geschmückte Einkaufspassage während es Sendai Tanabata-Festivals in der Stadt Sendai, Japan.
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Starkes Wachstum Wirtschaftswunderland Japan?

Stand: 15.08.2023 14:05 Uhr

Japan überrascht derzeit mit Wachstumsraten, von denen andere Volkswirtschaften wie Deutschland nur träumen können. Was läuft dort anders als in den restlichen Industriestaaten?

Von Thomas Spinnler, ARD-Finanzredaktion

Ökonomen staunen über das japanische Wirtschaftswachstum: Während Deutschland mitten in einer Rezession steckt, ist Japans Wirtschaft auf Wachstumskurs. Die Wirtschaft ist im zweiten Quartal deutlich gewachsen, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) kletterte zwischen April und Juni auf das Jahr hochgerechnet um 6,0 Prozent. Zum Vorquartal liegt das Plus bei 1,5 Prozent.

Außenhandel treibt das Wirtschaftswachstum

Was sind die Gründe für die außergewöhnliche Wachstumsrate? "Der BIP-Anstieg auf ein Rekordhoch wurde vom Außenhandel angeführt. Die Exporte stiegen deutlich, während die Importe sanken", kommentiert John Vail, Marktstratege beim asiatischen Vermögensverwalter Nikko AM.

Japan profitiere derzeit von der aufgeschobenen geldpolitischen Straffung der Bank of Japan, der Abwertung des Yen und einer späten Wiederöffnung der Wirtschaft nach der Pandemie. "Damit hat Japan gute Chancen, sich vom globalen Konjunkturzyklus abzukoppeln", so Johan Van Geeteruyen, Marktexperte beim Vermögensverwalter DPAM.

Anders als andere Industriestaaten hat die japanische Notenbank den Leitzins in den vergangenen Jahren konstant niedrig gehalten, um die Wirtschaft zu stützen. Das wiederum führt dazu, dass der Yen gegenüber anderen Währungen deutlich abgewertet hat. Deswegen sind japanische Exporte auf dem Weltmarkt gerade günstig.

Ein japanischer Sonderweg

So liegt der Leitzins in den USA derzeit bei 5,5 Prozent. Die Europäische Zentralbank hatte den Zinssatz jüngst auf 4,25 Prozent angehoben - so hoch war er zuletzt zu Beginn der Finanzkrise 2008. In Japan liegt der Leitzins dagegen seit 2016 bei minus 0,1 Prozent. Seit nunmehr über 20 Jahren bewegt er sich weitgehend entlang der Nulllinie. Anders als die Eurozone oder die USA haben Japans Währungshüter aber auch nicht in vergleichbarer Weise mit dem Phänomen steigender Verbraucherpreise zu kämpfen.

Während die Teuerung in Deutschland bis auf 8,8 Prozent gestiegen war, erreichte Japans Inflationsrate ihren Höchststand im Januar dieses Jahres bei 4,3 Prozent. Aktuell liegt die Rate bei vergleichsweise geringen 3,3 Prozent.    

Im Vergleich zu den restlichen Industrieländern sei die Inflation in Japan bislang kein großes Problem, meint Aisa Ogoshi, Portfolio-Managerin bei J.P. Morgan Asset Management. Es sei vielmehr positiv zu werten, dass sich in den vergangenen 18 Monaten nach einer langen Phase der Deflation wieder Inflation zeige.

Wandel in der Mentalität?

Denn Japan hatte jahrzehntelang mit einer Deflation zu kämpfen. Damit ist ein Rückgang des allgemeinen Preisniveaus gemeint, der zu einer Abwärtsspirale aus sinkenden Umsätzen, fallenden Löhnen, überzähligen Arbeitskräften und fehlenden Investitionen der Unternehmen führen kann.

Hat sich das Thema Deflation in Japan jetzt erledigt? In dem asiatischen Land bahne sich ein Wandel in der Mentalität an, urteilt Alex Lee, Portfolio Manager bei Columbia Threadneedle Investments. Bis vor kurzem seien in Japan Preiserhöhungen ausgeblieben, und auch die Löhne seien nicht gestiegen, so der Experte. "Japan ist gerade dabei, eine tief verwurzelte deflationäre Denkweise abzuschütteln", heißt es auch von den Fachleuten von Nikko AM.

Steigende Löhne und knappe Arbeitskräfte

In Sachen Löhne finde der Wandel in den Einstellungen der Unternehmensführungen statt: "Mehrere Unternehmen haben uns mitgeteilt, dass sie bei der Aufstellung längerfristiger Geschäftspläne nun davon ausgehen, dass die Löhne in Japan zum ersten Mal seit einer Generation steigen werden", unterstreicht Lee.

Ein Grund für steigende Löhne dürfte auch die Überalterung der japanischen Gesellschaft sein, die bei exportstarken florierenden Unternehmen zu einer Arbeitskräfteknappheit führen könnte. Mit steigenden Löhnen könnten die Firmen versuchen, im Kampf um die Arbeitskräfte einen Vorteil zu gewinnen. Das wiederum könnte die Inflation weiter antreiben. Aktuell geht die japanische Notenbank aber von einem Rückgang der Verbraucherpreise auf zwei Prozent im kommenden Jahr aus.   

Inflation als Belastungsfaktor

Aber es gibt auch skeptische Stimmen: Stefan Angrick, Ökonom bei Moody's Analytics, sagte der "Financial Times", dass es trotz der starken BIP-Zahlen verfrüht wäre zu sagen, dass die japanische Wirtschaft über den Berg sei. "Wenn man über das Gesamt-BIP hinaus blickt, gibt es nicht nur Sonnenschein", sagte er. Der Inlandsnachfrage fehle es an Schwung, so der Experte.

Tatsächlich ging der private Konsum, der rund 60 Prozent zu Japans Wirtschaftsleistung beiträgt, im Vergleich zum Vorquartal sogar um 0,5 Prozent zurück. Der schwache Yen macht zum einen importierte Güter und Waren besonders teuer.

Außerdem bewirkte die vergleichsweise hohe Teuerungsrate auch eine generelle Kaufzurückhaltung: "Die hohe Inflation hat Haushalte und Unternehmen daran gehindert, Geld auszugeben. Das wirft die Frage auf, ob Japans Erholung nach der Pandemie die Puste ausgegangen ist, bevor sie richtig in Gang gekommen ist", so Angrick.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 15. August 2023 um 17:05 Uhr.