Eine Frau betet bei der Vorstellung der Koalition "Evangelicals for Trump" in Miami im The King Jesus International Ministry in Miami. (Archivfoto: 3. Januar 2020)
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Evangelikale in den USA Desinformation im Auftrag des Herren

Stand: 08.06.2023 06:19 Uhr

Sie sind gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche, machen Stimmung gegen queere Menschen und geben sich als Kämpfer gegen den Sozialismus: die weißen Evangelikalen in den USA. Ihr politischer Einfluss ist groß.

Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

Wenn im kommenden Jahr der Präsident der Vereinigten Staaten gewählt wird, könnten sie erneut eine wichtige Rolle dabei spielen: die weißen Evangelikalen. Zusammen mit rechten Katholiken, Protestanten, Mormonen und denominationslosen Christen bilden sie die sogenannte Religiöse Rechte, sagt Journalistin und Autorin Annika Brockschmidt. "Der gemeinsame Nenner ist weißer, christlicher Nationalismus - die Vorstellung, dass die USA von und für weiße, konservative Christen gegründet sei."

Die weißen Evangelikalen machen nach Angaben des Public Religion Research Institute (PRRI) etwa 14 Prozent der US-Bevölkerung aus. Vor allem der frühere Präsident Donald Trump, der seine erneute Kandidatur bereits angekündigt hat, konnte auf ihre Unterstützung zählen: 2016 wählten ihn rund 77 Prozent der weißen Evangelikalen, 2020 waren es sogar etwa 84 Prozent.

Unter nicht-weißen Evangelikalen, beispielsweise Afroamerikanern, waren Trumps Zustimmungswerte deutlich geringer. So wählten schwarze Evangelikale mehrheitlich für US-Präsident Joe Biden. Nicht-weiße Evangelikale sind jedoch deutlich in der Minderheit in den USA: Sie machen nur 24 Prozent aller Evangelikalen aus.

Trump wiederum lieferte in seiner Amtszeit das, was die weißen Evangelikalen von ihm erwartet hatten, sagt Jiore Craig, Resident Senior Fellow beim Institute for Strategic Dialogue (ISD). Denn Trump habe drei streng konservative Richter für den Supreme Court nominiert und dort somit eine Mehrheit der Konservativen über Jahre gesichert. Das führte in den vergangenen Monaten bereits zu wegweisenden Entscheidungen - denn der Supreme Court ist das höchste rechtsprechende Staatsorgan der USA.

Queere Menschen im Fokus

Der prominenteste Fall ist die Aufhebung der Grundsatzentscheidung zum Abtreibungsrecht "Roe v Wade" im vergangenen Sommer. Dadurch ist es den Bundesstaaten möglich, Schwangerschaftsabbrüche stark einzuschränken oder gar ganz zu verbieten. Trump löste damit sein Wahlversprechen gegenüber den weißen Evangelikalen ein.

Der Supreme Court fällte noch weitere Entscheidungen, die ganz im Sinne der weißen Evangelikalen sein dürften. So darf das Lehrpersonal an öffentlichen Schulen wieder laut vor den Schülern beten. Der Umweltbehörde EPA wurde wiederum untersagt, den CO2-Ausstoß von Kohlekraftwerken festzulegen. "Die weißen Evangelikalen wollen, dass die USA ihrer Interpretation eines biblisch-christlichen Staates so nahe wie möglich kommen", sagt Craig. "Und dagegen richtet sich ein Großteil der progressiven Politik."

So wird auch der menschengemachte Klimawandel von weißen Evangelikalen immer wieder infrage gestellt. Es gibt beispielsweise die Cornwall Alliance, die von Evangelikalen gegründet wurde und gegen Umwelt- und Klimaschutz lobbyiert. Nur etwa ein Drittel aller evangelikalen Christen in den USA hält den Klimawandel für menschengemacht.

Auch gegen die Rechte von queeren Menschen agieren die weißen Evangelikalen. Gender und das bei der Geburt zugeordnete Geschlecht sei für sie ein- und dasselbe, sagt Brockschmidt. "Sie sehen die Welt auf der Basis einer strikten Binarität der Geschlechter." Ihr biologistisches Weltbild würden die weißen Evangelikalen und die Religiöse Rechte insgesamt unter anderem mit Rechtsextremen teilen.

Wie sehr die queere Community in den USA bereits in den Fokus der Politik geraten ist, zeigt eine Untersuchung der US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation American Civil Liberties Union. Demnach sind im laufenden Jahr bereits mehr als 491 anti-LGBTIQ-Gesetze in den einzelnen Staaten eingebracht worden. Für internationales Aufsehen sorgte auch das als "Don't say gay bill" bekannte Gesetz, das im vergangenen Jahr in Florida erlassen wurde. Dort dürfen Lehrer an Grundschulen nicht mehr über sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität sprechen.

"Weiße Evangelikale sind politisch bedeutsam"

Nach Ansicht von Craig ist ein Erfolg der Religiösen Rechten, dass sie die Partei der Republikaner gewissermaßen als Geisel halten würden. Den weißen Evangelikalen sei es gelungen, sich als Machtbasis zu etablieren, da sie für viele republikanische Politiker eine wichtige Wählergruppe seien. "Die weißen Evangelikalen haben ihre Hochburgen in bestimmten Bundesstaaten, die eine hohe Anzahl an Wahlmännern haben. Sie sind also politisch bedeutsam."

