Vorstoß der IG-Metall Was bringt die Viertagewoche?
Weniger Arbeit für den gleichen Lohn - das fordert die IG Metall. Die Debatte wird schon länger geführt. Doch kann die Viertagewoche auch halten, was sie verspricht? Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Modellen.
Von Antonia Mannweiler, tagesschau.de
Was wird gefordert?
In den Monaten von April bis Juni bekommen Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit den vielen Feiertagen und verkürzten Wochen zu spüren, was derzeit hitzig debattiert wird: gleicher Lohn bei verkürzter Arbeitszeit.
Die Diskussion um die Viertagewoche wird nicht erst seit kurzem geführt, neues Öl ins Feuer hat zuletzt aber ein Gewerkschaftsschwergewicht gegossen: Die IG-Metall hat in dieser Woche angekündigt, in der kommenden Tarifrunde für die Stahlbranche die Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich zu fordern. Die Forderung ziele erstmals auf einen kollektiven, tariflich abgesicherten Anspruch für Beschäftigte einer ganzen Branche, sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann. Die Arbeitszeit soll demnach von bisher 35 auf 32 Stunden fallen. Und Hoffmann bestärkte, dass die Forderung auch über die Stahlbranche hinaus Ausstrahlung habe.
Was bedeutet die Vier-Tage Woche?
Für die Viertagewoche gibt es vor allem zwei Modelle, die zur Debatte stehen. In dem ersten Modell wird die wöchentliche Arbeitszeit bei gleichem Lohn reduziert, von 40 auf 32 Stunden - oder wie es die IG-Metall für die Stahlbranche fordert - von 35 auf 32 Stunden in der Woche. Das Modell verfolgt in der Regel den sogenannten "100-80-100"-Ansatz. Für 80 Prozent Arbeit wird 100 Prozent des Gehalts gezahlt - bei hundertprozentiger Produktivität.
In einem zweiten Modell würden dagegen lediglich die Stunden von fünf Tagen auf vier Arbeitstage umverteilt. Wer also zuvor in einer 40-Stunden-Woche täglich acht Stunden arbeitete, müsste in einer Viertagewoche nun zehn Stunden arbeiten. Unter beiden Modellen soll - im Idealfall - aber die Gesamtproduktivität nicht leiden. Ziel ist also immer, in vier Tagen genauso viel zu schaffen wie in fünf.
Wie fallen die Reaktionen aus?
Auf den neuerlichen Vorstoß der IG-Metall gibt es ordnungsgemäß unterschiedliche Reaktionen. Die Linke etwa unterstützt die Pläne der Gewerkschaft. "Die Viertagewoche ist kein weltfremdes Hirngespinst, sondern in einigen Ländern längst Praxis", sagte etwa Ko-Parteichef Martin Schirdewan. Er fügte hinzu, dass die verkürzte Arbeitswoche auch gut für das Klima sei, indem Fahrten und Energiekosten verringert würden.
Der Arbeitgeberverband Stahl selbst zeigte sich von den Vorschlägen der IG-Metall unbeeindruckt. Seit Jahrzehnten gelte in der Metallindustrie die 35-Stunden-Woche. Diese weiter zu verkürzen, komme aus Arbeitgebersicht nicht in Frage. "Die Forderung kommt völlig zur Unzeit", sagte Gerhard Erdmann vom geschäftsführenden Vorstand des Arbeitgeberverbands Stahl. Die Arbeitgeber hätten bereits jetzt mit hohen Energiekostensteigerungen und den Kosten für die Transformation der Branche zu kämpfen.
Auf Arbeitgeberseite gibt es wenig Verständnis für eine verkürzte Arbeitszeit. Im Gegensatz zur Forderung, die Arbeitszeit zu reduzieren, plädierte Sigfried Russwurm, Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie, vergangenes Jahr sogar noch die Wochenarbeitszeit auf 42 Stunden zu erhöhen, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen.
Was sagen Ökonomen zur verkürzten Arbeitszeit?
Für die IG-Metall sei der Schritt von der 35-Stunden-Woche zu 32 Stunden nicht mehr so groß, sagt Arbeitsmarktforscher Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) auf Anfrage von tagesschau.de. Das starre Fünf-Tage-Modell durch ein starres Vier-Tage-Modell zu ersetzen, dafür sieht Weber aber keine Notwendigkeit. Er wäre "vorsichtig", allen ausnahmslos eine Viertagewoche zu verordnen. Wer bei zuvor 40 Stunden in der Woche weniger arbeite, aber das gleiche Gehalt erhalte, müsse jede Stunde 25 Prozent mehr leisten, um die Arbeitszeit auszugleichen. In den allermeisten Jobs sei dies aber undenkbar, so Weber. Man könne in vier Tagen ja nicht genauso viele Busse fahren oder Menschen pflegen wie an fünf Tagen. Der Experte plädiert stattdessen für selbstbestimmte Arbeitszeiten und mehr Flexibilität. Das Recht auf Teilzeit gebe es auch schon jetzt in Deutschland.
