Das Logo der Video-App TikTok auf  einem Smartphone vor Bildschirmen.

Demokratie in sozialen Medien Die TikTok-Taktik

Stand: 06.04.2024 13:12 Uhr

Auf TikTok erreicht die AfD deutlich mehr junge Menschen als alle anderen Parteien. Die hätten das Netzwerk zu lange abgelehnt, kritisieren Wissenschaftler. Jetzt gehe es darum, mit klugen Konzepten gegenzuhalten.

"Ich habe eine Stimme zum Singen und für die Wahlkabine", sagt ein älterer Mann mit einem verschmitztem Lächeln in die Handykamera. In einem anderen TikTok-Video singt ein Mann mit seiner Gitarre: "Deutschland, pass auf deine Nazis auf!" Eine junge Frau mit Kappe spricht aus ihrem Zimmer: "Wir dürfen den Rechten diese Plattform nicht überlassen."

Die Klickzahlen dieser TikTok-Videos sind nicht hoch. Aber sie sind Beispiele für die Kampagne #ReclaimTikTok, die den demokratischen Diskurs zurück auf die Plattform bringen will.

Das werde ein harter Job werden, sagt Politikberater Martin Fuchs. AfD-Politiker seien seit Jahren auf der Plattform aktiv mit vielen Accounts: Ihre viralen Videos seien oft populistisch, verkürzend oder zugespitzt. Martin Fuchs appelliert dabei an die politische Mitte, die Plattform klug zu nutzen und mit Plan zu arbeiten. "Wenn nur wenige Demokratinnen und Demokraten auf der Plattform sind, spielt der Algorithmus auch reichweitenstarke Desinformation und Populismus aus", sagt Martin Fuchs. "Das könnte zu Vertrauensverlust in demokratische Institutionen führen."

Luisa Neubauer, das deutsche Gesicht der Fridays-For-Future-Bewegung, versucht den Einfluss der AfD auf junge Menschen zu bremsen. Gemeinsam mit anderen politischen Aktivisten und Organisationen nutzt sie deshalb den Hashtag #ReclaimTikTok.

AfD deutlich effektiver und erfolgreicher

Politikwissenschaftler Julian Hohner hat zu Radikalisierung im Internet promoviert. "Neueste Studien zeigen, dass die AfD oder rechte Parteien aus Europa die Plattform deutlich effektiver und erfolgreicher nutzen als Politikerinnen und Politiker der Mitte", sagt er.

Parteien der politischen Mitte hätten sich lange Zeit auf die Nutzung bewährter digitaler Kanäle verlassen, weil dort die Reichweite stimmte. "Der Erfolg der AfD auf der Plattform lässt die Politik aber aufwachen."

Die AfD habe einen klaren Vorsprung bei Tiktok, sagt auch Marcus Bösch. Der Politikwissenschaftler forscht zu Desinformationskampagnen und TikTok an der HAW Hamburg. Das Netzwerk aus Fan- und Verstärkeraccounts sei sehr groß und sehr erfolgreich.

"Hier werden Inhalte von beispielsweise Maximilian Krah gepostet, neu zusammengeschnitten und mit Musik angereichert", sagt Bösch. "So gelingt es der AfD auch, das Beschränken oder Löschen von Accounts durch die Plattform zu einem gewissen Grad auszuhebeln."

Die Plattform hatte die Reichweite des Politikers für 90 Tage eingeschränkt. Parteien an den politischen Rändern gelten seit jeher als "Early Adopters", als frühe Nutzer neuer Technologien, sagt Julian Hohner. Das war in der Vergangenheit auch bei YouTube und Telegram schon der Fall.

Ein digitaler Ort wurde ignoriert

Mehr als 411.000 Follower hat die AfD-Bundestagsfraktion bei TikTok, mehr als sieben Millionen Likes. Die SPD hat knapp 128.000 Follower und 2,4 Millionen Likes. Die CDU/CSU-Fraktion hat mehr als 20.000 Follower und knapp 250.000 Likes.

Lange wurde TikTok von bekannten Politikerinnen und Politikern als unwichtig behandelt. "Hier wurde vier Jahre lang ein relevanter digitaler Ort bewusst links liegen gelassen", kritisiert Politikberater Martin Fuchs. "Diese strategische Fehlentscheidung rächt sich gerade massiv. Das erzeugt viel Aktionismus ohne Strategie und Konzept."

Erfolgloser als die AfD

TikTok werde von über 22 Millionen Deutschen genutzt, so Fuchs. "Die Plattform schafft sehr einfach und effizient niedrigschwelligen Zugang zu Politik."

Markus Söder, Karl Lauterbach oder Katharina Schulze sind mit offiziellen Accounts dabei und posten mittlerweile regelmäßig Videos - weitaus erfolgloser als die AfD. "TikToks Algorithmus favorisiert kontroversen Content und emotional geladene Inhalte", sagt Julian Hohner. "Nutzerinnen und Nutzer schauen die Inhalte unbeabsichtigt für eine längere Zeit an, bevor sie weiterscrollen."

Virale Videos ohne Follower möglich

Das registriert der Algorithmus und zeigt ähnlichen Content schnell in künftigen Videos. Trotzdem sei es auch eine Möglichkeit, die Reichweite für demokratiefördernde Zwecke generieren kann. Anders als bei vorangegangenen Netzwerken müssen Inhaltsanbieter nicht erst einen so genannten "Social Circle" aus Followern aufbauen, sagt Marcus Bösch.

"Dank der algorithmischen Kuratierung können - rein technisch - bereits die ersten Videos eines neuen Accounts viral gehen." Diese sollten kurz, prägnant, authentisch und interessant sein, sagt der Politologe. Eine Chance für Parteien aus der Mitte?

Mehr als die Hälfte der Deutschen zwischen 14- und 19-Jährigen nutzen Tiktok. Die Plattform ist damit für viele junge Menschen die Hauptinformationsquelle.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 06. Februar 2024 um 15:42 Uhr.