Simulation eines Offshore-Raketen-Startplatzes
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Geplanter Raketenstart Ein Weltraumbahnhof in der Nordsee

Stand: 18.10.2023 15:44 Uhr

Im April 2024 soll erstmals eine Rakete von einer mobilen Startplattform in der Nordee abheben. Das gab BDI-Präsident Russwurm auf dem Weltraumkongress des Verbandes bekannt.

Von Ute Spangenberger, SWR

Eine schwimmende Startplattform in der Nordsee, von der kleine Trägerraketen starten: Diese Idee soll nun Realität werden. Der Startpunkt liegt ungefähr 300 Kilometer von Bremerhaven aus entfernt, in der sogenannten Ausschließlichen Wirtschaftszone Deutschlands. Heute hat BDI-Präsident Siegfried Russwurm bekannt gegeben, dass der Start der Demo-Mission im April 2024 erfolgen soll.

Dann wird erstmals eine Rakete der niederländischen Firma T-Minus in der Nordsee abheben. Dieser Start wird suborbital sein. Das heißt, die Rakete wird den Weltraum nicht erreichen. Der Plan: Künftig sollen europäische Raketen in der Nordsee starten und Satelliten ins All bringen. Die erste sogenannte "Demo-Kampagne" soll etwa zwei Wochen laufen, konkretisiert das Betreiberkonsortium. Und weiter: "In dieser Zeit ist der Start von bis zu vier Raketen mit einer maximalen Länge von 7 Metern und einer Flughöhe von bis zu 50 km geplant. Die Raketen werden von unseren Partnern Copenhagen Suborbitals, T-Minus, Space Team Aachen und FAR gebaut."

Starts von kleinen Trägerraketen

Sabine von der Recke, Geschäftsführerin der German Offshore Spaceport Alliance (GOSA), einem Joint Venture von vier Unternehmen, die den Startplatz aufbauen und betreiben möchten, erklärt: "Der Startpunkt ist ein Glücksfall, weil er eine sogenannte Weißfläche im Raumordnungsplan der Ausschließlichen Wirtschaftszone ist, das heißt, dort ist auf absehbare Zeit nichts geplant, also etwa kein Offshore-Windpark."

In Zukunft sollen dort sogenannte Microlauncher, also kleine und leichte Trägerraketen in den Weltraum starten, die Satelliten ins All bringen. Von der Recke erklärt die Vorgehensweise: "Noch an Land, also in unserem Fall in Bremerhaven, wird in einer Raumfahrtintegrationshalle die Orbitalrakete mit ihrer Nutzlast, dem Satelliten, verheiratet. Die fertig integrierte Rakete kommt dann in eine sogenannte Launch Box. Die Box wird auf das Schiff gerollt, dann fährt das Schiff auf die Nordsee."

Dort werde die Box geöffnet, die Rakete aufgerichtet, betankt und vom Schiff aus gestartet. Starts vom Festland sind nicht möglich, da man aus Sicherheitsgründen direkt nach dem Start nicht über bewohntes Gebiet fliegt. Von der Recke weiter: "Darum liegen Spaceports auf der ganzen Welt bis auf wenige Ausnahmen nah an der Küste."

Initiative für deutschen Weltraumbahnhof

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hatte die Initiative für eine privatwirtschaftliche Startplattform in der Nordsee bei seinem ersten Weltraumkongress 2019 gestartet. Damals hatte der Plan für viel Aufregung gesorgt und war von einigen belächelt worden. Nachdem eine Machbarkeitsstudie zu einem positiven Ergebnis gekommen war, ist das Projekt nun entscheidend vorangekommen.

Matthias Wachter, der beim BDI für den Bereich Weltraum zuständig ist, erklärt: "Vor zwei Jahren haben vier europäische Raketenhersteller Absichtserklärungen im BDI unterzeichnet, um von dieser Plattform in der Nordsee zu starten. Es gibt kein europäisches Vorhaben für Startmöglichkeiten, das auf ein so großes Interesse stößt wie das in der Nordsee."

Unabhängiger Zugang ins All

Mit der Möglichkeit, Raketen von der Nordsee aus zu starten, würden sich Deutschland und Europa einen weiteren unabhängigen Zugang ins All sichern. Der Startplatz ergänze den ESA-Weltraumbahnhof Kourou in dem zu Frankreich gehörenden Französisch-Guayana. Der Bedarf der Industrie, Kleinsatelliten in den Weltraum zu bringen, werde weiter wachsen, heißt es vom BDI. Dafür sei die Nordsee ein idealer Startplatz.

"In der Vergangenheit waren Satelliten sehr groß. Wir reden über kleine Pkw, die primär in der Nähe des Äquators gestartet wurden, weil die Satelliten in geostationären Orbits fest positioniert wurden. Dafür war es vorteilhaft, in der Nähe des Äquators gen Osten zu starten, die Erdrotation mitzunehmen, dadurch spart man Treibstoff."