Auch Christoph Schröder vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) betont im Gespräch mit tagesschau.de, dass es schon jetzt bestimmte Regelungen gebe, weniger zu arbeiten - und dafür auf Lohn zu verzichten. In einzelnen Fällen könne eine Viertagewoche helfen, Fachkräfte zu gewinnen. Eine Einführung der Viertagewoche auf breiter Front würde seiner Meinung nach den Fachkräftemangel dagegen verstärken.
Aufgrund des enormen Mangels an Arbeitskräften in vielen Bereichen dürften Arbeitnehmer und Gewerkschaften aber künftig am längeren Hebel sitzen. "Deshalb werden wir im Zweifel kräftige Lohnzuwächse sehen", sagte dazu auch Stefan Kooths, Konjunkturchef am Kieler Institut für Weltwirtschaft. "Das ist jetzt den Unternehmen und Gewerkschaften überlassen, wie sie das dann aushandeln - ob daraus dann eine Viertagewoche wird, das wird sich zeigen."
Gibt es die Viertagewoche bereits?
Seit November 2022 gilt in Belgien der Rechtsanspruch auf eine Viertagewoche, jedoch nur für die erste Variante der verkürzten Arbeitswoche: Die 40 Stunden in der Woche müssten dann in vier Tagen geleistet werden. Wer als Arbeitnehmer die wöchentliche Stundenzahl reduzieren will, muss dagegen mit einem Gehaltsabschlag rechnen.
In Island durften 2500 Arbeitskräfte über vier Jahre hinweg die Viertagewoche austesten. Dabei wurde die 40-Stunden-Woche auf 36 oder 35 Stunden reduziert bei gleichem Lohn. Mit dem Ende des Versuchs erhielt ein Großteil der Arbeiter in Island das Recht auf kürzere Arbeitszeiten.
Und auch die Ergebnisse des bisher größten Versuchs einer Viertagewoche aus Großbritannien sorgten zuletzt für Aufsehen. Von 61 Unternehmen mit insgesamt rund 2900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hatten sich nach der Erfahrung 56 Firmen dazu entschieden, die Viertagewoche beizubehalten.
Mitte der 50er forderte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) die 40-Stunden-Woche und den freien Samstag. Wie wahrscheinlich ist die Viertagewoche?
Wo liegen die Vorteile der Viertagewoche?
Der Denkfabrik "Autonomy" zufolge, die die Studien in Island und Großbritannien begleitete, konnte die Produktivität in den Unternehmen gesteigert - oder zumindest gehalten werden. Zudem gingen die Krankentage in Großbritannien um rund zwei Drittel zurück und weniger Mitarbeiter verließen das Unternehmen in der Zeit. Die an dem Experiment teilnehmenden Arbeitnehmer gaben auch an, weniger gestresst zu sein. Die Versuchsreihe wurde damit als Erfolg gewertet.
Philipp Frey, Arbeitsforscher am Karlsruher Institut für Technologie, sagte dazu dem MDR kürzlich, dass die Unternehmen dabei gezwungen seien, sich Gedanken zur Umsetzung der Viertagewoche zu machen. So würden etwa Meetings drastisch reduziert oder in neue Technologien investiert, um die Produktivität zu steigern. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhalten im Gegenzug mehr Zeit für Erholung, Freizeitaktivitäten, Sport oder die Familie. Ein weiterer Punkt, den Befürworter der Viertagewoche vorlegen, ist der zunehmende Wettbewerb um Arbeitskräfte, bei dem Unternehmen mit einer verkürzten Arbeitswoche für Fachkräfte attraktiver werden.
Als weiterer Pluspunkt einer Viertagewoche wird auch der Umweltaspekt angeführt: Wer seltener zur Arbeit mit dem Auto oder Bus fährt, stößt auch weniger CO2 aus.
Welche Nachteile gibt es?
Nicht in jeder Berufsgruppe ist die Umsetzung einer Viertagewoche bei gleichem Gehalt praktisch möglich - wenn die Produktivität nicht darunter leiden soll. Dazu zählen etwa Berufe in der Pflege oder im Erziehungswesen. Dort werden auch schon jetzt Kapazitätsgrenzen erreicht.
Auch die Umsetzbarkeit der Viertagewoche dürfte in vielen Betrieben ein großes Problem sein. So hebt IW-Arbeitsmarktforscher Schröder hervor, dass gerade Hochöfen in der Stahlindustrie, in der die Viertagewoche gefordert wird, durchgehend laufen müssten, wodurch Schichten neu organisiert werden müssten. Dort würde sich mit einer Arbeitszeitverkürzung nicht so einfach die Produktivität steigern lassen - was sich auch auf die Kosten niederschlagen könne: Das könnte im schlechtesten Falle Betriebsschließungen, Verlagerungen, Verzicht auf Lohnzuwächse oder Entlassungen zur Folge haben.
Die Übertragbarkeit der Ergebnisse aus der Studie in Großbritannien müsse man zudem mit Vorsicht genießen, gibt Schröder zu bedenken. So hätten sich die Unternehmen freiwillig gemeldet und seien begleitet und gecoacht worden, mit der kürzeren Arbeitszeit besser umzugehen. Man müsse die Frage stellen, wie man mit einer Verkürzung der Arbeitszeit die Produktivität so steigern können, ohne dass es zu einer stressfördernden Arbeitszeitverdichtung komme, sagt Schröder.