Wasser steht in Traktorspuren in einem Forst.

Suche nach neuen Antibiotika Der Wirkstoff aus dem Matsch

Stand: 01.08.2023 06:00 Uhr

Bakterien, die nicht auf Antibiotika reagieren, treten immer häufiger auf. Um neue Wirkstoffe zu finden, gehen Forscher im Saarland neue Wege. Das Besondere: Alle können mithelfen.

Von Anne Staut, SR

Anna-Lena Huber und ihr Kollege Daniel Krug vom Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) in Saarbrücken sind mit einer Gruppe Jung-Ranger in einem Naturschutzgebiet im Saarland unterwegs. Gemeinsam wollen sie Bodenproben nehmen, die für ihre Forschung im Projekt "Microbelix" wichtig sein könnten.

Huber öffnet eine kleine blaue Pappschachtel: "Hier hast du zwei Sammeltütchen, in die wir jetzt unsere Probe einfüllen können. Dafür müsstest du dir einmal einen Handschuh anziehen und füllst die Probe dann in das Tütchen", erklärt sie dem zehnjährigen Ben Lang. Eine kleine Menge reiche aus. "Da stecken unfassbar viele Bakterien drin."

Mit dabei ist auch der 15-jährige Levin Fried. Er freut sich, dass er Teil dieses besonderen Projekts sein darf. "Wenn ich was finde, könnte man Menschen damit helfen und auch neue Medikamente herstellen. Das wäre schon aufregend."

Vom Boden ins Labor

Wenn die Bodenproben entnommen sind, geht es ins Labor des HIPS. Dort beginnt dann die eigentliche Forschungsarbeit. Es vergehe keine Woche, ohne dass eine blaue Pappschachtel ankomme, erzählt Krug.

Huber öffnet eine dieser Schachteln und entnimmt einen Teil mit einem Spatel. Die Probe kommt dann auf eine sogenannte Agarplatte, das heißt eine Petrischale, die einen Nährboden enthält. Hinzu kommen dann noch ein Zellulosestück und teilweise auch lebende Beutebakterien. Das diene dazu, die Bakterien aus der Bodenprobe herauszulocken, erklärt Huber.

Dann heißt es erst mal warten. Bis zu zehn Tage kann es dauern, bis sich die Forscher das Ergebnis unter dem Mikroskop anschauen können. Die Hoffnung ist dabei immer: ein besonderes Bakterium zu finden, das chemische Wirkstoffe enthält, die in der Zukunft vielleicht als Grundlage für ein neues Antibiotikum dienen können.

Resistente Bakterien werden immer mehr zum Problem

Doch warum ist es überhaupt so wichtig, dass neue Antibiotika-Wirkstoffe gefunden werden? Wer schwer erkrankt, etwa an einer Lungenentzündung, dem hilft oft nur noch ein Antibiotikum, um gesund zu werden.

Das Problem: Es gibt nur eine begrenzte Auswahl an Antibiotika, ganz aktuell sorgen zudem Lieferengpässe für eine weitere Verknappung. So registriert das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medikamente etwa seit Herbst 2022, dass viele Antibiotika einfach nicht verfügbar sind - vor allem für Kinder.

Hinzu kommt, dass immer mehr Antibiotika ihre Wirksamkeit verlieren. Grund dafür sind sogenannte Resistenzen. Das bedeutet, Bakterien lassen sich nicht mehr durch dieses Medikament bekämpfen, sie sind unempfindlich dagegen geworden.

Folgen können gravierend sein

Je öfter ein Antibiotikum eingesetzt wird, desto wahrscheinlicher ist es laut Robert Koch-Institut (RKI), dass Resistenzen entstehen. Denn die empfindlichen Bakterien würden durch das Medikament abgetötet, die resistenten jedoch überlebten und vermehrten sich, heißt es auf der Website des RKI. Resistente Krankheitserreger würden deshalb vor allem dort auftreten, wo viele Antibiotika eingesetzt werden, wie zum Beispiel in Kliniken oder in der Landwirtschaft.

Das Problem weitet sich aus. Das RKI sieht darin sogar eine "der größten Herausforderungen für die globale Gesundheit dieser Zeit". Antibiotika-Resistenzen würden weltweit zunehmen und dadurch mehr und mehr zur Herausforderung bei der Versorgung von Patientinnen und Patienten werden, heißt es auch in der aktuellen Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie (DART 2023), die die Bundesregierung im April 2023 veröffentlicht hat.

Die Folgen dieser Entwicklung können gravierend sein: Die Krankheit könne sich länger hinziehen oder schwerer verlaufen. Außerdem gebe es mehr Todesfälle. Nach einer aktuellen Studie aus dem Fachmagazin "The Lancet" starben im Jahr 2019 weltweit rund 1,27 Millionen Menschen durch eine Infektion, die unmittelbar durch einen resistenten Keim hervorgerufen wurde. Die saarländischen Forscher Krug und Huber sprechen in diesem Zusammenhang auch von einer "stillen Pandemie".

Unkonventionelle Wege für neue Wirkstoffe

Um die Situation zu verbessern, sind deshalb mehrere Faktoren entscheidend. Zum einen ein bewusster Umgang mit Antibiotika. Dabei können etwa auch Patienten selbst helfen, indem sie sich an die korrekte Einnahme des Medikaments halten. Zum anderen ist es wichtig, neue Wirkstoffe zu finden.

Doch die Forschung nach neuen Antibiotika ist für die Pharmaunternehmen kostspielig und nimmt viel Zeit in Anspruch. Gleichzeitig können die Unternehmen damit weniger Gewinn machen als beispielsweise mit Schmerzmedikamenten wie Aspirin, erklären Huber und Krug.

Mit ihrem Projekt "Microbelix" gehen sie deshalb ungewöhnliche Wege. "Wir haben uns überlegt, wie wir sicherstellen können, dass wir konstant Bodenproben bekommen, ohne dass wir selbst aus dem Labor rausgehen müssen und nur noch auf Exkursion sind." Deshalb setzen sie bei ihrer Arbeit auf die Mitwirkung der Bürger. Vom Kind bis zum Erwachsenen haben alle die Möglichkeit, in der Natur Bodenproben für das HIPS zu entnehmen. Mit jeder Bodenprobe wachse die Chance ein neues Bakterium und damit neue Wirkstoffe zu entdecken, so Krug.

Projekt soll weiter wachsen

Dass die Bodenproben von Laien entnommen werden, habe sich bewährt. Mit den Proben können die Forscher genauso gut arbeiten wie mit eigenen Bodenproben. Probleme mit Verunreinigungen gebe es so gut wie keine.

Die Forscher können auch bereits erste Erfolge verzeichnen. In einer Bodenprobe konnten in einem Myxobakterium sogenannte Thiamyxine gefunden werden. Das Molekül wirkt zwar nicht antibakteriell, aber antiviral und hat sich im Laborversuch wirksam gegen das Coronavirus SARS-Cov-2 gezeigt.

Derzeit beschränkt sich das Projekt noch auf Bodenproben aus dem Saarland. Das ist notwendig, um das Labor nicht zu überlasten. Doch "Microbelix" soll weiter wachsen. Dann sollen auch bundesweit Bürger jeden Alters mithelfen können, dass unsichtbare Wirkstoffe sichtbar gemacht und genutzt werden können.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der Saarländische Rundfunk in seiner Sendung "aktueller bericht" am 12.7.2023