Abtreibungsbefürworter vor dem Oklahoma Capitol.
FAQ

Abtreibungen in den USA Weitere Rechte auf der Kippe?

Stand: 26.06.2022 10:39 Uhr

Mit dem Urteil des Supreme Court gibt es kein grundsätzliches Recht mehr auf einen Schwangerschaftsabbruch in den USA. Wie kam es zu dem Urteil? Und stehen jetzt weitere Rechte infrage?

Was ist passiert?

Der Oberste Gerichtshof in Washington hat das 1973 durch ein Grundsatzurteil im Fall Roe versus Wade bundesweit eingeführte Recht auf Schwangerschaftsabbruch gekippt. Die gesetzliche Regelung von Abtreibungen ist seit dem 24. Juni 2022 Sache der Bundesstaaten. Rund 40 Millionen Frauen im gebärfähigen Alter leben in Bundesstaaten, in denen Abtreibungen bereits verboten oder nur in eng gefassten Ausnahmenfällen möglich sind/sein werden, oder wo sie in absehbarer Zeit verboten und/oder stark eingeschränkt werden. Die konservative Mehrheit des Gerichts befand mit sechs zu drei Stimmen, das Grundsatzurteil von 1973 sei "ungeheuer falsch" gewesen. Präsident Joe Biden sprach von einer "furchtbaren Entscheidung".

Welche Rechte könnten noch gekippt werden?

Richter Clarence Thomas, seit 1991 am Obersten Gerichtshof, argumentierte in einer am Freitag veröffentlichten Stellungnahme, dass der Oberste Gerichtshof frühere Urteile ebenfalls "überdenken" solle. Konkret verweist der dienstälteste Richter am Supreme Court auf die Fälle Griswold, Lawrence und Obergefell.

Bei diesen Präzedenzfällen ging es um das Recht auf Schwangerschaftsverhütung, gleichgeschlechtliche Beziehungen und gleichgeschlechtliche Ehen. Präsident Biden warnte nach der Urteilsverkündung, "wenn die Begründung der Entscheidung, wie sie veröffentlicht wurde, aufrechterhalten werden sollte, steht eine ganze Reihe von Rechten in Frage."

Wie gespalten ist der Supreme Court?

Sechs konservative Richter stehen drei liberalen Richtern gegenüber. US-Medien sprechen von einer supermajority der Konservativen. Die drei liberalen Richter reagierten auf das Urteil am Freitag sowie den Vorstoß von Richter Thomas mit einer deutlichen Warnung: "Niemand sollte darauf setzen, dass diese Mehrheit ihre Arbeit getan hat." Sie warnen vor einem scharfen Rechtsruck vor allem bei Themen, die persönliche Rechte und intime persönliche Entscheidungen betreffen.  

Der konservative Richter Samuel Alito versuchte mit dem Hinweis zu beschwichtigen, die Entscheidung zu Roe versus Wade betreffe einzig und allein das Recht auf Abtreibung. Die liberalen Richter unterstreichen, die von Richter Thomas angesprochenen Fälle seien alle Teil desselben Verfassungsgefüges "und schützen die autonome Entscheidungsfindung über die persönlichsten Lebensentscheidungen".

Präsident Biden spricht von einem "extremen und gefährlichen Weg, den das Gericht einschlägt." Plänen demokratischer Abgeordneter, die Zahl der Obersten Richter zu erhöhen und damit die Gewichtung im Supreme Court zu ändern, steht er bislang zurückhaltend gegenüber.

Wurde der Senat bei den Anhörungen belogen?

Alle nach 1973 angehenden Richterinnen und Richter werden bei ihren Senatsanhörungen mit der Frage konfrontiert, wie sie es mit dem Recht auf Abtreibungen halten - auch die vom vorigen Präsidenten Donald Trump nominierten konservativen Kandidaten.

Amy Conney Berrett hatte 2006 eine kirchliche Kampagne unterstützt, die das "barbarische Vermächtnis" von Roe versus Wade angriff. Während der Anhörung im Senat vermied sie klare Aussagen zu Abtreibungen. Sie beteuerte, sie verfolge in dieser Sache keine explizite Agenda und werde bei ihrer Urteilsfindung den Regeln des "stare decisis" folgen. "Stare decisis" bedeutet: Wenn ein Gericht über einen Fall bereits entschieden hat, dann sollte das neue Urteil im Einklang mit der ersten Entscheidung stehen.

Brett Kavanaugh bekundete bei seiner Anhörung seinen Respekt vor dem Obersten Gerichtshof und versicherte, er werde frühere Entscheidungen des Supreme Court respektieren, die Abtreibung für eine verfassungsmäßiges Recht halten. Die Frage, ob er glaube, die Entscheidung sei rechtmäßig und korrekt, ließ er unbeantwortet.

Was bedeutet das Urteil für die Halbzeitwahlen im November?

Mehr als 60 Prozent der US-Bürgerinnen und -Bürger sprechen sich laut Umfragen für das Recht auf Abtreibung aus. Präsident Biden und andere führende Demokraten haben gleich nach der Urteilsverkündung klargemacht, dass das Thema eine herausragende Rolle in ihrem Wahlkampf spielen wird. Sie hoffen, dass sie damit aus dem Umfragekeller klettern und mehr liberale und junge Wähler mobilisieren können.

Die Republikaner werden versuchen, der Regierung mit dem Verweis auf hohe Preise und sinkende Kaufkraft wirtschaftliches Versagen vorzuwerfen. Sie hoffen, dass das Thema bis zu den Wahlen aus Schlagzeilen und Köpfen verschwindet. Die Demokraten werden alles daran setzen, dass das nicht der Fall sein wird.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten Deutschlandfunk Kultur am 24. Juni 2022 um 17:37 Uhr und MDR aktuell am 26. Juni 2022 um 11:30 Uhr in den Nachrichten.