Anlagen im Stahlwerk ArcelorMittal in Eisenhüttenstadt

Preisschub für die Industrie Stahlbranche im Krisenmodus

Stand: 18.10.2022 08:12 Uhr

ArcelorMittal ist einer der größten Stahlhersteller der Welt. An drei von vier deutschen Standorten des Konzerns gibt es wegen der teuren Energie schon Kurzarbeit. Sind die Werke überhaupt noch wettbewerbsfähig?

"Aktive Mittagespause" heißt die Aktion der Brandenburger IG Metall, bei der an diesem Tag auch Beschäftigte von ArcelorMittal in Eisenhüttenstadt kurzzeitig ihre Arbeit niedergelegt und sich vor dem Tor 1 ihres Werkes versammelt haben. Sie protestieren gegen die hohen Energiepreise und fordern von der Bundesregierung unter anderem einen Gas- und einen Strompreisdeckel.

Jetzt kämen die großen Rechnungen, und auch wenn sie ein gutes Entgelt verdienen, stehe bei vielen Beschäftigten die Frage, ob sie sich das alles noch leisten können, sagt Dirk Vogeler, der Betriebsratsvorsitzende dem rbb. Wenn die Rechnungen so exorbitant hoch seien, gebe es Existenzängste.

Produktion ist stark gedrosselt

Seit Anfang Oktober gilt Kurzarbeit bei ArcelorMittal in Eisenhüttenstadt. Das betrifft 900 der insgesamt 2700 Mitarbeiter an vier Tagen im Monat. Inflation, hohe Energiekosten in Kombination mit einem Nachfrageeinbruch besonders seitens der Automobilindustrie nennt Arbeitsdirektor Michael Bach als Gründe für die Maßnahme. "Es gibt auch für die Folgemonate November, Dezember wenig Anzeichen, dass sich die heutige Situation schnell ändern wird", sagt Bach. So sei die Kurzarbeit erst einmal bis Ende des Jahres beantragt worden.

Betroffen sind das Warm- und das Kaltwalzwerk, wo Stahl zu Blechen und Drähten geformt wird zur Weiterverarbeitung in der Automobilbranche oder dem Gerätebau. Hier wird die Produktion nun um 30 bis 50 Prozent gedrosselt. Für die betroffenen Beschäftigten sei Kurzarbeitergeld beantragt worden, das werde von Unternehmensseite aufgestockt, auf durchschnittlich 90 Prozent des bisherigen Einkommens, sagt Bach. Entlassungen solle es nicht geben, er wolle alle Mitarbeiter mitnehmen, betont der Arbeitsdirektor.

Kurzarbeit in Eisenhüttenstadt, Bremen und Hamburg

Ausnahme sei aktuell das Werk in Duisburg, sagt Arne Langner, Deutschland-Sprecher von ArcelorMittal. Hier werde Rohstahl von außen angeliefert und weiterverarbeitet. Die Bremer Werksleitung hatte zunächst angekündigt, einen der zwei Hochöfen ab Oktober abzuschalten. Jetzt ist die Produktion von beiden lediglich reduziert worden, um mehr eigener Strom erzeugen zu können, der bei der Abgasverbrennung gewonnen wird.

"Mit der Entscheidung, beide Hochöfen auf einem niedrigeren Produktionsniveau laufen zu lassen, sind wir mit unserer Eigenstromversorgung unabhängiger und kostengünstiger", zitiert das Unternehmen Rainer Blaschek, Geschäftsführer von ArcelorMittal Deutschland und verantwortlich für die Werke in Bremen und Eisenhüttenstadt. "Das ist ein Vorteil im derzeit sehr volatilen und schwierigen Markt."

Im Hamburger Stahlwerk des Konzerns ist die gesamte Belegschaft - rund 530 Mitarbeiter - von Kurzarbeit betroffen. Hier steht derzeit einer der wichtigsten Produktionsteile still: die Reduktionsanlage, in der aus Eisenerz sogenannter Eisenschwamm entsteht, der dann zusammen mit Schrott zu Rohstahl verschmolzen wird. Der Grund: die Anlage wird mit Gas befeuert, und angesichts der Preise ist ein wettbewerbsfähiger Betrieb unmöglich.

Stahlherstellung in Kanada günstiger?

Die Situation sei ernst, sagt ArcelorMittal-Deutschland-Sprecher Langner. Wenn das so bleibe, müsse auch über Verlagerung der Produktion nachgedacht werden, auch wenn man das nicht wolle. Dabei geht es um Standorte des Konzerns, an denen die Energiekosten nicht so hoch sind wie in Deutschland und Europa - Kanada zum Beispiel.

Jetzt sei es an der Politik, die negativen Folgen der Strom- und Gaskrise im Zuge des Ukraine-Krieges auch für so energieintensive Unternehmen wie in der Stahlbranche abzufedern. Die jüngst gemachten Vorschläge der Expertenkommission, die Preise zu deckeln, seien da ein Lichtblick, sagt der ArcelorMittal-Sprecher Langner: "Die geplante Gaspreisbremse der Bundesregierung ist eine positive Entwicklung, da die Expertenkommission mit ihrem Vorschlag einen schnelle, direkte und unbürokratische Kostenentlastung für die Industrie auf den Tisch gelegt hat. Wir müssen nun abwarten, wie diese Preisbremse wirken wird, wenn sie ab Anfang 2023 kommt." Langfristig gesehen sei der geplante Preis von 70 Euro pro Megawattstunde für die Industrie allerdings zu hoch, "um dauerhaft international wettbewerbsfähig zu sein".

Mehrkosten in Milliardenhöhe

Dass bei anhaltender Krise und einer Rezession die Wettbewerbsfähigkeit international dauerhaft auf der Strecke bleiben könnte, ist nicht nur die Sorge bei ArcelorMittal-Deutschland, sondern der gesamten Stahlbranche hierzulande. So könnten sich hier die jährlichen Mehrkosten für Strom und Gas auf mehr als zehn Milliarden Euro summieren im Vergleich zum Anfang des Vorjahres, rechnet die Wirtschaftsvereinigung Stahl vor. Dies sei rund ein Viertel des Umsatzes, den die Stahlindustrie in Deutschland in den vergangenen Jahren durchschnittlich erzielt habe.

"Die angekündigte Energiepreisbremse unter Einschluss der Industrie ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung", heißt es auch von Hans Jürgen Kerkhoff, dem Präsidenten der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Von der Bundesregierung fordert er: "Zusätzlich zur akuten Krisenbewältigung bleibt es eine dringliche Aufgabe, für den Industrie- und Stahlstandort Deutschland auch mittel- und langfristige Lösungen für wettbewerbsfähige Gas- und Strompreise zu schaffen."

Langfristige Lösungen, darum geht es auch den  Beschäftigten vor Tor 1 des ArcelorMittal-Werkes in Eisenhüttenstadt. Sie sorgen sich vor allem um eins: ihre Jobs.