Container Frachtschiff auf dem Rhein.

Milder Abschwung erwartet "Wir erleben keine Mega-Rezession"

Stand: 02.01.2023 14:30 Uhr

Trotz anhaltender Inflationsgefahr und der Corona-Welle in China: Bundesbankchef Nagel und Wirtschaftsweise Malmendier gehen nicht von einem tiefen Wirtschaftseinbruch in Deutschland 2023 aus.

Die Folgen des Kriegs in der Ukraine und die hohe Inflation belasten auch weiter die deutsche Konjunktur. Viele Ökonomen erwarten daher ein Schrumpfen der größten europäischen Volkswirtschaft. Allerdings wird das konjunkturelle Bild nicht mehr so düster gesehen wie noch vor einigen Monaten.

Dies sehen die Bundesbank und auch die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier so. Die Top-Ökonomin erwartet zwar zwei Quartale mit schrumpfender Wirtschaftsleistung in Folge. "Aber mittlerweile bin ich so optimistisch zu sagen: Wir erleben keine Mega-Rezession und schon gar nicht eine Deindustrialisierung Deutschlands", sagte sie in einem Gespräch mit dem "Handelsblatt".

Nagel erwartet Rückgang der Inflation

Auch Bundesbankchef Joachim Nagel geht davon aus, dass Deutschland mit einem milden Abschwung davonkommt. Er sei seit einem Jahr Bundesbank-Präsident und hätte nicht gedacht, was alles in einem Jahr passieren könne und wie schwierig die Lage werde, sagte Nagel in einem Interview mit der "Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen". "Trotzdem bin ich optimistisch, dass wir in Deutschland einen schwerwiegenden wirtschaftlichen Einbruch vermeiden können und mit einem milden Abschwung davonkommen."

Nagel erwartet im Jahr 2023 einen Rückgang der Inflationsrate. Allerdings werde dieser nicht stark genug sein, um den von der EZB angepeilten Zielwert von zwei Prozent erreichen zu können. Die Teuerungsrate im Euroraum lag im November bei 10,1 Prozent. Das ist fünfmal so hoch wie die Zielmarke der EZB. "Das bedeutet für mich, dass unser Job noch nicht erledigt ist. Wir müssen weitere Maßnahmen ergreifen", sagte der Notenbanker.

Die Europäische Zentralbank nahm bei ihrem geldpolitischen Straffungskurs zuletzt den Fuß etwas vom Gas. Nach zwei ungewöhnlich großen Anhebungen um jeweils 0,75 Prozentpunkte erhöhte sie die Schlüsselzinsen im Dezember um 0,50 Prozentpunkte. EZB-Präsidentin Christine Lagarde stellte zudem weitere Anhebungen in Aussicht. Sie machte deutlich, dass die Zinsen für eine gewisse Zeit weiter im Tempo von 0,50 Prozentpunkten steigen müssen, um den Preisauftrieb zu dämpfen.

Inflationsschätzung für Dezember erwartet

In Deutschland ist die Inflationsrate Ende 2022 nach Prognose von Ökonomen wegen sinkender Energiepreise deutlich zurückgegangen. Sie dürfte im Dezember auf neun Prozent gefallen sein von zehn Prozent im November, sagen die von der Nachrichtenagentur Reuters befragten Volkswirte von 16 Banken im Schnitt voraus. Im Oktober hatte die Teuerungsrate mit 10,4 Prozent den höchsten Stand seit 1951 erreicht. Das Statistische Bundesamt will am Dienstag eine erste Schätzung für die Entwicklung der Verbraucherpreise im Dezember veröffentlichen.