Heute sind Satelliten wesentlich kleiner. Viele haben nur noch die Größe eines Schuhkartons und fliegen in sogenannten Konstellationen. Wachter erklärt weiter: "Um globale Abdeckungen zu erreichen, positioniert man diese kleinen Satelliten, diese Konstellationen in polare sonnensynchrone Orbits, das heißt, vereinfacht gesagt, die Satelliten fliegen vom Nordpol zum Südpol und auf der anderen Seite wieder hoch. Die Erde rotiert drunter durch, und damit können Sie mit einer Kette an Satelliten an einem Tag eine globale Abdeckung erreichen."

Sicherung der eigenen Infrastruktur

Auch die Bundeswehr könnte Interesse an Raketenstarts aus der Nordsee haben. In diesem Zusammenhang fällt immer wieder Begriff "Responsive Space". Dazu erklärt ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums:

Im Bereich des Verteidigungsministeriums wird mit Responsive Space die Fähigkeit bezeichnet, nach einem kurzfristig entstandenen Bedarf, durch eine reaktionsschnelle Verbringung oder Rekonfiguration von bereits in Nutzung befindlichen Weltraumsystemen, ausgefallene Fähigkeiten zu ersetzen, bereits vorhandene Fähigkeiten zu erweitern beziehungsweise abzusichern oder neue Fähigkeiten zum Einsatz zu bringen.

Heißt: Es geht auch um die Frage, wie man Satelliten, die im All ausgefallen sind, schnellstmöglich ersetzen kann. Satellitengestützte Kommunikation und Aufklärung sind inzwischen derart wichtig, dass Satelliten im Kriegsfall zu Angriffszielen des Gegners werden können.

Zu Beginn des Ukraine-Kriegs hatte es einen Cyberangriff auf den Satelliten eines US-Unternehmens gegeben. Die EU hatte die "böswilligen Cyber-Aktivitäten der Russischen Föderation gegen die Ukraine" damals aufs Schärfste verurteilt. Der Cyberangriff hatte zu Ausfällen und Störungen der Kommunikation bei mehreren staatlichen Behörden, Unternehmen und Nutzern in der Ukraine und westlichen Ländern geführt.

Suche nach Startplätzen

Laut Verteidigungsministerium fördert man das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) bei der Untersuchung von Technologien mit militärischer Relevanz. Dazu gehöre unter anderem auch ein potentieller Raketenstartplatz. Ein Sprecher konkretisiert: "Das DLR untersucht daher unter anderem die militärische Relevanz unterschiedlicher Startplätze, Verbringungsarten, Trägersysteme und Startdienstleister für Satellitenstarts aus Deutschland und Europa."

Damit sei aber noch keine Präferenz für Startplätze von Raketensystemen verbunden, weder geografisch noch auf Unternehmen bezogen, heißt es aus Berlin. In der Vergangenheit waren deutsche Satelliten zur Radaraufklärung auch mit russischen Trägerraketen vom Weltraumbahnhof Plessezk südlich von Archangelsk in den Weltraum gebracht worden. Das wäre heute aus Sicherheitsgründen nicht mehr möglich. Ein Startplatz in der Nordsee habe viele Vorteile, erklärt Sabine von der Recke: "Man kann kurzfristig, schnell und mitunter auch mal nicht so prominent sichtbar, Nutzlasten nach oben schicken."

In Europa gibt es bereits mehrere Startplätze für Raketen, etwa in Schweden und Großbritannien. Bislang sind vom nichtrussischen Europa aber noch keine Orbitalraketen in die Erdumlaufbahn gestartet.

Von der Nordsee in den Weltraum

Noch ist unbekannt, wann von der Nordsee die ersten Raketen tatsächlich in den Weltraum starten werden, um dort Satelliten aussetzen. Während es bereits Suborbitalraten gebe, sei man den orbitalen Microlaunchern noch nicht so weit, erklärt von der Recke. Nach Verzögerungen haben aber mehrere deutsche Raketenhersteller für die nahe Zukunft Starts angekündigt.

Mit einem Liftoff im April 2024 möchte man nun zunächst den grundsätzlichen Ablauf von Raketenstarts von der Nordsee aus durchspielen. Wenn zu einem späteren Zeitpunkt dann wirklich Satelliten in die Erdumlaufbahn gebracht werden, gelten noch einmal höhere Sicherheitsstufen - etwa, weil nicht nur die Rakete, sondern auch der Satellit mit Treibstoff betankt werden muss. Ein ambitioniertes Vorhaben, mit dem Deutschland und Europa einen eigenen Zugang zum All verwirklichen wollen.

Christian Schwalb, RB, tagesschau, 18.10.2023 18:36 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR 1 Niedersachsen Aktuell am 18. Oktober 2023 um 14:00 Uhr.