Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak Amnesty wirft der Türkei Abschiebung vor

Stand: 16.12.2015 15:34 Uhr

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat in einem neuen Bericht der Türkei vorgeworfen, Flüchtlinge in das Bürgerkriegsland Syrien und in den Irak abzuschieben. Außerdem betreibe das Land für die Flüchtlinge Haftzentren, die von der EU finanziert würden.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wirft der Türkei vor, Flüchtlinge nach Syrien und in den Irak zurückzuschicken. Seit September seien Hunderte Flüchtlinge an der Westgrenze des Landes festgenommen und in mehr als 1000 Kilometer entfernte Haftzentren im Süden und Osten des Landes gebracht worden. Das geht aus dem Bericht der Organisation unter dem Titel "Europe's Gatekeeper" hervor, der heute veröffentlicht wurde.

"Verstoß gegen internationales Recht"

Die Türkei stelle die Flüchtlinge vor die Wahl: "Entweder sie bleiben auf unbestimmte Zeit in Haft, oder sie kehren in ihre Heimatländer Syrien und Irak zurück, wo ihnen Verfolgung, Folter und Tod drohen", sagte Wiebke Judith, Asyl-Expertin bei Amnesty International in Deutschland. Damit verstoße die Türkei "eindeutig gegen internationales Recht" und handele "im starken Kontrast zu ihrer bisherigen sehr humanitären Haltung", erklärte Judith weiter.

Es handelt sich "in Wahrheit um Haftzentren"

Amnesty sei im Oktober, November und Dezember mit einigen Mitarbeitern selbst vor Ort gewesen und habe auch mit Flüchtlingen, die inhaftiert gewesen seien, gesprochen und habe ein Haftzentrum besucht, sagte die Asyl-Expertin Judith im Interview mit tagesschau24. Die Flüchtlinge hätten Amnesty berichtet, "dass ihnen in der Haft jeder Kontakt zur Außenwelt verboten wurde. Deswegen rechnen wir auch mit einer hohen Dunkelziffer an ähnlichen Fällen", sagte Judith.

Auch Hinweisschilder von Betten und Regalen aus einem Haftzentrum seien Amnesty zugespielt worden. Diese belegten, dass die Einrichtung mit EU-Geldern betrieben werde. "Es ist schockierend, dass die Europäische Union Haftzentren für Flüchtlinge in der Türkei finanziert", betonte Judith. EU-Vertreter in Ankara hätten zudem bestätigt, dass es sich bei sechs geplanten Aufnahmezentren für Flüchtlinge, die die Türkei mit EU-Mitteln einrichtet, "in Wahrheit um Haftzentren handelt". "Die EU muss also davon wissen", so Judith bei tagesschau24.

Beobachtungen an der Ägäis-Küste

ARD-Korrespondent Michael Schramm hat sich an der türkischen Ägäis-Küste ein Bild von der Lage der Flüchtlinge gemacht: Seiner Beobachtung zufolge werden Flüchtlinge, die von Sicherheitskräften aufgegriffen werden, tatsächlich in Auffanglager gebracht. Drehen durfte Schramm allerdings dort nicht. Er spricht aber davon, dass sie dort zumindest zeitweilig zu Gefangenen werden.

Türkei erhält drei Milliarden Euro von der EU

Die EU hatte Ende November mit der Türkei einen Aktionsplan in der Flüchtlingskrise vereinbart: Er verlangt von Ankara eine bessere Grenzsicherung, um die ungesteuerte Einwanderung nach Europa zu beenden. Im Gegenzug bekommt die Türkei unter anderem drei Milliarden Euro, um die mehr als zwei Millionen Flüchtlinge im eigenen Land besser zu versorgen.

Amnesty fordert die EU-Staaten nun auf, eine unabhängige Überwachung des Aktionsplans einzurichten. Die Türkei müsse aufhören, "Flüchtende unrechtmäßig festzuhalten und sie zu zwingen, dorthin zurückzukehren, wo ihr Leben in Gefahr ist, erklärte Judith. Solange dies nicht der Fall sei, müsse die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und der Türkei in der Flüchtlingsfrage auf Eis gelegt werden.

Nur ein Bruchteil der Migranten werde festgehalten

Die türkischen Behörden bestreiten die Abschiebung von Flüchtlingen, ihnen werde außerdem der Wohnort nicht vorgeschrieben. Nur ein Bruchteil der Migranten werde aufgrund von kriminellen Machenschaften festgehalten.

Die Türkei spielt in der Flüchtlingskrise eine zentrale Rolle, da sie zwischen dem Bürgerkriegsland Syrien und dem EU-Mitglied Griechenland liegt. Das Land hat nach eigenen Angaben mehr als zwei Millionen Flüchtlinge aufgenommen.

Thomas Bormann, T. Bormann, ARD Istanbul, 16.12.2015 14:22 Uhr