Vier Abnehm-Spritzen Wegovy des Herstellers Novo Nordisk.

Pharmakonzern Novo Nordisk Abnehmspritzen-Hersteller wertvollste Firma Europas

Stand: 05.09.2023 20:48 Uhr

In immer mehr Ländern wird das Adipositas-Medikament Wegovy verkauft. Der Erfolg der Spritze macht den Hersteller Novo Nordisk zum Konzern mit dem höchsten Börsenwert in Europa. In Dänemark sorgt das für Wirtschaftswachstum.

Von Antje Erhard, ARD-Finanzredaktion

Novo Nordisk, Hersteller der Abnehmspritze Wegovy, ist so wertvoll wie kein anderes europäisches Unternehmen an der Börse. Der Pharmakonzern aus Dänemark hat den französischen Luxusgüter-Produzenten LVMH auf dem Spitzenplatz abgelöst - mit einer Marktkapitalisierung von rund 428 Milliarden Dollar. LVMH war seit Februar 2021 die wertvollste Firma Europas nach Börsennotierung gewesen.

Das Medikament Wegovy hat sich seit seiner ersten Zulassung vor zwei Jahren für Novo Nordisk zu einem enormen Erfolg entwickelt. In Deutschland ist die Abnehmspritze seit Juli erhältlich. Außerdem verkauft Novo Nordisk Wegovy in den USA, in Norwegen sowie Dänemark - und inzwischen auch in Großbritannien.

Spezialist für Insulin

Ursprünglich war Wegovys Wirkstoff Semaglutid gegen Diabetes entwickelt worden. Medikamente gegen Diabetes sind seit über einhundert Jahren das Kerngeschäft von Novo Nordisk. Als 1921 in Kanada das Insulin entdeckt wurde, hörte der dänische Nobelpreisträger August Krogh von dieser Erfindung - und erkannte das Potential. Er holte das Insulin nach Dänemark.

Damit wurde nicht nur August Kroghs Frau geheilt; 1923 begann das kleine Unternehmen Nordisk die Insulin-Produktion, so dass Diabetes eine beherrschbare Erkrankung wurde.

Zwei Mitarbeiter des Unternehmens machten sich selbständig - mit der Firma Novo Terapeutisk Laboratorium. Damit waren zwei Konkurrenten auf dem gleichen Markt unterwegs. Beide verfolgten die gleichen Ziele, forschten auf den gleichen medizinischen Feldern.

Viel Aufmerksamkeit in den Sozialen Medien

Bereits in den 1960er-Jahren produzierte Novo die Hälfte des weltweiten Insulin-Bedarfs. Nordisk brachte 1973 das erste weltweite Wachstumshormon auf den Markt - Grundlage dafür, dass das Unternehmen heute ein etablierter Pharmakonzern ist. 1989 kommt es zum Zusammenschluss. Bis heute ist Insulin der Schwerpunkt des Konzern, Diabetes-Forschung das Kerngeschäft.

Doch dann kam Wegovy auf den Markt. Zuerst war die Fett-weg-Spritze in den USA erhältlich. Im Jahr 2021 wurde sie von der Gesundheitsbehörde FDA zugelassen - und ging sofort viral durch die Sozialen Medien. Der Traum vieler Übergewichtiger schien sich zu erfüllen. Jeder kann sich Wegovy selbst injizieren - einmal pro Woche. Abnehmen schien noch nie so einfach.

Appetitzügler zur Selbst-Anwendung

Der Wegovy-Wirkstoff Semaglutid ist bereits seit einigen Jahren zur Senkung des Blutzuckers bei Diabetes zugelassen. Damit soll Wegovy den Appetit zügeln und das Sättigungsgefühl nach dem Essen steigern. Es muss wöchentlich mit Fertig-Injektionsstiften gespritzt werden. Hört man damit auf, legt man wieder an Gewicht zu - sofern man seine Ernährung nicht entsprechend angepasst hat.

Zielgruppen sind einerseits Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) ab 30 sowie Menschen mit einem BMI ab 27, wenn sie gleichzeitig an Diabetes, Bluthochdruck, oder Herz-Kreislauferkrankungen leiden. Zu den Nebenwirkungen gehören Magen-Darm-Beschwerden sowie Schwindel, Kopfschmerzen oder niedriger Blutdruck.

Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) e.V. hatte im November 2022 die Wirkungsweise bestätigt: "Die Substanz (...) kann darüber hinaus beim Abnehmen helfen." Denn Semaglutid führe auch bei Menschen ohne Diabetes zu einer Gewichtsreduktion von etwa 15 Prozent. "Die verschreibungspflichtigen Spritzen mit einer Zulassung für Diabetikerinnen und Diabetiker wirken ähnlich wie das körpereigene Hormon GLP-1, das unter anderem den Appetit hemmt."

