Hochgeschwindigkeitszug China
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Überdimensionierte Infrastruktur Braucht China eine Schrumpfkur?

Stand: 01.10.2023 14:34 Uhr

Flughäfen, Bahnhöfe, Straßen, Brücken - jahrelang war in China alles auf Expansion ausgelegt. Jetzt ist die Infrastruktur oft nicht ausgelastet. Sind die Grenzen des Wachstums erreicht?

Wer mit dem chinesischen Hochgeschwindigkeitszug Fuxing von Shanghai nach Peking fährt, erlebt ein Tempo von bis zu 350 Kilometern pro Stunde. Die Fahrt ist praktisch ruckelfrei und fast immer pünktlich. Die Strecke zwischen den beiden Metropolen ist gut gebucht.

Doch die Fahrt vorbei an Feldern, Wiesen, und zahlreichen Städten zeigt auch fertige Neubaugebiete, die halb leer stehen, und Bahnhöfe mit Dutzenden Bahnsteigen, aber kaum Fahrgästen. All das ist in der Summe mehr als ein flüchtiger Eindruck. Der Wirtschaftsforscher Michael Pettis, Professor an der Peking-Universität, bestätigt die Beobachtungen. Er sieht seit Jahren: China stößt an Grenzen des Wachstums.

"Das Paradebeispiel für diese Entwicklung ist die relativ arme Region Guizhou in Süd-China. Die Menschen dort haben wenig Einkommen", so Pettis. "Trotzdem wurden sehr viele Brücken und Straßen in die bergige Landschaft gebaut." Das Problem wachsender Gesellschaften sei oft, dass sie zu schnell zu viel bauen. "Dann haben sie zwar eine fantastische Infrastruktur, können aber die Kosten nicht mehr erwirtschaften, um sie zu erhalten."

"Investitionen allein bringen keinen Wohlstand"

Pettis beobachtet ein Missverhältnis: In China fahren zwar 70 Prozent aller Hochgeschwindgkeitszüge der Welt. Aber nur 17 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung kommen von hier. Trotzdem, so der Experte, wolle China in den kommenden fünf Jahren so viele neue Hochgeschwindgkeitszüge bauen, wie Deutschland, Spanien, Frankreich und Japan zusammen im Betrieb haben.

Steuert die chinesische Führung also in eine falsche Richtung? Pettis findet, da fehle die Nachhaltigkeit. "In China liegt die Summe aller Investitionen bei 44 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das ist sehr viel." Normalerweise liege die Quote in Hochinvestitionsländern bei 33 Prozent, im weltweiten Durchschnitt betrage sie sogar nur 25 Prozent. "China muss also reduzieren. Investitionen allein bringen keinen Wohlstand."

Konsum soll angeschoben werden

Was heißt das für die Zukunft? Wird die chinesische Führung etliche ihrer Neubau-Pläne einstampfen? Vielleicht. Doch wie will sie dann gleichzeitig das Kunststück schaffen, die Wirtschaft mit einem kräftigen privaten Konsum auf Wachstumskurs zu halten? Die Löhne müssten steigen, aber nicht so stark, dass Jobs verlorengehen. "Denn wenn der Staat weniger baut, feuert er Bauarbeiter. Das könnte mehr Arbeitslose bedeuten, während aber die Leute gleichzeitig mehr Geld ausgeben sollen, um die Konjunktur anzukurbeln", erläutert Pettis.

Das wiederum erfordere staatliche Hilfen, die politisch extrem schwierig durchsetzbar seien, so der Ökonom. "Denn die Staatsausgaben sind jetzt schon zu hoch. Im Lauf dieses Jahres braut sich da ganz schön was zusammen." Seine Prognose: "Das Wirtschaftswachstum wird deutlich sinken, weil China nicht mehr im selben Maß investieren kann wie bisher."

Schwierige Steuerung der Wirtschaft

Die Lage ist also verzwickt: Für Chinas Staatsführung stellt es eine echte Herausforderung dar, die Wirtschaft weiterhin so zu steuern, wie sie es bislang wollte. Kaum einmal in der Geschichte gab es eine ganze Volkswirtschaft, die so schnell so stark wuchs und nun versucht, die Folgen im Griff zu behalten.

Gerade vor wenigen Tagen kamen aktuelle Daten von den Statistikämtern des Landes: Ein kräftiges Plus von etwa viereinhalb Prozent gab es danach im Vergleich zum Vorjahr für den August - jeweils bei Konsum und Industrieproduktion. Bislang waren die Behörden immer stolz auf steigendes Wachstum. Es ist fraglich, ob das so bleibt.

Alfred Schmit, ARD Shanghai, tagesschau, 27.09.2023 04:54 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 27. September 2023 um 13:36 Uhr.