"Wenn die Inflation wirklich so stark gesunken ist, hat das weniger mit der Energiepreisbremse zu tun als viel mehr mit den deutlich gesunkenen Öl- und damit auch Benzinpreisen", sagte ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. "Die Energiepreisbremse werden wir erst ab März in den Daten sehen." Der Staat hat im Dezember die Abschlagszahlungen für Erdgas übernommen. Für Privatverbraucher von Gas, Strom und Fernwärme gilt ab März zudem ein gesetzlich festgelegter Höchstpreis für 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs; dieser Preisdeckel wird rückwirkend für Januar und Februar angerechnet.

Entwarnung geben Experten aber noch nicht. "In den kommenden Monaten könnte die Inflation durchaus auch noch mal steigen", sagte Brzeski. So bekämen viele Verbraucher die gestiegenen Gas- und Strompreise erst ab Januar präsentiert. Auch Nahrungsmittel könnten teurer werden, da in der Landwirtschaft häufig die Preise im Januar neu verhandelt würden. "Andererseits kann die nachlassende Nachfrage durchaus dafür sorgen, dass Händler ihre Waren zu Niedrigpreisen loswerden wollen", sagte Brzeski, der für das gerade begonnene erste Quartal eine durchschnittliche Inflationsrate von 8,5 Prozent erwartet.

Malmendier: Lage in China beunruhigt

Laut Malmendier stellen die hohen Energiepreise eine enorme Belastung für die Wirtschaft dar: "Die Unternehmen sind aber auch äußerst anpassungsfähig. Die Preise gehen schon wieder zurück." So sind die Großhandelspreise für Gas in Europa weiter gesunken. Der als Referenz geltende Terminkontrakt TTF an der Energiebörse in den Niederlanden lag heute am Vormittag bei 72,75 Euro pro Megawattstunde für Lieferungen im Februar. Das ist der niedrigste Stand seit dem 21. Februar 2022; das Rekordhoch wurde im vergangenen Sommer bei 345 Euro erreicht.

Malmendier treibe zugleich eine andere Sorge um: "Mich beunruhigt die Lage in China", sagte die Ökonomie-Professorin von der US-Universität Berkeley, die seit September Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) ist.

Angesichts der Corona-Welle in der Volksrepublik nach der abrupten Abkehr von dem strikten Null-Covid-Kurs und der daraus resultierenden wirtschaftlichen Folgen gelte es für Deutschland, einen Notfallplan aufzustellen: "Wenn die chinesischen Häfen und Fabriken geschlossen werden, weil fast alle Beschäftigten krank sind, zieht das dramatische wirtschaftliche Folgen nach sich", warnte die Ökonomin. Nach ihrer Ansicht würden dann die Lieferketten wieder einbrechen und damit die Preise für Rohstoffe und Vorprodukte enorm in die Höhe getrieben. "Ich hoffe sehr, dass die Bundesregierung für diesen Fall schon Notfallpläne entwickelt." Deutschland brauche einen "China-Schutz-Crashkurs".

Von Null-Covid- zur Hundert-Prozent-Covid-Politik

Chinas Staatschef Xi Jinping habe gemerkt, dass seine Null-Covid-Politik gescheitert sei. "Jetzt schwingt das Pendel auf die andere Seite aus: Peking verfolgt offenbar statt einer Null-Covid- eine Hundert-Prozent-Covid-Politik. Wenn aber die Lockerungen in China zu weit gehen, werden die Infektionszahlen explodieren", warnte das Mitglied in dem Expertengremium, das die Bundesregierung in Wirtschaftsfragen berät. Es gebe bereits Befürchtungen, dass es mehrere Millionen Tote geben könnte, denn die Volksrepublik habe keinen funktionierenden Impfstoff.

Da es in Europa einen solchen gebe, wäre es aus Sicht Malmendiers gut, wenn China diesen zulassen und kaufen würde, um seine Bevölkerung zu schützen: "Gleichzeitig wäre das enorm wichtig für die Wirtschaft, sowohl in China als auch bei uns und anderen Handelspartnern."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 im Radio am 16. Dezember 2022 um 14:44 Uhr und Deutschlandfunk am 02. Januar 2023 um 14:00 Uhr.