So würden sie es schaffen, dass politische Entscheidungen getroffen werden, die eigentlich keine Mehrheit in der Bevölkerung besäßen. Umfragen zufolge sind 60 Prozent der US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner dafür, dass Schwangerschaftsabbrüche in allen oder den meisten Fällen legal sein sollten. 80 Prozent unterstützen Gesetze zum Schutz der LGBTIQ-Gemeinschaft - selbst in den Bundesstaaten mit den niedrigsten Zustimmungsraten sind etwa zwei Drittel dafür.

Doch einer Analyse der Nachrichtenwebsite Axios zufolge sind die Mitglieder des Kongresses deutlich religiöser als die US-amerikanische Bevölkerung. Der Geschäftsführer des PRRI, Robert P. Jones, spricht von einer landesweiten Diskrepanz zwischen den gewählten Vertretern und der Öffentlichkeit in Bezug auf einige kontroverse Themen.

Das gelte auch für den US-Bundesstaat Texas, wo weiße Evangelikale nach Angaben von Jones die Legislative dominieren und zum Beispiel Abtreibungen ganz verboten sind. Dort bezeichnen sich demnach lediglich 15 Prozent der Einwohner als weiße Evangelikale.

Weiße Evangelikale sind gut vernetzt

Den Einfluss der weißen Evangelikalen erklärt sich Craig auch mit deren großen Netzwerk. So gibt es unter anderem die Salem Media Group, ein Medienunternehmen, das mehr als 100 Radiosender besitzt sowie zahlreiche Websiten betreibt. Eigenen Angaben zufolge erreicht die Mediengruppe elf Millionen Radiohörer und hat mehr als 150 Millionen monatliche Web- und App-Aufrufe. Mitbegründer der Salem Media Group ist Stuart Epperson, der bereits 2005 vom "Time Magazine" als einer der 25 einflussreichsten Evangelikalen in den USA bezeichnet wurde.

Zudem sind die weißen Evangelikalen auch mit anderen Bewegungen vernetzt, die rechtspopulistische oder verschwörungsideologische Inhalte verbreiten. Die rechtspopulistische Nichtregierungsorganisation Turning Point USA unterstützt beispielsweise die Religiöse Rechte finanziell, um die "biblischen Werte wiederherzustellen". Die großen Konferenzen von Turning Point USA, die sich ursprünglich dem Kampf gegen den Sozialismus verschrieben hat, hätten wiederum eine Menge biblischer Bezüge, sagt Craig.

Auch auf der "ReAwaken America Tour" treten Religiöse Rechte neben Trump-Anhängern und Corona-Leugnern auf. Solche Überschneidungen seien nicht ungewöhnlich, sagt Craig: "Es gibt viele Menschen, die gleich mehreren dieser Bewegungen anhängen. Sie unterstützen zum Beispiel Trump, glauben an die gestohlenen Wahlen und sind überzeugte weiße Evangelikale." Daher sei es leicht, diese verschiedenen Strömungen zu vereinen und gemeinsam zu rekrutieren. Auch zu rassistischen, rechtsextremen Gruppierungen hätten die weißen Evangelikalen enge Verbindungen, so Craig.

"Kämpfer gegen den Sozialismus"

Bei dem Versuch, neue Anhänger zu gewinnen, gehen die weißen Evangelikalen allerdings nicht mit ihren extremen Positionen hausieren, sagt Craig. Denn sie wüssten, dass sie damit nicht viele Menschen mitreißen könnten. "Die weißen Evangelikalen geben sich zum Beispiel als Kämpfer gegen den Sozialismus. Sie verbreiten die Idee, dass Sozialismus im Grunde genommen bedeutet, die Menschen faul sein zu lassen und ihnen Almosen zu geben, und dass Kapitalismus für hart arbeitende Menschen ist."

Die weißen Evangelikalen sprächen sich daher für Steuererleichterungen aus, sagt Craig. "Ich würde sagen, dass die meisten Wähler rational sind", sagt Craig. "Und daher ist für viele Wähler entscheidend, was sich wie auf ihren Haushalt auswirkt." Anders als in Europa wird in den USA der Begriff Sozialismus in konservativen Kreisen bereits für sozialstaatliche Maßnahmen verwendet, die zum Beispiel höhere Sozialabgaben mit sich bringen.

Auch bei anderen politischen Debatten würden die weißen Evangelikalen versuchen, mit ihren Narrativen allgemeine Sorgen aufzugreifen. Dabei legten sie den Fokus zum Beispiel auf den Schutz der Kinder. "Beim Thema gleichgeschlechtlicher Ehe oder Sexualität verbreiten sie die Ansicht, dass das nicht zu früh in den Schulen eingebracht werden soll, anstatt zu sagen, dass sie generell dagegen sind", erklärt Craig.

Die weißen Evangelikalen versuchten zudem, auch die aktuellen Debatten um "Cancel Culture" und "Wokeism" für sich zu nutzen, so Craig. "Auch hier sehen sie Potential, Menschen für ihre Ansichten zu gewinnen."

Für die Präsidentenwahl 2024 hat sich neben Trump ein weiterer möglicher Kandidat für die weißen Evangelikalen in Stellung gebracht: Mike Pence, der selbst einer von ihnen ist. Unter Trump war er bereits Vizepräsident und galt unter Experten als einer der Gründe für dessen hohe Beliebtheitswerte innerhalb der Religiösen Rechten. Nun werden sie beide um deren Stimmen kämpfen müssen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 05. Juni 2023 um 19:00 Uhr.