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Neues Testverfahren Wie Forscher nach Krebsmedikamenten für Kinder suchen

Stand: 31.10.2023 18:06 Uhr

Medikamente gegen Krebs gibt es auf dem Markt Hunderte, doch die meisten sind nur für Erwachsene zugelassen. In Heidelberg testen Forscher deshalb mit gezüchteten Mini-Tumoren, welche Präparate Kindern helfen könnten.

Von Leila Boucheligua, Ralf Kölbel, Frank Wittig und Lilly Zerbst, SWR

Jedes Jahr erkranken in Deutschland mehr als 2.000 Kinder an Krebs. Krebserkrankungen sind bei Kindern zwar relativ selten, allerdings die häufigste krankheitsbedingte Todesursache. Mit einem neuartigen Testverfahren für Krebsmedikamente könnten die Therapiemöglichkeiten für Kinder und Jugendliche möglicherweise entscheidend verbessert werden.

Kinder haben andere Tumore als Erwachsene. Forschung zu Krebsmedikamenten bei Kindern gibt es nur wenig, auch deshalb, weil es vergleichsweise wenige Patienten gibt. Nur etwa zehn Wirkstoffe sind speziell für Kinder zugelassen.

Funktionieren die nicht, müssen andere Therapeutika auf Verdacht verabreicht werden. Am Hopp-Kindertumorzentrum in Heidelberg leitet Krebsforscher Olaf Witt ein Projekt, das die prekäre Situation der kleinen Patienten verbessern soll. "Für 20 Prozent der Kinder haben wir aktuell keine wirksamen Therapien zur Verfügung. Zum Teil liegt es auch daran, dass die Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen sich deutlich von denen im Erwachsenenalter unterscheiden." So seien die Medikamente, die im Wesentlichen für Erwachsene entwickelt werden, nicht eins zu eins bei Kindern anwendbar, erklärt Witt im SWR-Interview.

Test an Mini-Tumoren im Brutkasten

Genau deshalb haben die Heidelberger Onkologen einen Medikamententest für die Kindertumore entwickelt. Eine einzigartige Einrichtung am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg könnte die Lage grundlegend verbessern: Das Heidelberger Kinderkrebs-Zentrum, in dem Tumorproben aus ganz Europa zusammenkommen. Hinter jeder Probe steckt ein krebskrankes Kind. Sie alle teilen ein Schicksal - und doch ist kein Krebs wie der andere.

Medikamente gegen Krebs gibt es auf dem Markt Hunderte, doch die meisten sind nur für Erwachsene zugelassen. Ob sie auch Kindern helfen können, wird mit Mini-Tumoren getestet, die aus den Gewebeproben der krebskranken Kinder gezüchtet werden. Pro Kind stehen etwa 1.000 Mini-Tumore im Brutkasten bereit - 1.000 "Versuchskaninchen", die stellvertretend für die kleinen Patienten je ein Krebsmedikament erhalten.

Ein Pippetierautomat - genannt Mosquito - spritzt achtzig verschiedene Wirkstoffe in fünf Konzentrationen auf die Mini-Tumoren. Nach drei Tagen zeigt sich die Wirkung. Ist ein Medikament passend, dann sind die Mini-Tumore abgestorben.

Fehlbehandlungen mit wirkungslosen Stoffen ausgeschlossen

Aus der Vielzahl von Medikamenten kristallisiert sich eine Auswahl heraus, die für die Behandlung infrage kommt. Fehlbehandlungen mit wirkungslosen Stoffen werden ausgeschlossen. Witt ordnet die bisherigen Ergebnisse vorsichtig ein: "Unser Medikamententestungsprogramm befindet sich in der späten experimentellen Phase. Wir haben eine dreijährige Pilotphase erfolgreich abgeschlossen und sehen, dass Patienten davon profitieren können. Bisher haben wir das Verfahren aber noch nicht an einer größeren Zahl von Patienten systematisch ausgewertet."

Dass das Verfahren funktionieren kann, zeigt die Geschichte des kleinen Aykut. Der eineinhalbjährige Junge leidet unter einer seltenen Form von Krebs, die meist Kinder trifft. Da sich sein Tumor nicht operieren lässt, beginnen die Ärzte sofort mit der ersten Chemotherapie. Doch die Therapie versagt bei Aykut und sein Zustand wird immer schlechter. Die MRT-Aufnahmen zeigen: Der Tumor ist schon raumgreifend in die Lunge vorgedrungen. "Auf dem Bild war auf jeden Fall alles zu. Es war wie ein Strick um den Hals herum. Er hatte nur noch so ein kleines Luftloch von zwei, drei Millimetern."

Aykut braucht dringend ein Medikament, das den Tumor stoppt. Doch bisher gibt es für seinen Krebs keine Behandlung mit gesichertem Erfolg. Aber Aykuts Familie denkt nicht ans Aufgeben und erhält Unterstützung von einer engagierten Ärztin aus Mainz, die Gewebeproben des Jungen nach Heidelberg schickt.

Aykuts Tumor schrumpft

Aykuts Onkologin Dr. Russo setzt auf ein Medikament, mit dem sonst schwarzer Hautkrebs behandelt wird. Mit Erfolg. Es zeigt schon am ersten Tag Wirkung. Endlich kann Aykut wieder unbeschwert atmen. Aykuts Tumor schrumpft infolge der Behandlung drastisch Auch beim Test in Heidelberg hat dieser Wirkstoff an Mini-Tumoren aus Aykuts Krebsgewebe eine sehr gute Wirkung gezeigt. Der Test mit den Mini-Tumoren funktioniert. Aykuts Tumor, der anfangs die Größe einer Apfelsine hatte, ist nach drei Monaten auf die Größe einer Rosine geschrumpft.

Seine Eltern sind glücklich: "Ihm geht’s super, er spielt, er tobt, er macht. Er lebt einfach. Er hat keine Atemprobleme mehr und schläft erholsamer. Für uns ist das eine Chance auf ein Leben." Aykut ist das erste Kind in Deutschland, das diese Art von Krebs überlebt hat. Seine Geschichte macht Hoffnung für Kinder mit Krebs, die möglicherweise durch die Medikamententestung in Heidelberg gerettet werden können.

Lilly Zerbst, SWR, und, Frank Wittig, SWR, tagesschau, 31.10.2023 16:56 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 31. Oktober 2023 um 18:00 Uhr.