Hüttenwerk mit Kokerei in Duisburg-Marxloh am Rhein.
interview

ifo-Präsident Fuest "Wir sind gefangen in der Stagnation"

Stand: 15.02.2024 19:52 Uhr

Die Wirtschaftsflaute hat Deutschland fest im Griff, sagt ifo-Präsident Fuest im tagesschau24-Interview. Was aus Sicht des Ökonomen die Gründe dafür sind - und wie es mit Zinsen und Inflation weitergehen könnte.

Von Antje Erhard, ARD-Finanzredaktion

tagesschau24: Wann wird das Wohnen, Tanken, Einkaufen günstiger? Das fragen sich viele Verbraucher. Dem steht die Inflation entgegen. Ist sie immer noch so hoch, dass die Notenbanken die Zinsen jetzt nicht senken könnten?

Clemens Fuest: Die Notenbank war, als die Inflation anstieg, relativ spät dran. Da hat man lange gedacht: "Das kommt schon wieder runter", und deshalb war man mit Zinserhöhungen zu spät. Deshalb ist die Notenbank jetzt zögerlich, hat Sorge, sich noch mal zu irren. Die Inflation sinkt, aber sie sinkt langsam, schrittweise.

Insbesondere die Lohnentwicklung ist eine Sache, die den Notenbanken Gedanken macht. Es könnte also von der Lohnseite noch mal ein Inflationsdruck kommen. Ursprünglich kam der ja vor allem von der Energie und den Lebensmitteln her.

Jetzt könnten die Löhne die Kosten in die Höhe treiben - und damit die Preise. Und dann wollen die Notenbanken das Signal geben: "Ihr braucht nicht zu allzu großen Lohnerhöhungen zu greifen, weil ihr euch vor Inflation fürchtet. Denn wir werden die Inflation entschlossen bekämpfen."

"Jetzt könnten Löhne die Kosten in die Höhe treiben", Clemens Fuest, Präsident ifo-Institut, zu Inflations-Lage

tagesschau24, 15.02.2024 09:00 Uhr

Lebensmittelpreise steigen weiter

tagesschau24: EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte erst kürzlich gesagt, die EZB wartet die Lohnabschlüsse jetzt zu Jahresbeginn erst einmal ab. Können die hohen Lohnabschlüsse in verschiedenen Branchen tatsächlich mit verantwortlich sein, dass sich die Zinswende weiter nach hinten verschiebt?

Fuest: Das ist ein Faktor, es ist natürlich nicht der alleinige Faktor. Und man muss auch sagen, bislang war die Lohnentwicklung nicht der Haupt-Inflationstreiber. Nichtsdestotrotz macht das der Notenbank Gedanken.

Es gibt aber auch andere Faktoren, zum Beispiel die Lebensmittelpreise, auch das spielt natürlich eine große Rolle. Die steigen derzeit noch ziemlich stark.

tagesschau24: Wir Verbraucher merken die Inflation bei den Lebensmitteln. Die Industrie zum Beispiel beim Strom. Wir kriegen derzeit viele Hiobsbotschaften: Verlust bei Thyssenkrupp, Stellenstreichungen bei Continental, Bosch, Bayer und andere. Die Regierung senkt auch für dieses Jahr die Wirtschaftsprognose. Wo stehen wir denn jetzt in Deutschland?

Fuest: Wir sind leider in einer Stagnation gefangen, und das hat natürlich zu tun mit den kurzfristigen Faktoren wie Zinsen und Energiepreise.

Aber wir haben auch längerfristige Probleme, strukturelle Probleme. Die Autoindustrie ist in einem Veränderungsprozess. Wir haben einen demografischen Wandel. Wir laufen auf eine Situation zu mit schrumpfender Erwerbsbevölkerung. Und das macht vielen Investoren Sorgen.

"Verhindern, dass alles noch teurer wird"

tagesschau24: Wir Verbraucher schauen zuerst auf das eigene Portemonnaie. Da bedeutet die Inflation, dass für einen Supermarkteinkauf, der vor vier Jahren 100 Euro gekostet hat, jetzt 130 Euro fällig werden. Würde das Leben wieder billiger, wenn die Inflation im Griff wäre?

Fuest: Es geht erst einmal darum, zu verhindern, dass alles noch teurer wird. Auch die Löhne sind ja gestiegen, wenn auch nicht so stark wie die Nahrungsmittelpreise. Aber andere Dinge, zum Beispiel Mieten, sind ja nicht so stark gestiegen. Es geht weniger darum, dass jetzt alles wieder billiger wird, sondern erstmal diesen weiteren Preisanstieg abzubremsen. Was man möchte, ist so ungefähr stabile Preise.

Bei der Energie allerdings wird es im Moment wirklich wieder billiger. Da waren die Preise vorher aber auch so stark angestiegen, dass irgendwie klar war - so kann es nicht bleiben. Es fallen also auch schon mal Preise. Aber dass das Preisniveau insgesamt fällt, das strebt die Notenbank nicht an. Und das kann man auch nur in Ausnahmefällen erwarten. Es geht um Stabilisierung.

Zeit der Null- oder Negativzinsen vorbei

tagesschau24: Ist es da so unabdingbar, wann die Zinssenkung kommt, sondern ist nicht wichtiger, in welcher Höhe sie möglich sind?

Fuest: Richtig. Der erste Schritt war, die Zinsen nicht weiter zu erhöhen. Das haben wir jetzt hinter uns. Und jetzt geht es um die Zinssenkungen. Und da wird die Notenbank schrittweise vorgehen, also in Schritten von einem halben Prozent, vielleicht doch einem viertel Prozent.

Derzeit liegt der Leitzins in der Eurozone bei 4,5 Prozent. Ende dieses Jahres wird man dann vielleicht bei 3,5 Prozent sein - vielleicht auch bei 3,75 Prozent, wenn die Notenbank etwas vorsichtiger ist. Die Richtung ist klar.

Aber diese Niveaus, die wir vor der Krise hatten - mit Nullzinsen oder gar negativen Zinsen: Das wird so schnell nicht wiederkommen.

Industrie lahmt, Dienstleistung boomt

tagesschau24: Diese Zinsbedingungen sind für alle Mitglieder des Euroraums gleich. Dennoch schlagen sich die Schulden-Sorgenkinder wie Griechenland, Italien, Spanien wirtschaftlich besser als Deutschland. Warum kommen diese Staaten aktuell besser klar?

Fuest: Das ist vielleicht vor allem kurzfristig so. Derzeit laufen Branchen wie Tourismus wieder besser. Die Leute konnten lange in der Pandemie nicht in den Urlaub fahren.

Und diese Länder haben auch keinen so großen Industriesektor. Der Industriesektor lahmt im Moment etwas, auch weil die Weltwirtschaft nicht gut läuft, aber auch, weil die Energiepreise hoch sind. Was uns also sonst hilft - ein großer Industriesektor, der profitiert, wenn die Weltwirtschaft boomt und die Energiepreise niedrig sind -, das bereitet uns jetzt Probleme.

Diese Länder hätten sonst vielleicht auch gerne mehr Industrie. Aber im Moment sind sie vielleicht ganz froh, dass sie sich stärker auf Dienstleistungen konzentrieren. Das erklärt den Unterschied.

Die Fragen stellte Antje Erhard, ARD-Finanzredaktion. Das Interview wurde für die schriftliche Fassung gekürzt und redaktionell bearbeitet.