Langzeitwirkung unbekannt

Doch es gibt auch Kritik. Nach Einschätzung von Harald Schneider, Sprecher der Sektion Angewandte Endokrinologie der DGE, handelt es sich um einen gefährlichen Trend: "Die unkontrollierte Anwendung ohne Indikation ist mit Risiken und Nebenwirkungen verbunden, etwa Übelkeit und Erbrechen." Auch Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse und Gallenblase könnten folgen. "In Tierversuchen fand man zudem ein potenziell erhöhtes Risiko für bestimmte Schilddrüsenkrebsarten." Außerdem wisse man nichts über die Langzeitwirkungen, so Schneider.

Und dennoch: Die Nachfrage war und ist enorm. Die ersten Chargen in Dänemark und den USA waren nach kurzer Zeit ausverkauft. Novo Nordisk kam mit der Produktion nicht hinterher. Eine klinische Studie im Sommer 2023 befeuerte den Erfolg noch. Auch sie kommt zum Ergebnis, dass die Abnehmspritze Wegovy das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkten und Schlaganfällen bei übergewichtigen Menschen um bis zu 20 Prozent senken könne. Das ergab die Forschung an 17.600 Probanden ab 45 Jahren.

Konjunktur-Schub für Dänemark

Allein das Ergebnis der Studie schob die Aktie Anfang August um gut 15 Prozent nach oben. Dass sich Prominente wie Tesla-Chef Elon Musk oder Kim Kardashian für die Fett-weg-Spritze begeisterten, verstärkte den Ansturm auf das Mittel noch. Seit dem Jahr 2020 hat sich der Kurs des dänischen Unternehmens verdreifacht.

Inzwischen übersteigt der Börsenwert von Novo Nordisk die Summe, die ganz Dänemark 2022 an Wirtschaftsleistung erbrachte (398 Milliarden Dollar). Der Pharmahersteller beschert dem Staat so hohe Steuereinnahmen, dass Dänemark seine Wachstumsprognose für das gesamte Jahr angehoben hat: Die dänische Wirtschaft soll in diesem Jahr um 1,7 Prozent wachsen. Ohne Wegovy wäre sie nach Angaben des Wirtschaftsministeriums um 0,3 Prozent geschrumpft.

Ein Ende des Hypes ist nicht in Sicht: Novo Nordisk ist der umsatzstärkste Hersteller im Markt für Diabetes-Produkte und Medikamente zur Gewichtsreduktion. Schätzungen von Expertinnen und Experten zufolge hat der Markt weltweit das Potential, einen Umsatz von 130 bis 140 Milliarden Dollar zu erreichen. Der US-Konzern Eli Lilly ist größter Konkurrent der Dänen in diesem Geschäft. Eli Lilly hat eine Zulassung seines Diabetes-Medikaments Mounjaro ebenfalls für die Behandlung von Fettleibigkeit beantragt.

Vertrieb in weiteren Ländern geplant

Der Verkauf der Spritze in weitere Ländern ist geplant - obwohl schon jetzt klar ist, dass die Produktionskapazitäten für die hohe Nachfrage längere Zeit nicht ausreichen werden. In der Europäischen Union ist Wegovy zugelassen für Erwachsene mit Adipositas und einem BMI ab 30 - oder mit Übergewicht und einem BMI ab 27, wenn mindestens eine gewichtsbedingte Begleiterkrankung vorliegt.

Das verschreibungspflichtig Medikament ist teuer. In den USA hat Wegovy einen Listenpreis von 1.350 Dollar für die höchste Dosis für vier Wochen, in Deutschland beträgt der Preis rund 302 Euro. Gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten nicht, weil sie grundsätzlich keine Medikamente zur Gewichtsreduktion erstatten. Der Verband der privaten Krankenversicherungen hatte dagegen erklärt, die Kostenübernahme sei möglich, wenn der Arzt das Mittel indikationsbezogen verschreibe.

In Industriestaaten nimmt das Übergewicht zu

Übergewicht und Fettleibigkeit haben in den vergangenen Jahren vor allem in den Industrieländern stark zugenommen. Damit erhöht sich das Risiko schwerwiegender Erkrankungen wie Herzinfarkten, Diabetes oder gar bestimmte Krebsarten. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind mehr als die Hälfte der Erwachsenen in Europa zu dick.

Kritikerinnen und Kritiker befürchten, dass mit dem Verkaufserfolg von Wegovy das Abnehmen der breiten Masse zulasten der Diabetiker gehen könnte. Ärztinnen und Ärzte sind deshalb angewiesen, das Abnehmmittel nur wirklich ernsthaft erkrankten Patienten zu verschreiben.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 06. September 2023 um 06:37 Uhr.