Ein Mann steht nach einem Platzregen barfuß auf dem Fußgängerweg

Umfrage Landkreise erwarten mehr Extremwetter und Klimaschäden

Stand: 13.07.2023 11:20 Uhr

Fast alle deutschen Landkreise und kreisfreien Städte rechnen in den kommenden Jahren mit mehr extremen Wetterereignissen - und hohen Schäden. Das zeigt eine exklusive Umfrage von BR, NDR, WDR und CORRECTIV.

Von Constanze Bayer (BR), Anna Behrend (NDR), Lara Schwenner (WDR), Katarina Huth (Correctiv)

Hitze, Dürre, Wassermangel, Starkregen, Hochwasser - 96 Prozent der deutschen Landkreise und kreisfreien Städte rechnen bis 2050 mit mehr Extremwetterereignissen. Das geht aus einer Umfrage unter allen 400 Kreisen hervor, die Journalistinnen und Journalisten von WDR Quarks, NDR Data, BR Data und CORRECTIV durchgeführt haben. 82 Prozent aller Kreise haben sich an der detaillierten Befragung beteiligt.

Wassermangel in Kommunen

Jan Körner, NDR, tagesschau, 13.07.2023 12:00 Uhr

Mit zunehmenden finanziellen Belastungen, vor allem durch Starkregen und Hitzewellen, rechnen demnach 86 Prozent derer, die geantwortet haben. Klimafolgenanpassung wird neben dem Klimaschutz zunehmend wichtiger: Extremwetterereignisse wie Dürre, Hitze und Starkregen werden durch den Klimawandel häufiger und sorgen bereits heute für immense Schäden.

Regionale Unterschiede bei der Vorbereitung

Auf die klimatische Entwicklung bereiten sich die Kreise und Städte unterschiedlich vor, denn die Risiken hängen von den örtlichen Gegebenheiten ab: Dürre ist fast überall ein Thema, auf Wassermangel bereiten sich vermehrt Landkreise und Städte in Brandenburg und Sachsen vor. Verstärkter Hochwasserschutz wird vor allem in Sachsen, aber auch in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt genannt. Allerdings haben Kreise nicht immer den Überblick, was in ihren Gemeinden bereits an Maßnahmen existiert.

Finanzierung von Maßnahmen nicht gesichert

Finanziell sehen sich die Landkreise und Städte unterschiedlich gut aufgestellt: Rund die Hälfte gibt an, dass sie die erforderlichen Maßnahmen in den kommenden Jahren vermutlich nicht finanzieren kann. Ein weiteres Drittel geht davon aus, dass die Finanzierung nur für einen Teil der Maßnahmen reichen wird.

Die geplanten Maßnahmen auch wirklich umzusetzen, sei letztlich im Interesse aller, betont Christoph Schulte vom Umweltbundesamt. Er leitet die Abteilung Wasser und Boden und warnt davor, auf Maßnahmen zur Klimaanpassung aus Kostengründen zu verzichten, zum Beispiel gegen Trockenheit: "Viel wichtiger ist, was es uns kostet, wenn wir sie nicht umsetzen, wenn wir nicht agieren. Wir müssen sehen, dass die Kosten durch Trockenheit wie Ernteverluste immens sind."

Klimaanpassung geht alle an

In den meisten Landkreisen und Städten ist Klimaanpassung eine Querschnittsaufgabe: Drei Viertel der antwortenden Kreise haben keinen eigenen Etat dafür. Dann müssen Maßnahmen wie Begrünung oder Schwammstadt-Umbau im Rahmen der normalen Budgetverteilung bezahlt werden, wenn sie nicht aus Fördertöpfen bezahlt werden. Das sei aber möglich, meint Anja Bierwirth, die am Wuppertal-Institut zu Stadtwandel forscht: "Ich kann eine Straße aufreißen und eine Versorgungsleitung legen. Aber wenn ich sie zumache, dann kann ich die Oberfläche anders gestalten."

Nur wenige Kreise haben ein Anpassungskonzept

Ein explizites Anpassungskonzept für die Folgen des Klimawandels hat nur eine Minderheit der Landkreise und kreisfreien Städte. Nur etwa ein Viertel der Kreise gab an, ein solches Konzept zu besitzen - also ein zentrales Dokument, in dem Klimarisiken und Anpassungsstrategien festgehalten werden. Bei weiteren 22 Prozent ist ein Konzept in Arbeit.

"Mich erschreckt an dem Ergebnis, dass relativ viele Kreise und kreisfreie Städte kein Konzept haben", sagt Bierwirth. "Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel zu ergreifen, bedeutet auch einen langfristigen Umbau der Städte. Je früher ich damit anfange, umso mehr Chancen habe ich, meine Stadt in den nächsten zehn bis 15 Jahren deutlich resilienter zu machen, als sie jetzt ist", sagt sie.

Klimaanpassungsgesetz soll kommen

Das Bundeskabinett hat am Donnerstag einen Entwurf für ein Klimaanpassungsgesetz beschlossen. Nach der Sommerpause wird der Entwurf dann im Bundestag beraten. Ein Sprecher des Umweltministeriums teilte mit, man wolle mit dem Gesetz erreichen, dass für Deutschland flächendeckend Klimaanpassungskonzepte aufgestellt werden.

Gerd Landsberg, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds (DStGB) hält das Gesetz im "Prinzip für richtig". Es gebe schon Förderprogramme zur Anpassung an den Klimawandel. Allerdings: "Das alles ist natürlich bei weitem nicht ausreichend finanziert", so Landsberg. Er schlägt vor, das Grundgesetz zu ändern und Klimaanpassung als Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern aufzunehmen. Dann könne der Bund die Kommunen direkt unterstützen.

Die Umfrage von BR, NDR, WDR und CORRECTIV spiegelt für ihn "genau das wider, was die Städte, Gemeinden und Kreise vor Ort beschäftigt". Er verweist auf den Koalitionsvertrag: "Dort heißt es, wir streben eine Verankerung der gemeinsamen Finanzierung von Bund und Ländern zur Klimavorsorge und Klimaanpassung an und werden die nötigen finanziellen Mittel bereitstellen." Auf die Erfüllung dieses Auftrags warte man nun.

Zur Umfrage

Die Umfrage wurde von Journalistinnen und Journalisten von NDR Data, WDR Quarks, BR Data und CORRECTIV erstellt, unter fachlicher Beratung der TU Dortmund. Angefragt wurden im Zeitraum von April bis Mai 2023 alle 400 Landkreise, kreisfreien Städte und Regionalverbände. Durch die Recherche ist der bislang umfangreichste öffentlich verfügbare Datensatz zur Klimafolgenanpassung der Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland entstanden. Der vollständige Datensatz steht hier zum Download bereit.

Projektteam:

Jana Heck, Uli Hendrix, Nandor Hulverscheidt, Lara Schwenner (WDR Quarks/WDR Data), Julia Barthel, Anna Behrend, Michael Hörz, Isabel Lerch, Mitarbeit: Serafin Arhelger, Ciara Cesaro-Tadic (NDR Data), Constanze Bayer, Johanna Bernklau, Robert Schöffel (BR Data), Lilly Brosowsky, Max Donheiser, Katarina Huth, Annika Joeres, Paulina Thom (CORRECTIV)

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 13. Juli 2023 um 06:31 Uhr.