. Eine Zukunftsvision, eine "Agenda 2030 Ost" präsentiert Schneider den über 300 handverlesenen Gästen zwar nicht. Aber neben Uni-Rektorinnen, kommunalen Spitzenvertreter, IHK-Vorständen und Künstlern sind auch vier von sechs Ost-Regierungschefs gekommen - und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

Scholz gibt Versprechen für Intel-Förderung

Die Veranstaltung steht unter dem Eindruck des Mittwochs. Da hatte das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass 60 Milliarden Euro zu Unrecht in den Klima- und Transformationsfonds des Bundes gesteckt wurden. Das Problem: Aus dem Topf soll auch ein Teil der insgesamt 15 Milliarden Euro kommen, die der Bund den Chip-Riesen Intel und TSMC für ihre neuen Fabriken in Magdeburg und Dresden zur Verfügung stellen will.

Die beiden Ansiedlungen sollen - gemeinsam mit der bereits bestehenden Tesla-Fabrik im brandenburgischen Grünheide - Ostdeutschland an die Spitze der wirtschaftlichen Entwicklung schieben. Dieses Versprechen scheint nun zu wackeln.

Die Ministerpräsidenten von Sachsen und Sachsen-Anhalt, Michael Kretschmer und Reiner Haseloff (beide CDU), wurden auf einer Reise in Brüssel vom Urteilsspruch überrascht. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) soll allerdings noch bevor er mit Kanzler und Finanzminister vor die Presse trat, eine Garantie für die Förderung gegeben haben. So wird es erzählt. Öffentlich sagte Habeck dann: "Alle gemachten Zusagen werden eingehalten."

In Leipzig bekennt sich nun auch der Kanzler zu der Förderung. "Ich will unbedingt, dass diese Investitionen im Osten Deutschlands stattfinden. In Magdeburg, in Dresden", sagt Scholz. Offen bleibt weiterhin, woher das Geld dafür kommt.

Den Wirtschaftsvertretern im Raum verspricht Scholz an diesem Tag mehr Bürokratieabbau, eine schnellere Energiewende und "alles zu tun", um Arbeitsplätze zu sichern. Nachfragen gibt es keine.

Ostbeauftragter Schneider: Wahlen werden entscheidend

Formate wie diese Konferenz sind nicht unumstritten. Nicht öffentlich zugänglich, ohne Breitenwirkung, lautet eine Kritik. Menschen ohne Amt und Funktion blieben außen vor. Doch Diskussionsrunden mit Bürgern führen sowohl der Kanzler und der Ostbeauftragte als auch manche Ministerpräsidenten regelmäßig.

Und Veranstaltungen wie in Leipzig haben eine andere Funktion. Ehrenamtler, Wirtschaftsvertreter, Kommunalpolitikerinnen - sie alle sollen bei der Stange gehalten werden - oder in den Worten des Görlitzer Romanautors Lukas Rietzschel: "Die, die noch da sind, sollen bleiben."

"Netzwerken", nennt eine Teilnehmerin also den heutigen Anlass - "sich auch mal unter die Armee greifen", ein anderer. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff nennt sie in seiner Rede "Multiplikatoren" für die Demokratie.

Mehrfach heißt es, Menschen sollten sich für die Wahlen 2024 aufstellen lassen. Der Ostbeauftragte selbst sagt über die anstehenden Kommunal-, Europa- und drei Landtagswahlen: "Es geht im nächsten Jahr um nicht weniger als die Zukunft Ostdeutschlands, Deutschlands und Europas."

AfD ist Thema - aber bleibt außen vor

Gemeint ist damit: Die in Teilen rechtsextreme AfD soll in Brandenburg, Sachsen und Thüringen von der Macht ferngehalten werden. Sie soll nicht stärkste Kraft werden - da wo sie in Umfragen im Osten anders als im Westen Deutschlands, wo sie auch stark ist, gerade steht.

Der Name der Partei fällt kaum, stattdessen ist oft von "den Rechtsextremen" die Rede. Kanzler Scholz sagt, man müsse die drängenden politischen Fragen lösen. Gleichzeitig könne es aber "niemanden geben, der sagen kann: Mir geht es schlecht, deshalb bin ich rechtsextrem". Vertreter der AfD selbst sind in Leipzig nicht vor Ort.

Braucht es eine Residenzpflicht für Behördenmitarbeiter?

Kontrovers wird es nur selten. Raunen im Saal, als die Journalistin Sabine Rennefanz vorschlägt, Menschen, die in Bundeseinrichtungen in Städten wie Cottbus oder Rostock arbeiten, dazu verpflichten, auch dort zu wohnen - statt aus Berlin, Leipzig oder Westdeutschland einzupendeln, wie es viele noch tun.

Auch an der Frage nach einer "Ostquote" scheiden sich die Geister. Rennefanz und andere sind dafür. Ein in Ostdeutschland geborener Unternehmer spricht sich am Saalmikro dagegen aus. Kanzler Scholz will die Anzahl von Ostdeutschen in Führungspositionen aber weiter ohne Quoten erhöhen. 

Der Vorschlag des Görlitzer Romanautoren Rietzschel, Kommunalparlamente künftig auszulosen, um die Repräsentation zu verbessern, löst hingegen nur verhaltenes Klatschen aus.

Kanzler Scholz (l.) mit dem Ostbeauftragten Schneider und Ministerpräsidenten Schwesig und Haseloff (r.)

Auf der Kanzler verewigt sich auf der Wand mit der Frage, was Demokratie ist.

Scholz über Demokratie

In der Vorhalle hat der Verein "Haus der Weimarer Republik" eine weiße Tafel aufgebaut. "Demokratie ist …" steht darauf. Darunter hat jemand mit einem Marker geschrieben: "… wenn Du sagen darfst, dass Du nichts mehr sagen darfst." Schon wieder eine Anspielung auf die AfD.

Auch die Spitzenpolitiker verewigen sich auf die Wand. Für Bundeskanzler Scholz ist Demokratie, "… wenn alle Bürgerinnen und Bürger die Demokratie als ihre Sache begreifen." Schon vorher hat er klargemacht, dass die oft beschworene Zivilgesellschaft "wir alle sind". Ob es diese Botschaft auch aus den alten Kraftwerkshallen hinaus schafft, wird sich im Herbst 2024 zeigen.